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Technologie > SMS-Group-CDO Katja Windt

„Bei uns wird niemand wegen Teilzeit aussortiert“

Katja Windt ist Mitglied der Geschäftsführung des Anlagenbauers SMS Group als Chief Digital Officer. Die 53-Jährige zeigt, wie die Transformation eines Traditionsbetriebs familienfreundlich funktioniert.

Katja Windt ist Mitglied der Geschäftsführung des Anlagenbauers SMS Group als Chief Digital Officer.
Effizienter und grüner: Katja Windt arbeitet beim Anlagenbauer SMS Group als Chief Digital Officer an der Moderni- sierung des Unternehmens mit.Bildquelle: SMS Group

Der Anteil von Frauen unter den Maschinenbaustudierenden liegt bei zehn Prozent. Warum haben Sie sich damals für das Fach entschieden?

Während der Oberstufenzeit habe ich das Fach Informatik belegt, also unter anderem Programmieren gelernt. Das war damals neu. Dazu kam ein Grundpraktikum bei der damaligen Bremer Vulkan AG, wobei ich sehr früh kennengelernt habe, welche Anwendungsmöglichkeiten sich mit dem Fach Maschinenbau ergeben – gerade auch in Kombination mit Programmieren. In diese Richtung gingen dann auch meine ersten Nebenjobs im Studium. Aus meiner Sicht ist es wichtig zu betonen, gerade auch in Richtung von Frauen: Man hat mit einem technisch orientierten Studium oder einer solchen Ausbildung ein breites Spektrum an spannenden und gestalterischen Tätigkeiten sowie enorme Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Gerade im arabischen und asiatischen Raum gelten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) als Eintrittskarte in ein besseres Leben. In Deutschland sinkt die Nachfrage nach den Studiengängen wieder, gerade bei jungen Frauen. Was schreckt sie ab?

Es liegt vor allem daran, wie in der Schule und in der Uni der Zugang zu technischen Fächern jungen Menschen eröffnet wird. Hier sehe ich, insbesondere vor dem Hintergrund als Professorin, Verbesserungspotenziale: Man kann diese Fächer sicher spannenderer lehren, und man kann sie anders lehren. Wenn Lehrkräfte Praxisbeispiele mit Theorie verbinden, durch praktische Versuche spielend Zusammenhänge erkennen lassen, wie zum Beispiel mit dem Zusammenbauen von Robotern – dann nehmen sie die Scheu vor der Technik. Das ist keine Rocket-Science, man sollte es nur so erklären, dass junge Menschen den Zugang finden. Andere Lehrformen sind hier gefragt, die den klassischen Vorlesungsstil hinter sich lassen.

Aber es tut sich an den Universitäten doch schon etwas, oder?

An einigen Universitäten auf jeden Fall. Aber man könnte die jungen Leute noch viel besser mitnehmen und ihnen die Chancen der Zukunft aufzeigen. Erschreckend sind zudem hohe Abbrecherquoten in technischen Fächern. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von technischer Kompetenz. Die Persönlichkeitsentwicklung jeder und jedes Einzelnen ist dabei entscheidend, damit er oder sie überzeugt ist: Ich schaffe das! Die Grundlagen dafür sollten bereits in der Schule und sogar im Kindergarten gelegt werden. Die Berufschancen in den MINT-Fächern sollten in der Schule sehr klar deutlich gemacht werden und darüber hinaus an den Universitäten mehr Augenmerk auf den einzelnen Studenten oder die Studentin gerichtet werden, um individuell bei Bedarf zu unterstützen. Das hilft den Studierenden Mut zu haben und sich nicht allein zu fühlen.

Sie waren im Rahmen des Studiums ein halbes Jahr am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), wo die Frauenquote nahe bei 50 Prozent liegt. Wie war es dort?

Dass so wenig Frauen MINT-Fächer oder Maschinenbau studieren, ist ohnehin ein deutsches Phänomen. In Asien oder den USA sieht das anders aus. Während meines Studiums habe ich mich auf Lasertechnologie konzentriert. Am MIT konnte ich dies im Rahmen einer Studienarbeit in Theorie und Praxis eng verzahnen – eine wichtige Station in meinem Leben.

Sie waren lange in der Forschung tätig, haben Auszeichnungen in Serie eingeheimst – aber eben auch in den Aufsichtsräten der Deutschen Post und bei Fraport. Frau und Professorin – gleich in doppelter Hinsicht ein Boost für die Diversität der Gremien, oder?

(lacht) Da müssen Sie die anderen fragen, wie progressiv meine Ideen waren. Grundsätzlich habe ich die Haltung, dass andere Perspektiven solche Gremien bereichern. Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist in der Forschung normal, um auf neue Lösungsansätze zu kommen, aber in vielen Unternehmen leider noch nicht. Beispielsweise war es in Deutschland erst durch Einführung der Quote möglich, Frauen in Aufsichtsräte und jetzt in Vorstände zu berufen – anders hat es nicht funktioniert.

Bei Konzernen gibt es relativ viele weibliche CDOs oder CTOs, im Mittelstand ist das selten. Warum?

Das hat auch mit der Quotenregelung zu tun. Die Dax-Unternehmen sind verpflichtet, Frauen in den Vorstand zu holen. Die mittelständischen Unternehmen haben zudem denselben Kampf wie wir um die wenigen Ingenieurinnen am Markt – da fehlt es im Moment einfach an der Anzahl Frauen in technischen Fächern. Die junge Generation bevorzugt eher divers und flexibel aufgestellte Unternehmen, die zudem wenig CO2 verursachen. Da sind vielleicht auch nicht alle mittelständischen Unternehmen so positioniert, dass sie diese jungen Menschen anziehen. Und wenn dann auch noch keine Frau in der Geschäftsführung aktiv ist, überlegen sich junge qualifizierte Frauen das nochmals gründlich. Ich will gar nicht unterstellen, dass man keine Frauen haben will, es ist eben schwierig, welche zu finden, gerade in den technischen Fächern. Wir müssen mehr Frauen überzeugen, technische Fächer zu studieren oder hier eine Ausbildung zu machen.

Anfang 2018 dann der Wechsel in den Vorstand der SMS Group als CDO. Operativer geht es kaum. Nun haben Sie vorher beileibe nicht im Elfenbeinturm gelebt, aber das war schon etwas anderes, oder?

Als Präsidentin einer privaten Universität war ich schon in der Leitungsfunktion eines Bildungsunternehmens tätig. Damit war auch eine Restrukturierung der Universität verbunden. Klar, eine Universität hat ein anderes Produktportfolio, aber die Führungsaufgabe inklusive Restrukturierung war eine klare Managementverantwortung. Zudem war ich jahrelang als Beraterin in Unternehmen tätig und habe Transformationsprozesse zur Optimierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette durchgeführt. Deshalb war der Sprung in die freie Wirtschaft für mich gar nicht mehr eine so massive Veränderung. Inhaltlich passte es sowieso, denn mit autonomer Fertigung und Optimierung von Prozessen, insbesondere in der Stahlindustrie, kannte ich mich aufgrund meines Forschungshintergrundes bestens aus.

Einen Mann würde ich das vermutlich nicht fragen und deshalb entschuldige ich mich auch dafür: Sie haben drei Kinder. Wie haben Sie Familie und die viele Arbeit inklusive Reisen und Pendeln zusammenbekommen?

Heute sind zwei meiner Kinder bereits erwachsen, nur meine Tochter ist mit 15 Jahren noch in der Schule. Schwierig war es durchaus, als sie noch jünger waren, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Damals war ich zunächst als Doktorandin und später dann als Professorin tätig. An der Uni schien mir die Vereinbarkeit wesentlich besser gegeben als in einem Unternehmen, obwohl mir nach meiner Promotion interessante Angebote aus der Industrie vorlagen. Das war im Wesentlichen der Grund, warum ich an der Uni geblieben bin. Für mich war das mein Lebenskompromiss, um Familie und Job in Einklang miteinander zu bringen. Die wissenschaftliche Karriere hat mir damals mehr Flexibilität ermöglicht.

Was sind typische Maßnahmen bei der SMS Group?

Es beginnt mit Flexibilität bei Arbeitsort und Arbeitszeit. Zudem ist das Sharing von Führungspositionen eine gute Option. Wir bieten Kitaplätze schon ab dem sechsten Monat an, also sehr früh. Und vermitteln in besonderen Situationen auch ad hoc alternative Betreuungsmöglichkeiten. Als weltweit führender Anlagenbauer sind Reisen zu Kunden und Baustellen Teil des Geschäfts. Steht die Familiengründung an, eröffnen wir alternative Karrierewege: Also welche Position ist in welcher Situation ideal, ohne dass man auf die Karriere verzichten muss? Das bedeutet, dass auch in Teilzeitpositionen eine Karriere bei uns möglich ist.

Die SMS Group bezeichnet sich gern als Pionier. Wie begründen Sie das?

Wir haben schon, gemeinsam mit unserem Tochterunternehmen Paul Wurth, vor 150 Jahren die Hochofen-, Kokerei- und andere Technologien mitentwickelt. Jetzt gehören wir ironischerweise zu denen, die diese ein Stück weit wieder abschaffen, indem wir Dekarbonisierungstechnologien entwickeln – und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Wir recyceln inzwischen Lithium-Ionen-Batterien oder holen seltene Erden aus Elektroschrott heraus. Dann bauen wir Anlagen zur Produktion von eFuels, was wir industrielle Photosynthese nennen. Nehmen wir die Luftfahrtindustrie – hier gibt es ja praktisch nichts anderes, von Wasserstoffflugzeugen sind wir noch weit entfernt. Wir haben den deutschen Logistikpreis bekommen für Hochregallager in Häfen. Da nutzten wir unsere Fähigkeit, mit schweren Lasten umzugehen, und können jetzt die dreifache Menge an Containern auf gleicher Grundfläche komplett CO2-frei stapeln. Dieses bietet eine immense Kapazitätssteigerung, gerade bei bestehenden Häfen, die physisch nicht mehr wachsen können.

 

Als CDO ist eines Ihrer wesentlichen Projekte SMS digital. Zunächst hatte die Ideenschmiede des Konzerns 18 Mitarbeiter, heute sind es rund 500. Diese Digitalexperten haben Sie Schritt für Schritt näher ans Business herangeholt. Was war die Idee dahinter?

Es war auf jeden Fall der richtige Weg, zunächst eine gesonderte GmbH zu gründen. Die Arbeitsweisen zur Entwicklung von Digitalapplikationen sind ja durchaus anders im Vergleich zum Engineering und Bauen von Anlagen. Es gilt, dass sich diese andere Arbeitsform und das damit verbundene Geschäft zunächst etabliert, wobei immer eine Kombination von mechanischer, automationstechnischer und digitaler Expertise zur Entwicklung der Applikationen notwendig ist. Diese fachübergreifenden Teams haben wir weltweit aufgestellt, an allen unseren Standorten. Hier berücksichtigen wir die unterschiedlichen Marktanforderungen in den lokalen Märkten zu Entwicklungen von Lösungen für die Probleme unserer Kunden.

Die SMS Group zieht in diesem Jahr von ­Düsseldorf nach Mönchengladbach um. Ein neuer Campus ist hier entstanden, begrünte Dächer, ein Knotenpunkt fürs Stahldatennetz. Was haben sie da gemacht?

Zunächst einmal ist es eine neue Form des gemeinsamen Arbeitens: Über alle Bereiche und Fachdisziplinen hinweg können wir uns wesentlich kommunikativer in offenen Büroräumen austauschen. So werden wir viel besser interdisziplinär in Teams zusammenarbeiten können – Mechanik, Elektrik und Automation, technischer Service und Digitales. Das passt sehr gut zu unserem neuen Verständnis: ein Anlagenbauer, der nicht nur Anlagen liefert, sondern Kunden langfristig durch unsere Serviceprodukte über den gesamten Lebenszyklus der Anlage bedient. Dadurch können wir für die Weiterentwicklung unserer Anlagen von unseren Servicemitarbeitern lernen und bereichsübergreifende Teams bilden. In diesem Sinne haben wir den neuen Campus gestaltet. Dazu gehört auch eine tolle Kantine, in der man sich abends bei Bedarf das Essen für die Familie mitnehmen kann, sowie Gesundheits- und Sporteinrichtungen – eben vieles, was zur Vernetzung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zum Wellbeeing beiträgt.

Was sagt eine CDO ihren Kindern, wenn die ihre Aufsätze für Schule oder Uni nicht selbst schreiben, sondern von ChatGPT produzieren lassen?

Die Lehrer meiner 15-jährigen Tochter integrieren den Chatbot teilweise schon in den Unterricht und sprechen offen an, was diese generative künstliche Intelligenz kann und was nicht. Die Schüler haben die Aufgabe, ChatGPT Fragen zu stellen, und lernen, mit den Antworten umzugehen. Beispielsweise wird klar, dass sie durch ChatGPT nicht selbst lernen und dass ein Chatbot keine kreativen und neuen Lösungen für Problemstellungen entwickeln kann. Das, was den Menschen auszeichnet, auf etwas Neues zu kommen, das schafft diese KI noch nicht. Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass Kinder bei allen Chancen auch erfahren, wo die Risiken und die Grenzen der Technik sind.
Effizienter und grüner: Katja Windt arbeitet beim Anlagenbauer SMS Group als Chief Digital Officer an der Modernisierung des Unternehmens mit.

 

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