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Technologie > Amazon CTO über Zukunftstrends

Amazons CTO: „Mach dein Gehirn leer!"

Werner Vogels, CTO von Amazon, spricht über die Zukunft der Arbeit, bewussten Technologiekonsum und verantwortungsvolle Innovation.

Werner Vogels, CTO von Amazon, teilt seine Visionen für die Zukunft der Arbeit und Technologie. (Foto: Business Punk)

Werner Vogels, CTO bei Amazon und Vordenker in Sachen Technologie und Nachhaltigkeit spricht darüber, warum Langeweile gut tut und welche Arbeit wirklich Sinn ergibt. Das Interview mit ihm führte die Co-Chefredakteurin von Business Punk Anja Horn.

Du hast letzte Woche auf der DLD2025 in München deine Zukunftsprognosen für die nächsten Jahre vorgestellt – kannst Du in die Zukunft gucken?

Werner Vogels: Es gibt ja zwei Arten von Vorhersagen: die des Fuchses und die des Igels. Der Igel ist ein Spezialist, der tief in sein Gebiet eintaucht. Ich sehe mich als Igel, wenn es um Technologievorhersagen geht – insbesondere KI. Was ich aber viel interessanter finde, ist die Frage, wie sich Technologien auf die Gesellschaft und Unternehmen auswirken.

Meine Vorhersagen basieren aber nicht nur auf dem, was ich bei Amazon Web Services und Amazon sehe. Wir haben Millionen von Unternehmen, die unsere Dienstleistungen in unserem Cloud-Computing-Geschäft nutzen – das gibt uns wertvolle Einblicke in aufkommende Muster.

Was steht ganz oben auf deiner Liste?

Werner Vogels: Die Arbeitswelt wird von den Werten der jungen Generationen auf den Kopf gestellt. Dazu gehören beispielsweise große gesellschaftliche Themen, sei es Ernährung, Energie, Gleichberechtigung oder ähnliches. Gen Z sind bereit, erhebliche Gehaltseinbußen hinzunehmen, wenn ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag leistet, denn ihre Arbeit ist ein Teil ihres Wesens. Und deshalb ist es für sie, für diese jüngeren Generationen, wichtig zu sehen, dass sie mehr für die Gesellschaft tun als nur Spamfilter zu schreiben und mehr Geld für das Unternehmen zu verdienen. Arbeit ist für sie Teil der eigenen Identität. Unternehmen, die das ignorieren, verlieren die besten Talente.

Und darauf werden Unternehmen reagieren?

Werner Vogels: Sie müssen. Führende Unternehmen sehen die Zeichen und investieren in prosoziale Projekte. Wenn Unternehmen die besten Talente einstellen wollen, müssen sie ihnen eine sinnvolle Arbeit bieten, denn diese Talente haben die Wahl. Wenn man die besten Ingenieure, die besten Programm-Manager, die besten MBAs der kommenden Generationen haben will, wenn man in der Lage sein will, innovativ zu sein, muss man sicherstellen, dass es eine sinnvolle Komponente in dieser Welt gibt und nicht nur darum geht, wie schnell wir werden bzw. wachsen können. Es geht also nicht nur darum wie man am schnellsten das nächste große Unicorn wird, sondern sinnvolle Arbeit wird zum Wettbewerbsvorteil.

Neben sinnvoller Arbeit – was treibt uns Menschen in unserem Alltag um?

Werner Vogels: Wir haben die Nase voll von all den ständigen Unterbrechungen durch Benachrichtigungen. Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource, und der Dauerstress macht uns unproduktiv. Allein der Begriff „Aufmerksamkeitsökonomie“: Aufmerksamkeit ist eine sehr knappe Ressource in unserem Leben. Das ist nicht wie beim Gedächtnis. Gedächtnis ist etwas, das man trainieren kann. Man kann Rätsel lösen, Puzzle machen, sich selbst fit halten und dergleichen mehr.

Aufmerksamkeit aber ist eine begrenzte Menge an Energie in unserem Gehirn. Wenn diese also ständig unterbrochen wird, geht unsere Fähigkeit zu lernen, unsere Fähigkeit, sich zu konzentrieren, verloren. Zum Glück sehe ich eine Gegenbewegung: bewusster Umgang mit Technologie, Offline-Wochenenden, ablenkungsfreie Hardware. Die ersten Zeichen sind da.

Offline-Wochenenden? Klingt für viele eher wie ein Albtraum.

Werner Vogels: Das hätte ich auch gesagt, aber Initiativen wie „The Offline Club in Amsterdam, auf Instagram mit mittlerweile knapp 500.000 Followern, zeigen, dass es funktioniert. Menschen treffen sich, um ohne Technologie zu lesen, zu reden oder sich bewusst zu langweilen. Langeweile ist eine unterschätzte Kraft. Sie gibt unserem Gehirn Raum, kreativ zu werden.

Wenn dich jemand in den Niederlanden fragen würde: „Was machst du?“ und du sagst: „Niksen “, was im Grunde Nichtstun bedeutet, wäre er neidisch. Nichtstun bedeutet, dass du dein Gehirn leer machst. Lass es geschehen!

Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass in diesem Bereich Hardware entwickelt wird. Beispielsweise sehen wir einen Computer, der eine ablenkungsfreie Umgebung und eine bewusste Nutzung der Oberfläche ermöglicht. Ein anderes Beispiel ist ein Launcher, den man für das Handy verwenden kann. Der ersetzt die Standardoberfläche des Telefons, mit einer Oberfläche, die eine bewusste Nutzung der Funktionen fördert.

Kannst du das veranschaulichen?

Werner Vogels: Eine typische Generation Z erhält tagsüber etwa 200 Benachrichtigungen, das sind mehr als 20 pro Stunde, und das nicht nur auf dem Telefon, sondern auch auf der Uhr. Es ist in deinen Ohren, es ist überall. Ich habe das an mir selbst beobachtet, dass meine Fähigkeit zu lernen, durch meine abgelenkte Aufmerksamkeit, verschwunden ist. Wir sind nicht mehr konzentriert, weil immer etwas anderes passiert.

Was tust du persönlich dagegen?

Werner Vogels: Also ich nehme mir einen Nachmittag pro Woche frei. Das heißt, das Telefon, die E-Mails werden abgeschaltet, alles wird abgeschaltet, und ich verbringe einen halben Tag damit, zu lernen. Sei es, dass ich akademische Texte lese, mit einigen der neuen Tools oder Technologien spiele, die Amazon entwickelt. Wir alle verlassen uns auf die gute Absicht, aber wir selbst setzen unsere guten Absichten nicht um. Es braucht Mechanismen, die uns dabei helfen sie umzusetzen, ansonsten passiert nichts. Daher beginnen die Meetings bei Amazon mit einem schriftlichen 6-seitigen Dokument. Es wird den Teilnehmern eines Termins ausgehändigt und in der ersten halben Stunde liest es jeder in Ruhe durch. Nach diesen 30 Minuten sind alle auf dem gleichen Stand. Alle haben die gleichen Informationen. Damit ist die Qualität der Entscheidungen extrem hoch, es wird sichergestellt, dass alle mit ihrem Kopf dabei sind.

Deine Prognosen betreffen aber auch die Verantwortung von Technologieunternehmen. Was meinst du konkret?

Werner Vogels: Wenn wir Technologien entwickeln, die negative Auswirkungen auf die Gesellschaft haben könnten, tragen wir auch die Verantwortung, Werkzeuge zu schaffen, die diese Auswirkungen abmildern oder verhindern. Vertrauen ist dabei essenziell. Gerade in einer Zeit, in der Fehlinformationen schnell verbreitet werden, müssen wir sicherstellen, dass Fakten klar und zugänglich sind. Organisationen wie die BBC oder Bellingcat leisten hier schon Hervorragendes, aber die Tools, die zur Faktenüberprüfung genutzt werden, müssen mit denjenigen mithalten, die Fehlinformationen verbreiten.

Ich sehe einen Trend hin zur Demokratisierung. Start-ups wie Proem in Dänemark zeigen, wie man KI-Modelle entwickeln kann, die akademische Forschung direkt in Kontext setzen. Das ist entscheidend, um etwa bei Gesundheitsartikeln fundierte Informationen bereitzustellen. Ebenso könnten Anwendungen wie GeoSpy für die Bildüberprüfung einen großen Unterschied machen. Wir brauchen Technologien, die Kontext schaffen und Vertrauen fördern.

Du hast auch über erneuerbare Energien gesprochen. Wie geht die Technologiebranche mit den klimatischen Herausforderungen um?

Werner Vogels: Es beginnt mit Verantwortung. Bei AWS, der Cloud-Sparte von Amazon, konnten wir unseren Energiebedarf in 2023 bereits zu 100 % mit erneuerbare Energien decken. Gleichzeitig müssen wir ältere, ineffiziente Rechenzentren abbauen und in lokalere Energieerzeugung investieren. Das Stromnetz ist vielerorts veraltet, und die Elektrifizierung unserer Gesellschaft – von E-Autos bis hin zu Wärmepumpen – erfordert neue, nachhaltigere Lösungen.

Was unternimmt Amazon, um seinen CO2-Fußabdruck kontinuierlich zu reduzieren?

Werner Vogels: In 2023 hat Amazon sein Ziel erreicht, seinen Energiebedarf – einschließlich seines Rechenzentrumsbetriebs - zu 100 % aus erneuerbaren Quellen decken. Wir sind auch innovativ in unseren Rechenzentren, was die Nutzung von Wasser betrifft. Wasser wird zu einer ebenso wertvollen Ressource. Sehen dir Südkalifornien an. Wasser ist dort im Moment ein Luxus, aber auch Energie, Wärme und all diese Dinge. Die Art und Weise, wie wir in diesem speziellen Bereich innovativ sind, ist enorm.

Wenn wir uns Amazon genau anschauen, sehen wir, dass wir in die Elektrifizierung unseres Transportnetzwerks investieren. 2019 haben wir 100.000 elektrische Lieferwagen von Rivian bestellt. Wir reduzieren kontinuierlich den Anteil an Kunststoffen bei Verpackungen und setzen auf innovative Lösungen. Zum Beispiel setzen wir in Europa keine Einwegverpackungen aus Plastik mehr ein. Wir wollen schließlich unser Klimaversprechen, komplett CO2-neutral zu arbeiten, bis 2040 erfüllen und wir sind auf einem guten Weg.

Was bedeutet für dich „verantwortungsvolle Innovation“?

Werner Vogels: Verantwortungsvolle Innovation heißt, Technologien zu entwickeln, die nicht nur kommerziell erfolgreich, sondern auch nachhaltig und gesellschaftlich sinnvoll sind. Ein Beispiel ist die Unterstützung von Reis-Bauern durch KI in Indonesien. Solche Lösungen schaffen nicht nur wirtschaftliche Stabilität, sondern tragen auch zur globalen Nachhaltigkeit bei.

Im Jahr 2050 werden wir zwei Milliarden Menschen mehr auf diesem Planeten haben. Wie können wir sie ernähren? Wie stellen wir sicher, dass sie eine Gesundheitsversorgung haben? Wie stellen wir sicher, dass sie eine wirtschaftlich nachhaltige Zukunft haben? All dies sind Herausforderungsbereiche, in denen meiner Meinung technologiegetriebene Innovationen helfen können, wie zum Beispiel bei dieser Reisproduktion.

Wo siehst du die größten Herausforderungen in den nächsten Jahren?

Werner Vogels: Wir müssen mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt halten, ohne unsere Verantwortung für den Planeten zu vernachlässigen. Ob es um erneuerbare Energien, den Kampf gegen Fehlinformationen oder nachhaltige Landwirtschaft geht – Innovationen müssen ausgewogen und bewusst vorangetrieben werden. Letztlich beginnt der Wandel bei jedem Einzelnen von uns.

Eine letzte Frage: Was ist deine kühnste Prognose für die nächsten Jahre?

Werner Vogels: Unternehmen, die es schaffen, gesellschaftlichen Wandel mit technologischen Fortschritten zu verbinden, werden die Zukunft dominieren. Das gilt für alle Branchen. Es wird herausfordernd, aber auch unglaublich spannend. Es fängt bei uns an, mit kleinen Schritten. Denn die besten Geschichten sind noch nicht geschrieben.

Das Interview führte Anja Horn

Anja Horn ist Co-Chefredakteurin von Business Punk und gründete 2007 ihre Agentur "Einhorn Solutions", die mit Content-Design-Konzepten nationale und internationale Medienhäuser berät.

Sie liebt kluge Technologien, schnelle Autos und coole Designs, und ist Mitherausgeberin des Design-Magazins PAGE.