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Technologie > Digitalisierung

5G: Effektivere Produktion durch neuen Mobilfunkstandard

Mit dem neuen Mobilfunk 5G ist auch ein firmeneigenes Mobilfunknetz möglich. Es soll große Datenmengen aus der Produktion schnell und sicher übertragen. Noch ist das im Mittelstand jedoch kaum verbreitet.

Geht man nach der Menge der Vorschusslorbeeren, muss 5G eine gewaltige Sache sein. Vom „Fundament für disruptiven Wandel“ schwärmt Thomas Jarzombek, Beauftragter des Bundeswirtschaftsministeriums für digitale Wirtschaft. An einen „Produktivitätsturbo für Unternehmen“ – vor allem für das produzierende Gewerbe des Mittelstandes – glaubt Bettina Horster, Direktorin IoT beim Eco – Verband der Internetwirtschaft. Und Antje Williams, bei der Deutschen Telekom zuständig für die 5G Campus Networks, ist sich der Bedeutung der Technologie sicher: „5G-Netze eignen sich besonders für industrielle Anwendungen mit hohen Leistungsanforderungen.“

Keine Frage, die Latte für den neuen Mobilfunkstandard liegt hoch. Kein Wunder, prahlt 5G doch mit Superlativen: Mit einer Übertragungsleistung von 10.000 Megabit pro Sekunde hängt er den mit 30 Megabit pro Sekunde geradezu lahmen derzeitigen Standard der 4. Mobilfunkgeneration LTE locker ab. Auch die modernisierte Version LTE Advanced bringt es nur auf 500 Megabit und in einigen Städten auf ein Gigabit pro Sekunde. Das ist schon ordentlich schnell, aber eben kein Vergleich zum künftigen Tempo durch 5G.

In der schönen neuen Welt des geplanten Mobilfunks sollen visionäre Lösungen im öffentlichen Raum zum Alltag werden. Sogar autonomes Fahren im Straßenverkehr sei damit sicher zu schaffen, glauben die Experten. Sämtliche Fahrzeuge im Straßenverkehr erhalten Informationen über wechselnde, komplexe Verkehrssituationen in Millisekunden durch einen wahren Blitzpulk aus Funksignalen. Realität wird dann endlich auch die lang herbeigesehnte Fabrik der Zukunft, in der sich Menschen, Roboter und Maschinen in froher Eintracht über Produktionswerte, abweichende Abläufe und Nachschub an Bauteilen in unvorstellbaren Milliarden Bits pro Sekunde gegenseitig auf dem Laufenden halten. Industrie 4.0 dank 5G!

De facto sind diese Szenarien aber noch reines Wunschdenken der Technologie-Apostel. Denn 5G funktioniert erst, wenn der neue Standard in der öffentlichen Infrastruktur tatsächlich verfügbar ist – und zwar in der Fläche, wie es die Bundesnetzagentur verlangt hat. Die Umsetzung hängt aber vom Tempo der Mobilfunkbetreiber ab.

Milliarden für den Zuschlag

Mitte vergangenen Jahres hatte die Bundesnetzagentur die Frequenzlizenzen versteigert. Den Zuschlag erhielten die Deutsche Telekom, Vodafone, Telefónica und 1&1 Drillisch –stolze 6,5 Milliarden Euro flossen in die Staatskasse. Seither kümmern sich die vier um den Ausbau der Infrastruktur. Doch das kann noch dauern. „Das LTE-Netz ist ein wesentlicher Bestandteil von 5G und wird in Zukunft selbstverständlich weiterhin betrieben und verfügbar sein“, stellt die Telekom in ihrem Positionspapier „5 Fragen und Antworten zur 5G-Frequenzauktion“ fest: Daher werde es „etwas Zeit beanspruchen, um die komplette Infrastruktur für den neuen Mobilfunkstandard zu implementieren“.

Auf absehbare Zeit dürfte der 5G-Standard, die fünfte Generation des Mobilfunks, also noch ein Papiertiger bleiben – vom Showbetrieb in einigen Städten und Testläufen in Forschungseinrichtungen und Konzernen abgesehen. Bundesweit will die Telekom bis Ende 2020 1.500 neue Antennen für den Megafunk aufstellen, aber auch hier werden erst einmal Städte bevorzugt. Auch Vodafone und Telefónica planen zunächst einmal mit Insellösungen, und der vierte Anbieter 1&1 will erst 2021 entweder mit eigener Sendetechnik loslegen – oder sich bei einem der drei anderen Anbieter einmieten. Infrastrukturell bleibt da noch viel Luft nach oben – gemessen am derzeitigen Bestand der 72.756 Mobilfunkmasten, die die Bundesnetzagentur in der Übersicht „Funkanlagenstandorte in Deutschland, Stand 01.02.2020“ meldet.

Maiausgabe von „Markt und Mittelstand“

 

Dieser Artikel stammt aus der Maiausgabe von „Markt und Mittelstand“, die am Freitag, den 8. Mai, erschienen ist. Sie möchten die gesamte Ausgabe lesen? Dann registrieren Sie sich kostenlos für unser Online-Archiv. 

Tatsächlich ist ja noch nicht mal der aktuelle Mobilfunkstandard 4G LTE flächendeckend ausgebaut. Das hat die Bundesnetzagentur vor kurzem bei ihrer „Überprüfung der Versorgungsauflagen aus der Frequenzversteigerung 2015“ moniert. Besonders in der Kritik steht Telefónica, das „die Auflagen in allen 13 Flächenbundesländern und für die Hauptverkehrswege mit nur 80 Prozent nicht erfüllt“ habe. Doch auch Marktführer Telekom und Vodafone haben die Vorgaben mit Werten um 96 bis 98 Prozent nicht einhalten können. Bis Ende des Jahres kann das Trio noch nachbessern. „Unser oberstes Ziel bleibt, dass die Versorgung mit mobilem Breitband in der Fläche vorankommt“, sagt Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur. Wenn das nicht klappt, müssen die Anbieter mit Zwangs- und Bußgeldern rechnen.

Anlauf mit Hindernissen

Allerdings darf man in vielen Fällen nicht die Anbieter als Hauptschuldige betrachten, sagt selbst die Bundesnetzagentur. Verzögerungen begründen die Mobilfunknetzbetreiber oft mit externen Faktoren: So bekämen sie an potentiellen Standorten für Sendemasten oft keine Flächen für die Anmietung angeboten. Baugenehmigungen fehlten, und der Denkmal-, Natur- und Umweltschutz lege ebenfalls sein Veto ein. Ähnliche Hemmnisse dürften auch beim Ausbau des 5G-Netzes im öffentlichen Raum zu erwarten sein. Außerdem sind für den Netzausbau weitere Investitionen in Milliardenhöhe notwendig. Das stemmen selbst die großen Telekommunikationsanbieter nicht so einfach. Daher dürften Geduld und Abwarten im öffentlichen Netz angesagt sein.

Anders sieht es hingegen bei der Errichtung lokaler 5G-Campusnetze aus. Denn neuerdings können kleine und mittlere Unternehmen die Lizenzen für ein betriebseigenes 5G-Netz ohne Umweg über einen Mobilfunkanbieter direkt bei der Bundesnetzagentur beantragen. Auch mittelständische Unternehmen können wählen, ob sie selbst private autonome Netze errichten oder ob sie Dienste der Netzbetreiber nutzen wollen.

Industrie im Aufwind

Zu den ersten Lizenznehmern bei den lokalen 5G-Netzen gehören Unternehmen, bei denen allein schon von der Größe her ein hauseigener Mobilfunk in den Bürogebäuden, Werkshallen und Niederlassungen durchaus sinnvoll ist. Sie können ein eigenes Netz aufbauen, betreiben und es sehr genau auf ihre spezifischen industriellen Anwendungen ausrichten. Auch die Sicherheit liegt in der Verantwortung des jeweiligen Betreibers. Erstmals wird es dann beispielsweise in der Fertigung möglich sein, Signale von Werkzeugmaschinen, Robotern und Sensoren in einem fabrikweiten Netzwerk so schnell zu übertragen, dass beispielsweise Änderungen in der Steuerung innerhalb von Millisekunden wirken – ganz so, als ob sich der Aufpasser direkt an der Maschine befände.

Die Verfügbarkeit über die hauseignen Funkströme liegt komplett beim Lizenznehmer, also beim Unternehmen selbst. Sollte aus irgendeinem Grund das öffentliche Netz überlastet sein oder gar ausfallen – was bei Wartungsarbeiten der großen Telekommunikationsanbieter immer wieder mal vorkommt –, hält das lokale 5G-Netz davon unbeeindruckt den operativen Betrieb aufrecht. Damit verringern Unternehmen Risiken und schwingen ihr eigenes Zepter über die Datenhoheit.

Auch der Kontakt aus der Firma zur Außenwelt wird sehr überschaubar. Die Anbindung an das Internet und die öffentliche Außenwelt läuft über genau definierte Schnittstellen. „Mit Campusnetzen können wir selbst kontrollieren, wie das Netzwerk aufgebaut und abgesichert ist und welches Equipment zum Einsatz kommt. Und es ist klar, wer Zugriff auf bestimmte Komponenten und Daten hat“, sagt Andreas Müller, Forscher bei Bosch und Vorsitzender der internationalen Initiative 5G-ACIA (5G Alliance for Connected Industries and Automation). Bosch hat 5G-Lizenzen für das „Industrie-4.0-Leitwerk“ in Stuttgart-Feuerbach und den Forschungscampus in Renningen beantragt. Die privaten Funknetze sollen später auf alle 270 Bosch-Werke weltweit erweitert werden.

Alles fließt

Mit 5G könnte Bewegung in die bislang starren Produktionsabläufe kommen. „In unserer Vision der Fabrik der Zukunft sind nur noch Boden, Wände und Decke statisch und fest. Alles andere ist flexibel, mobil und ordnet sich immer wieder neu“, sagt Bosch-Geschäftsführer Rolf Najork, zuständig für die Industrietechnik. Dazu zählen mobile Roboter, autonome Transportfahrzeuge und neue Assistenzsysteme wie Datenbrillen, die Mitarbeiter unterstützen. Die drahtlose Infrastruktur mache eine zuverlässige, sichere und schnelle Datenübertragung mit kurzen Reaktionszeiten zwischen Menschen, Maschinen und Anlagen möglich, gibt sich Najork optimistisch.

Ein ähnliches Konzept verfolgt BASF. Auf dem Fabrikgelände in Ludwigshafen sind kabellose In-tralogistiklösungen für Chemikalientransporter mit Hilfe von Sensoren und Kameras schon längst Realität. Der Einsatz eines 5G-Netzes soll diese Prozesse sicherer und schneller machen. Ebenfalls geplant ist, die Augmented-Reality-Brillen von Mitarbeitern untereinander zu verbinden und so einen Austausch in Echtzeit zu ermöglichen. Auch Siemens prüft in einem Testcenter ein privates 5G-Netz. Die Funktechnik soll noch 2020 in den eigenen Fabriken zum Einsatz kommen. Damit ließen sich beispielsweise fahrerlose Transportsysteme per Mobilfunk steuern. Bisher bewegten sich diese Systeme nur über kabellose Kommandos per WLAN oder Wifi, deren eingeschränkte Reichweite und Störanfälligkeit in Werksgebäuden Grenzen setze.

Mobilprofis in Lauerstellung

Die Telekommunikationsanbieter wollen das neue regionale Geschäftsfeld nicht den lokalen Campusnutzern überlassen. Sie suchen den Schulterschluss mit den Unternehmen, um bei Einrichtung und Betrieb der Infrastruktur der 5G-Lokalnetze mit zu verdienen. So schaltete Anfang April die Telekom mit dem Netzausrüster Ericsson das private 5G-Netz im Center Connected Industry (CCI) am Campus der RWTH Aachen live. Hier entwickeln Forscher zusammen mit den CCI-Mitgliedsfirmen neue Lösungen für die Fabrik der Zukunft. Das private Campusnetz basiert auf der 5G-Technologie von Ericsson, die die Telekom verwendet. Erprobt wird ein autonomes Logistikgerät für zukünftige Anwendungen in der Industrie.

Aller Anfang ist schwer, das gilt auch für die fünfte Generation einer Technologie. Auch wenn viele Anwendungen noch nicht über das Laborstadium hinaus sind, stellt sich die Frage: Was kostet das? Für die Frequenzlizenzen, die die Unternehmen eigenständig im 5G-Campus-Geschäft, also ohne externe Mobilfunkprovider, ausgeben müssen, hat die Bundesnetzagentur schon mal ein Berechnungsmodell für die Frequenznutzung erstellt. Die Deutsche Messe, die auf ihrem Gelände ein Campusnetz einrichten will, hat dafür eine Bespielrechnung veröffentlicht: Demnach ist für eine 25 Quadratkilometer große Fläche für zehn Jahre eine Lizenzgebühr von 626.000 Euro fällig, also 62.600 Euro pro Jahr. Dazu kommen noch Kosten für SIM-Karten, Smartphones und Server. Verständlich, dass die Mobilfunkbetreiber hier mitmischen wollen.

Noch Zukunftsmusik

Doch ist der Markt schon bereit? Bei der von den Telekommunikationskonzernen und der Bundesnetzagentur angepeilten Kundschaft scheinen noch Zweifel zu überwiegen. Das zeigt eine Umfrage des Bitkom vom Mai 2019. Zu diesem Zeitpunkt planten gerade mal zwei von fünf Industrieunternehmen (42 Prozent) eine 5G-Versorgung. Ein Drittel (36 Prozent) denkt an eine 5G-Versorgung durch einen Netzbetreiber. Nur sechs Prozent beschäftigen sich mit der Idee eines lokalen Campusnetzes.

Wie auch immer die Schlacht um die 5G-Campusnetz-Geschäftskunden für die Mobilfunkprovider ausgeht, einen lachenden Dritten gibt es jetzt schon – die Anbieter von Energie.Denn durch den drastisch steigenden Datenverkehr zwischen Endgeräten in den Unternehmen und Internetservern wird in den Rechenzentren der Stromverbrauch weiter in die Höhe schnellen. Allein der neue Standard 5G werde in Rechenzentren bis 2025 zusätzliche 3,8 Terawattstunden Strom verschlingen, freut sich Eon in einer Studie.

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