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Technologie > Industrie

Am Puls der Zukunft

Viele Firmen kämpfen mit einer Krise, Exyte wächst dagegen kräftig. Das Unternehmen baut Reinraumfabriken. Der Markt boomt.

Ob Laborräume, Biotechanlagen oder Chipfabriken – die Stuttgarter Exyte baut sie überall auf der Welt. Der Markt wächst seit Jahren. © Volker Schrank/Exyte

Hohe Energiepreise, gestörte Lieferketten, Fachkräftemangel: Und als sei das nicht genug für die größte Krise der Nachkriegszeit, fehlen auch noch Halbleiter, Batteriezellen, neue Medikamente. Wenn etwas fehlt, finden sich Investoren, die genau das herstellen wollen. Und wer eine ­Fabrik für diese Produkte bauen will, kommt an Exyte nicht vorbei. Die Stuttgarter profitieren wie kein zweites Unternehmen davon, dass die Welt nach Hightech giert.

„Wir sind in den vergangenen Jahren im Schnitt mit 20 Prozent gewachsen“, sagt Exyte-Chef Wolfgang Büchele. Inzwischen ist es deutlich mehr. Im ersten Halbjahr dieses Jahres stiegen Auftragseingang wie Umsatz um knapp 50 Prozent. Für 2022 wird ein Geschäftsvolumen von sieben Milliarden Euro erwartet – nach 4,9 Milliarden im Vorjahr. Das Geschäft brummt – trotz Inflation und geopolitischer Unsicherheiten.

 

Die Wiege neuer Fabriken

Die Stuttgarter planen und bauen für die großen Anbieter Reinraumanlagen und hochkomplexe Fertigungen. Exyte ist sozusagen die Wiege vieler neuer Chip-, Batterie- und Biotechfabriken beispielsweise für den deutschen Halbleiterhersteller Infineon sowie die US-Konzerne Intel und Pfizer. „Wir folgen unseren Kunden in die ganze Welt“, beschreibt Büchele den Aktionsradius seines Unternehmens. Zurzeit ist Exyte an 43 Standorten in 17 Ländern rund um den Globus vertreten.

Das Geschäftsfeld der Stuttgarter ist ein Frühindikator für die Entwicklung wichtiger Branchen. Bei Exyte erwartet man, dass der Markt für Halbleiter bis 2030 von derzeit rund 600 Milliarden Dollar auf dann eine Billion Dollar wächst. Im selben Zeitraum wird sich demnach der Markt für Biopharma-Produkte auf 950 Milliarden Dollar verdoppeln. Auch der Bedarf an Rechenzentren wird sich ähnlich rasant entwickeln und bis 2027 bereits ein Volumen von 100 Milliarden Euro erreicht haben. Und viele Anlagen dafür wird Exyte bauen oder ist bereits dabei.

Diese Marktdaten entspringen nicht dem Wunschdenken der Exyte-Strategieabteilung. Sie beruhen vielmehr auf den Rückmeldungen der Kunden. Denn Konzerne, die entsprechende Fertigungen und Anlagen betreiben, planen langfristig. Eine Chipfabrik zu bauen, die einen halben Kilometer lang und 100 Meter breit ist, dauert und kostet viel Geld. Zwischen fünf und zehn Milliarden Euro umfasst so eine Investition. „Für die Vorbereitungen inklusive der Genehmigungen der Behörden brauchen wir, je nach Projektgröße, zwischen sechs und zwölf Monate“, sagt Stephan Migge, Projektleiter bei Exyte. Für den Bau sind dann noch ein bis drei Jahre nötig. Bis zu 150 Projekte begleiten die Spezialisten von Exyte im Laufe eines Jahres gleichzeitig durch die verschiedenen Planungs- und Bauphasen.

Ist solch eine Investition einmal entschieden, wird sie auch wegen einer Rezessionsphase nicht mehr gekippt. Kostensteigerungen tragen die Auftraggeber bei solch großen Vorhaben problemlos mit. „Unsere Marge ist nicht spektakulär, aber ohne großes Risiko“, erklärt Exyte-Chef Büchele. Es bleibt dennoch genug übrig: Für das erste Halbjahr hat Exyte einen Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 222 Millionen Euro ausgewiesen, im gleichen Vorjahreszeitraum waren es noch 122 Millionen Euro. Mit der Nettomarge von 6,5 Prozent wären viele Unternehmen zufrieden.

Die Spezialisten von Exyte sind von Anfang an dabei, wenn eine neue Fabrik angegangen wird. „Geplant wird von innen nach außen“, sagt Migge. Ist einmal definiert, was genau produziert werden soll, entwickeln sie die Fabrik und ihre Versorgung. Dabei spielt auch der Standort eine wichtige Rolle. Strom und Wasser müssen dabei immer zuverlässig in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Deshalb siedeln sich beispielsweise Chiphersteller nicht in Ländern mit schwankender Energieversorgung an. Denn ein Stromausfall würde in einer Chipfabrik einen wochenlangen Produktionsprozess zerstören. 

In dieser Phase sind gut 100 Exyte-Mitarbeiter an dem Projekt beteiligt. Sie planen, was wo  auf der mehrere Tausend Quadratmeter großen Produktionsfläche einmal stehen soll, wie die Versorgungs- und Datenleitungen verlaufen sollen und wie die Fertigung unter Reinraumbedingungen dann umgesetzt werden kann. Die Partikeldichte, die dann noch in diesen Räumen gemessen wird, entspricht grob einem Kirschkern im Bodensee.

 

Europa gegen Asien

Anhand der Aufträge von Exyte lässt sich auch ablesen, wo künftig welche Halbleiter hergestellt werden. Dabei wird schnell deutlich, dass die Vorstellung mancher Politiker, in Europa könnten große Fabriken für Standardchips entstehen, Wunschdenken bleibt. „Diese kommen dann in Geräten zum Einsatz, die wiederum in Asien gebaut werden. Warum also in Europa eine solche Fabrik bauen?“ fragt Büchele. „In Europa werden vor allem spezielle Halbleiter für die Autoindustrie oder den Maschinenbau produziert“, erklärt Strategiechef Jochen Oelert. So ist Exyte beispielsweise am Bau der Chipfabrik von Bosch in Dresden und an der Infineon-Fertigung in Villach beteiligt gewesen. Für Wacker haben die Stuttgarter in Halle (Saale) eine Biotechanlage errichtet, die Medikamente nach der mRNA-Technologie produziert.

Exyte würde noch schneller wachsen, wenn das Unternehmen nur die nötigen Mitarbeiter auftreiben könnte, die man dafür braucht. Bis Ende des Jahres sollen 9000 Beschäftigte auf den Gehaltslisten der Stuttgarter stehen. 2021 waren es noch 7400. Vor zwei Jahren Vor zwei Jahren waren sogar nur 4900 Mitarbeiter gelistet. „HR ist mein wichtigstes Aufgabenfeld“, sagt Firmenchef Büchele. Der Dienstleister hat neben dem Wachstum auch einen hohen Bedarf, weil die Fluktuation wegen der beginnenden und endenden Projekte besonders hoch ist. So kommen allein strukturbedingt gut 2000 neue Gesichter zu Exyte. Bis 2027 soll die Belegschaft auf mindestens 15.000 Mitarbeiter anwachsen.

 

Zu viele Aufträge

„Die Personalsuche ist herausfordernd, doch bisher schaffen wir es. Zu kämpfen haben wir dabei mit der Tatsache, dass unser Unternehmen noch nicht so bekannt ist“, erklärt Personalchefin Alexandra Kuebler. Der hohe Personalbedarf führt inzwischen sogar dazu, dass man sich bei Exyte bei mancher Anfrage schon genauer überlegt, ob die Kapazitäten reichen. „Wir können nicht mehr jedes Projekt übernehmen“, gibt Büchele zu. Sein Unternehmen sucht vor allem Menschen, die offen sind, jeden Tag vor einer neuen Herausforderung zu stehen – ein typisches Merkmal für das Projektgeschäft.

So passt auch nicht jeder ins Unternehmen, wie Personalchefin Kuebler durchblicken lässt. Tatsächlich müssen die Beschäftigten bereit sein, für Projekte auch längere Zeit im Ausland zu arbeiten. Auch Wochenendarbeit kommt vor. Schließlich kann eine Großbaustelle am Montag nicht ruhen, nur weil am Wochenende davor keine technische Lösung für ein Problem gefunden wurde.

Fündig wird Exyte derzeit vor allem in Irland. Dort seien die Menschen flexibler eingestellt als in Deutschland, urteilt Büchele. Hierzulande gingen die Erwartungen eher Richtung Teilzeit und flexibler Arbeitszeiten. Viele neue Gesichter stellen das Management aber auch vor die besondere Herausforderung, eine Firmenidentität und gemeinsame Kultur zu schaffen. „Das geht nur, wenn die Führungskräfte sich voll engagieren und ihrer Verantwortung bewusst sind“, betont Kuebler. Sie seien die wahren Treiber, wenn es darum gehe, dass sich die dynamisch wachsende Belegschaft mit Exyte identifiziere.

Hinter all dieser Hochtechnologie und dem modernen Namen würde man kaum eine Firmengeschichte von 110 Jahren vermuten. Tatsächlich verbirgt sich hinter Exyte ein Unternehmen, das sich als Meissner & Wurst und später als M+W Zander einen Namen gemacht hat. 1912 hatten Karl Meissner und Paul Wurst ein Verfahren entwickelt, um Späne und Holzmehl abzusaugen. Bereits in den 1960er-Jahren zählten die Stuttgarter zu den ersten Anbietern von Reinraumtechnologien für die Halbleiter- und Elektronikindustrie. In der Folge baute das Unternehmen das Geschäftsfeld aus und fertigte auch komplette Labor- und Produktionsanlagen. In den 90er-Jahren gehörte M+W Zander zu Jenoptik und dem US-Finanzinvestor Springwater.

2008 übernahm der österreichische Immobilienentwickler Georg Stumpf. Er will sich allerdings davon trennen. 2018 wurde der Name geändert. Er soll „für Gefühle der Begeisterung sowie für langfristige ingenieurtechnische Erfahrung und Exzellenz“ stehen, hieß es damals. Ein Börsengang war geplant, wurde wegen des schlechten Umfelds aber abgesagt. Und auch der Verkauf stockt. Bisher scheitere das Vorhaben an den Preisvorstellungen des Investors, heißt es aus dem Umfeld des Unternehmens. Im vergangenen Jahr war von vier Milliarden Euro die Rede. Die Erwartungen des Österreichers dürften angesichts der rasanten Entwicklung von Exyte eher gewachsen sein.

Stumpf ist ein schillernder Unternehmer, der mit seinen Geschäften schon mal aneckt. Etwa in der Schweiz. Oder in Österreich, wo er beispielsweise das Stadtbild seiner Heimatstadt Wien mit dem Ende der 90er-Jahre gebauten und 202 Meter hohen Millennium Tower nebst Einkaufs- und Vergnügungszentrum geprägt hat. Dabei hatte er das, was ursprünglich genehmigt war, weit überschritten, was er so kommentierte: „Der Millennium Tower ist heute in Wien auf jeder zweiten Postkarte zu finden, aber es war nie meine Absicht, ein Wahrzeichen zu bauen.“ Denn: „Der Bau war ein Geschäft, und bei Geschäften zählt nur eines: Geld.“ Er ist dann auch 2003 ausgestiegen – mit ordentlichem Gewinn. 

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