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Technologie > Innovation

Bosch entwickelt Fabrik der Zukunft

Ulmer Rexroth-Standort ist Forschungslabor für Industrie 5.0 im Konzern. Produktion wird digital geplant und flexibel ausprobiert.

Die Fabrik der Zukunft kennt nur noch wenige feste Bestandteile: Das Dach, die Wände und zum Teil noch den Boden. Alles andere ist künftig im Raum flexibel kombinierbar – je nach Bedarf. Was nach Zukunftsmusik klingt, wird bei Bosch Rexroth in Ulm bereits erprobt. "Wir wollen konkret gestalten, was in zehn Jahren vielleicht Alltag in der Produktion ist", erklärt Vertriebsvorstand Marc Wucherer. Bisher erproben Fertigungsingenieure mit viel Programmierarbeit und Prototypen, wie die Herstellung eines neuen Produkts umgesetzt werden kann.

Das kostet Zeit und Geld, vor allem, wenn bei der Produktion auch noch völlig neue Verfahren zum Einsatz kommen sollen. Im neuen Innovationszentrum von Bosch Rexroth mitten in der Ulmer Wissenschaftsstadt entstehen ganze Fertigungsstraßen virtuell. Ohne viel Aufwand erproben die Entwickler des Maschinenbauzulieferers zusammen mit den Kunden neue Produktionsverfahren und -abläufe. Die Fertigung von morgen wird auf einer großen Simulationswand dargestellt. Den Entwicklern steht so eine Darstellung in Originalgröße zur Verfügung, anhand der sie verschiedene Arbeitsschritte planen und verbessern können.

"Uns geht es nicht um, einzelne Lösungen rund um Industrie 4.0. Wir wollen das große Bild darstellen und Trendsetter für die Industriewelt sein", betont Bosch-Geschäftsführer Rolf Najork, der in Personalunion auch Vorstandsvorsitzender der Tochter Rexroth ist. Rund 20 Millionen Euro hat Bosch seit Baubeginn 2019 in das 20.000 Quadratmeter große Areal investiert. "Hier können wir die Entwicklungsgeschwindigkeit um den Faktor zwei erhöhen", erklärt Najork, der den neuen Standort sogar als "Speerspitze der technischen Entwicklung" sieht. Der Rexroth-Chef hebt die gute Zusammenarbeit mit der Stadt Ulm hervor, die unter anderem das Gebäude, eine frühere Niederlassung der Telekom, über die stadteigene Projektentwicklungsgesellschaft (PEG) zur Verfügung gestellt hat.

Konzern im Konzern

Die Rexroth AG mit Hauptsitz in Lohr am Main zählt zur Industriesparte von Bosch und hat im vergangenen Jahr mit knapp 30.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 5,2 Milliarden Euro erzielt. Der Konzern im Konzern ist in 80 Ländern der Welt aktiv. Hydraulik-Antriebe des Unternehmens bewegen Bau- und Landmaschinen wie auch Schleusentore, Theaterbühnen oder ganze Ölplattformen. Der Konzern beliefert den Maschinenbau mit Fertigungstrassen, Antrieben, Sensoren, und Robotern, für die auch die entsprechende Software entwickelt wird.

Im Zuge der Ansiedlung sei die Kommune wie kaum eine andere aktiv gewesen. Am neuen Standort sind rund 200 Mitarbeiter aus 18 Ländern beschäftigt. Und die Belegschaft wird 2022 auf 250 aufgestockt. Im Gegensatz zur Mutter Bosch, die als größter Autozulieferer der Welt in der Massenproduktion zu Hause ist, ist man bei Rexroth gewohnt, Einzellösungen zusammen mit den Kunden zu erarbeiten. Hauptziel der neuen Einrichtung ist demnach auch der Austausch zwischen Unternehmen und Kunden.

Bei Rexroth will man so verhindern, dass Technologien entwickelt werden, die am Markt dann niemand haben will. "Wir wollen Innovationen erreichen, indem wir unser Wissen mit dem der Kunden und der Hochschulen zusammenbringen", erklärt Wucherer. Nach den Vorstellungen der Rexroth-Spezialisten werden die einzelnen Maschinen, Roboter und Transportwege nach dem jeweiligen Bedarf zusammengestellt. Induktionsschleifen im Boden sowie 5G-Kommunikation ermöglichen Energieversorgung und Datenaustausch, ohne dass aufwändige Kabelverbindungen installiert werden müssen. "Wir arbeiten hier an Lösungen, die vielleicht eines Tages als Industrie 5.0 bezeichnet werden", meint Wucherer.

Der Roboter denkt mit

Der auf Industrie 4.0 spezialisierte Entwickler Peter Greiner demonstriert den Grundgedanken der flexiblen Fabrik an einem kleinen Roboter, der eine empfindliche Platine in ein Werkstück einpasst. Die Maschine kommt dabei ohne das sonst übliche sperrige Schutzgitter aus. Bewegt sich ein Mensch zu nahe heran, bringen entsprechende Sensoren den Roboter automatisch zum Stehen. Wird die Position des Werkstücks verschoben, "findet" der einarmige Mitarbeiter das neue Ziel dank einer speziell codierten Arbeitsfläche, die kürzlich von Bosch patentiert wurde. "Ein zeitraubendes Umprogrammieren entfällt", erklärt Greiner. "Innerhalb weniger Sekunden ist die neue Produktionssituation operativ."

Schnelle Umrüstzeiten mit möglichst wenig Aufwand kommen den Anforderungen vieler Kunden entgegen, deren Produktpalette immer variantenreicher wird. Selbst die Losgröße 1 – also Einzelstücke – ist mit dem neuen Konzept mit überschaubarem Auf wand herstellbar. In einer anderen Ecke steht ein Roboter, der Transportkisten mit einzelnen Teilen auffüllt. Die Verpackungseinheit kann nach Bedarf im Raum aufgebaut werden und übernimmt eine oft nur punktuell anfallende Arbeit in der internen Logistik eines Betriebs.

Normalerweise bindet so eine Tätigkeit stundenweise mehrere Mitarbeiter, die man dann erst wieder für andere Arbeiten einplanen muss. Die einfach einsetzbaren Roboter sind nicht nur leichter planbar, sie stellen auch eine Alternative zur bisher praktizierten Auslagerung bestimmter Ausgaben in Billiglohnländer dar. Nach der Erfahrung durch die Pandemie, als reihenweise Lieferketten wegen Lockdown zusammengebrochen sind, könnte diese Technologie eine interessante Alternative darstellen. An diesen Entwicklungen seien neben den externen Kunden auch viele interne Kollegen aus den verschiedenen Bosch-Fertigungen sehr interessiert, berichtet Greiner.

Der Hintergrund: Bosch entwickelt zu den neuen Produkten traditionell auch die Fertigungsverfahren. Damit verschafft sich der Stuttgarter Technologieriese, der neben Autoteilen unter anderem noch Hausgeräte, Elektrowerkzeuge und Gebäudetechnik produziert, bereits in der Fabrikhalle einen Wettbewerbsvorteil. Know-how ist also vorhanden. Das Ulmer Zentrum soll dem entgegenwirken, was innerhalb des Technologiekonzerns gerne mit "Wenn der Bosch wüsste, was der Bosch weiß" umschrieben wird. Der spartenübergreifende Austausch soll hier also gefördert und das "Bosch-Wissen" konzernintern besser ausgeschöpft werden.

In Ulm kommt das Wissen aus Feldern wie Software, Antriebe, Maschinenbau, Werkstoffe und vieles mehr zusammen. "Uns war darum der Campusgedanke schon bei der Planung sehr wichtig. Deshalb gibt es hier auch keine festen Arbeitsplätze oder starre Hierarchien", erklärt Standortleiter Thomas Fechner. Gearbeitet werde in Projektgruppen, die sich auf Zeit aus Teilnehmern von Rexroth, der Bosch-Gruppe und Externen zusammensetzen. Aus diesem Grund bietet der Standort ein Dach für weit mehr als die Stammbelegschaft. Bis zu 400 Frauen und Männer können hier an neuen Verfahren und Lösungen tüfteln.

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