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Energie & Rohstoffe > Schwerpunkt: ESG

Kampf gegen CO2: Revolutionäre Technologien könnten Milliardenmärkte erschließen

Grüne Revolution: Fossile Brennstoffe verlieren an Boden, Wasserstoff und CO2-Speicherung könnten das Unmögliche schaffen, den Klimawandel bekämpfen und sogar neue Märkte erobern.

Mann mit Laptop in der Nähe von Tanks mit H2-Gas.
(Foto: Shutterstock)

Für die Mehrheit der Wissenschaft besteht kein Zweifel: Kohlendioxid (CO2) ist für den Treibhauseffekt und somit den Klimawandel verantwortlich. Die Verbindung entsteht immer dann, wenn fossile Stoffe wie Kohle, Öl oder Gas verbrannt werden. Das betrifft Industrie, Energiewirtschaft, Fahrzeuge und auch Heizungs- und Klimaanlagen. Und damit rückt die Lebensweise des modernen Menschen in den Fokus.

Zwischen 1850 und 2020 ist die CO2-Konzentration in der Atmosphäre um gut 50 Prozent gestiegen. Die Folgen sind bekannt: Höhere Temperaturen sorgen für Extremwetter mit Hochwasser, Stürmen und Dürreperioden. Die Politik in vielen Ländern der Welt versucht deshalb, Einwohner und Industrie mit teils rabiaten Eingriffen dazu zu bewegen, weniger des Gases zu verursachen. Hier stecken viele Chancen für Unternehmen. So richtig voran geht es aber bisher nicht.

 

Wasserstoff: der große Hoffnungsträger

Wasserstoff: Das Gas kann prinzipiell in Hochöfen, Kraftwerken oder auch Heizungsanlagen direkt verwendet werden. Dann ließe sich in Kraftwerken aus Wasserstoff Strom gewinnen. Und auch für den Betrieb von Autos und Nutzfahrzeugen wäre dies ein alternativer Energieträger. Direkt oder indirekt. So will BMW bis 2028 ein Brennstoffzellenmodell auf den Markt bringen – es wandelt Wasserstoff in Strom um, mit dem es dann fährt. Allerdings rechnen Marktbeobachter nicht mit großen Stückzahlen und das SUV soll voraussichtlich auch nur in den USA vermarktet werden. Dort wurde im Zuge des Inflation Reduction Acts (IRA) auch die Wasserstoffwirtschaft kräftig angeschoben. Entsprechend sind die Mengen gestiegen und die Preise gesunken. Ein Kilo Wasserstoff wird in den USA schon für um die zwei Euro verkauft. In Deutschland kostet das Gas noch etwa zehn Euro und mehr. Die USA gelten auch als einer der künftigen Wasserstofflieferanten.

Aktuell scheitert der flächendeckende Einsatz schon an der Verfügbarkeit. Erst im Sommer wurden die Pläne für ein Wasserstoffkernnetz festgezurrt. Es soll 9666 Kilometer lang sein und bis 2032 fertig werden. „Kernnetz“ bedeutet aber, dass nicht alle versorgt werden. „Bedeutende Wirtschaftsregionen in Baden-Württemberg drohen beim existenziell wichtigen Wasserstoffanschluss abgehängt zu werden“, rügt beispielsweise Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes im Südwesten. Ganze Landstriche in Mittel- und Südbaden, des Schwarzwalds sowie des Bodenseeraums seien bis heute nicht eingeplant.

Der Netzausbau ist auch nicht durchfinanziert, die Kosten werden auf 19,7 Milliarden Euro beziffert. Private Investoren winken ab, weil die Bedingungen des Bundes nicht attraktiv sind. Hier will man bis Ende des Jahres noch an den Einzelheiten arbeiten. Bisher gibt es in Deutschland 420 ­Kilometer reine Wasserstoffpipelines, vor allem firmeninterne. Dann muss auch noch der Bau von Elektrolyseuren mit einer Leistung von insgesamt zehn Gigawatt organisiert werden. Wobei diese dann nur 30 Prozent des wahren Bedarfs decken würde. Sabrina Kremer, Nachhaltigkeitsexpertin bei der Landesbank Baden-Württemberg, bezweifelt, dass die deutsche Industrie schon vor 2040 ausschließlich mit Wasserstoff betrieben werden kann. „Denn ein weiteres Problem sind die hohen Kosten für Strom, Elektrolyseure, stärkere Leitungen und bessere Tanks. Also eine gänzlich neue und teure Infrastruktur.“
Bei der Energieversorgung ist die LBBW-Expertin noch skeptischer: „Wir wissen bisher noch nicht, wo sie überhaupt stehen sollen. Genehmigt sind sie zudem noch lange nicht, also alles noch sehr unkonkret. Ich denke, dass unser Back-up noch bis in die 2040er hinein auf jeden Fall Erdgas sein wird.“ Derzeit rüsten die großen Versorger Ihre Kraftwerke von Kohle auf Gas um. Die seien dann auch „H2-ready“, könnten also mit Wasserstoff laufen, versichert beispielsweise der Energiekonzern EnBW. Doch die Versorger wissen bis heute nicht, wie viele Kraftwerke sie prinzipiell vorhalten müssen, um die schwankende Versorgung durch Wind und Sonne auszugleichen. Die sollen schließlich die Hauptmenge an Strom für Deutschland liefern. Und vor allem: Wer bezahlt den Energieversorgern die zusätzlichen Kosten?

Im Gebäudesektor sehen die Netzbetreiber keinen Einsatzbereich für Wasserstoff, etwa in Heizungsanlagen. Entsprechend denken sie auch nicht daran, die Haushalte ans Wasserstoffnetz anzuschließen. Denkbar wäre allenfalls, dass Fernwärme in die Gebäude kommt, die mit dem Brennstoff erzeugt wurde. LBBW-Expertin Kremer sieht das nicht: „Wasserstoff ist extrem flüchtig und brennbar, dazu sehr teuer. Ich halte damit betriebene Gasetagenheizung für ein Märchen.“ Eine Studie der Beratungsgesellschaft EY schreibt aus Wasserstoff erzeugten Brennstoffen für Luft- und Schiffsverkehr gute Chancen zu. Auf beide Sektoren fallen acht Prozent der Gesamtemissionen in der EU. Vor allem in Schiffen wird häufig besonders emissionsstarkes Schweröl verwendet.

Wasserstoff ist extrem flüchtig und brennbar, dazu auch teuer. Ich halte damit betriebene Gasetagenheizung für ein Märchen.

Sabrina Kremer, LBBW

Pipeline aus Nordafrika

Diese Berechnungen sind nur sinnvoll, wenn tatsächlich grüner Wasserstoff eingesetzt wird, der mit erneuerbaren Energien erzeugt wurde. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, ihn mit Solarstrom in einem Elektrolyseur herzustellen. Doch grüner Wasserstoff ist heute noch zu teuer, sodass es dafür keinen Markt gibt. „Damit sich dieser entwickeln kann, braucht es mehr Pragmatismus und Investitionen in skalierbare Projekte“, sagt EY-Experte Daniel Eisenhuth. Dem stehen hohe wirtschaftliche Hürden im Weg. Weil Deutschland allenfalls ein Drittel des Bedarfs selbst produzieren wird, muss Wasserstoff aufwendig importiert werden. Aus Nord­afrika könnte das Gas über eine Pipeline strömen. Aus ferneren Ländern wie den USA, Indien oder die Vereinigten Arabischen Emirate müsste das Gas zunächst zu besser transportierbarem Ammoniak verarbeitet und am Zielhafen dann wieder zurückgewandelt werden.

Große Pläne, wenig Konkretes: Die Transformation in eine CO2-freie Wirtschaft beginnt also gerade. Deutschland steht erst am Anfang eines sehr langwierigen und technisch anspruchsvollen Prozesses. Wenn fossile Brennstoffe nur schwer zu ersetzen sind, warum dann nicht bei der Produktion entstandenes CO2 einlagern? Dann kann es in der Atmosphäre nicht schaden. Die Idee: Das Treibhausgas so tief in den Boden zu pressen, dass es sich möglichst mit dem umliegenden Gestein verbindet und so nicht mehr an die Oberfläche zurückkehrt. Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2 – kurz CCS (engl.: Carbon Capture and Storage) ist vor allem für energieintensive Industriezweige interessant. Sie haben mangels Wasserstoffs keine Möglichkeit, den Ausstoß zu vermeiden. Dazu zählen beispielsweise Hersteller von Kalk, Zement, zahlreichen chemischen Verbindungen oder Kraftstoffen. Auch für fossil befeuerte Kraftwerke oder Müllverbrennungsanlagen ist dieser Ansatz eine Möglichkeit.

Die CCS-Technologie wird bereits seit 1996 vor der Küste Norwegens eingesetzt. Sie galt dennoch lange als umstritten – auch in Berlin. Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass das CO2 in geeigneten Strukturen sicher gelagert werden kann. Es würden weniger als 0,001 Prozent pro Jahr entweichen. Erdbeben und eine Verseuchung des Trinkwassers seien bei guter Planung sehr unwahrscheinlich. Auch die Kapazität ist – theoretisch –   kein Problem. Allein unter der Nordsee könnten Schätzungen zufolge etwa 150 Milliarden Tonnen CO2 gespeichert werden. Die EU-Kommission hat im Rahmen des 2019 angestoßenen Green Deals ausdrücklich vorgesehen, CO2 einzulagern.

Im Sommer ist jetzt auch die Bundesregierung auf diesen Kurs eingeschwenkt: „Wir wollen gerade auch die vielen mittelständischen Produktionsbetriebe bei der Umstellung auf CO2-arme Verfahren unterstützen“, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Das Programm der neuen „Bundesförderung Industrie und Klimaschutz“ umfasst 3,3 Milliarden Euro bis 2030. Geld gibt es bei einer Projektgröße von 500.000 Euro für kleine und mittlere Unternehmen sowie einer Million Euro für große Betriebe. Ab einem Projektvolumen von 15 Millionen Euro ist eine Co-Finanzierung der Bundesländer von 30 Prozent vorgesehen. Im ersten Modul sind Industriebetriebe angesprochen, die mindestens 40 Prozent ihrer CO2-Emissionen in der Produktion einsparen wollen. „Die maximale Förderung beträgt bis zu 200 Millionen Euro pro Unternehmen“, teilte das Wirtschaftsministerium mit. Betreut wird das Programm vom Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien im brandenburgischen Cottbus.

9666 Kilometer lang soll das Wasserstoff-Kernnetz in Deutschland einmal sein. Bisher gibt es 420 Kilometer.

Quelle: FNB Gas, Eon H2-Bilanz

Fördermillionen vom Staat

Im zweiten Modul des neuen Förderprogramms geht es um die Abscheidung, Speicherung und Nutzung von CO2. Dies gelte aber nur für schwer vermeidbare Emissionen, schränkt das Ministerium in Berlin ein. Diese sei vor allem in den Industriezweigen Kalk, Zement und thermische Abfallbehandlung der Fall. Investitionsvorhaben sind hier mit bis zu 30 Millionen Euro förderfähig, industrielle Forschungsprojekte mit bis zu 35 Millionen Euro. Doch damit ist klar: CCS ist nun auch für die Bundesregierung Teil der Strategie, um bis 2045 klimaneutral zu sein. 

Damit ist CO2 prinzipiell ein Markt geworden. Allein die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid an der Produktionsstätte kostet laut IPCC derzeit mehr als 50 Dollar pro Tonne CO2. Dazu kommen noch Kosten für Investitionen, Transportkosten und Kosten für die Wartung und Sicherung der Lagerstätte. Das deutsche Forschungskonsortium CDRmare spricht von insgesamt 70 bis 150 Euro pro Tonne CO2 bei einer Verpressung in der Nordsee. Die Marktanalysten von Mordor Intelligence schätzen, dass der globale CCS-Markt von heute 2,3 Milliarden Dollar jährlich um 10,6 Prozent zulegen wird. Bis 2029 werde ein Volumen von 3,8 Milliarden Dollar erreicht, wobei der Schwerpunkt in Europa liegt. Langfristig wird der Markt für CCS-Technologien aber in Nordamerika erwartet.

Rüstungsindustrie interessiert

Hier steht auch der deutsche Mittelstand schon in den Startlöchern. Etwa Renk in Augsburg, die durch den Bau von Panzergetrieben und komplexen Prüfständen bekannt geworden sind. Um CO2 in ehemalige Öl- und Gaslagestätten oder in geeignete Gesteinsschichten zu drücken, werden besondere Kompressoren mit Hochleistungsgetrieben benötigt, die nur wenige Unternehmen auf der Welt fertigen. Renk zählt weltweit zu den Top-Anbietern bei diesen Turbogetrieben. Bisher werden sie unter anderem bei der Förderung von Öl und Gas gebraucht. Sie laufen hier bei der Verdichtung vor dem Transport der Rohstoffe durch Pipelines. Sie eignen sich aber auch für CCS.

Hauptakteuer sind aber die großen Öl- und Gaskonzerne. Sie setzen die CCS-Technologie schon länger ein, um so noch mehr Rohstoff fördern zu können – CO2 wird ins Lager gepresst und drückt so Öl oder Gas heraus. Die CO2-Einlagerung wäre für sie also ein lukratives Nebengeschäft. Auch die Produktion von sogenanntem „blauem Wasserstoff“ aus Erdgas könnte mit dieser Technologie klimafreundlich erfolgen.

Neben der Einlagerung kann CO2 auch für den Betrieb von besonderen Kraftwerken eingesetzt werden. Dabei pressen Kompressoren das Gas unter hohem Druck in einen Behälter. Von dort kann das Gas bei Bedarf in den ursprünglichen Tank zurückströmen und dabei eine Turbine zur Stromproduktion in Gang setzen. Vergleichbar mit einem Pumpspeicherkraftwerk wird CO2 mit gerade nicht benötigter Energie gepresst, um später diese Reserve nutzen zu können. Eine erste Versuchsanlage ist auf Sizilien in Betrieb, wo diese Technologie verfeinert werden soll.
Und dann sind da noch Firmen wie Climeworks aus Zürich. Das Unternehmen, von zwei deutschen Maschinenbaustudenten aus der Eidgenössischen Technischen Hochschule ausgegründet, saugt CO2 aus der Luft und speichert es dann. Eine erste große Anlage, Mammoth, schaltete Climeworks im Mai auf Island an. Betrieben wird sie mit günstigem Strom aus Geothermie. Denn wenn sich nichts verringern oder abscheiden lässt, so die Idee, wird das CO2 eben aus der Luft geholt und unschädlich gemacht.

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