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Technologie > Koalitionsverhandlungen

Comeback der Atomkraft? Eine ideologiefreie Prüfung ist unerlässlich

Steigende Strompreise, wachsender Bedarf: Braucht Deutschland doch wieder Atomstrom? Fakten und Positionen im Überblick.

Frau am PC mit Darstellung von Reaktordruckbehältern
(Foto: shutterstock)

Die Diskussion über eine mögliche Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland hat in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD erneut an Brisanz gewonnen. Während die Union eine Reaktivierung stillgelegter Atomkraftwerke befürwortet, lehnt die SPD diesen Schritt entschieden ab. Diese konträren Positionen verdeutlichen die Notwendigkeit einer sachlichen und ideologiefreien Prüfung der Thematik.

Gespaltene Fachwelt und Politik

Die Debatte um die Zukunft der Atomkraft im Rahmen der Energiewende bleibt kontrovers und spaltet Fachwelt wie Politik. Während einige Energieexpertinnen und -experten in der Kernenergie eine sinnvolle Ergänzung zu den erneuerbaren Energien sehen, lehnen andere sie strikt ab.

    Pro

  • Befürworter argumentieren, dass die Atomkraft eine klimafreundliche, sichere und wirtschaftlich tragfähige Option sei, um drohenden Energiemangel abzuwenden. Angesichts des steigenden Strombedarfs – etwa durch den zunehmenden Einsatz energieintensiver Technologien wie Künstliche Intelligenz – fordern sie, bestehende Reaktoren wieder ans Netz zu bringen, um eine stabile und emissionsarme Stromversorgung zu gewährleisten. Die Union, plädiert für eine Rückkehr zur Kernenergie und kritisiert die Abschaltung der Atomkraftwerke während der Energiekrise als strategischen Fehler .

    Contra
  • Dem entgegnen andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit deutlicher Kritik: Sie sehen in der Kernenergie eine veraltete, teure und risikobehaftete Technologie, die zudem den Ausbau erneuerbarer Energien behindere. Der vollständige Atomausstieg in Deutschland habe gezeigt, dass eine sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung auch ohne Kernkraft möglich sei. Strompreise seien gesunken, die Versorgung stabil geblieben und die Treibhausgasemissionen deutlich zurückgegangen. Zudem spiele die Atomkraft schon heute nur noch eine untergeordnete Rolle in der globalen Energieversorgung, während der Anteil erneuerbarer Energien rasant wachse. Die SPD betont in den Koalitionsverhandlungen die Risiken und hohen Kosten, die mit einer Reaktivierung verbunden wären, und verweist auf den gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg .​

    Einigkeit herrscht lediglich in der Einschätzung, dass der Strombedarf künftig stark steigen wird. Der Weg dorthin bleibt jedoch umstritten: mit oder ohne Atomkraft.

Reaktionen der Betreiber und Expertenmeinungen

Die Betreiber der ehemaligen Atomkraftwerke zeigen sich zurückhaltend bis ablehnend gegenüber einer Wiederinbetriebnahme. Der Energiekonzern EnBW hält die Rückkehr zur Atomkraft für ausgeschlossen und verweist auf den fortgeschrittenen Rückbau der Anlagen . Auch andere Betreiber äußern Bedenken hinsichtlich der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit.

Experten warnen zudem vor den hohen Kosten und dem Zeitaufwand, die mit einer Reaktivierung verbunden wären. Ein Bericht der Tagesschau vom Februar 2025 kommt zu dem Schluss, dass eine Rückkehr zur Atomkraft mehr Kosten als Nutzen bringen würde.

Während Deutschland über ein Atom-Comeback debattiert, setzen andere Länder wie Frankreich, Schweden und Italien auf den Ausbau der Kernenergie . Zudem gewinnen technologische Innovationen wie Small Modular Reactors (SMRs) an Bedeutung. So plant beispielsweise ein US-Technologieunternehmen den Einsatz von Mini-Atomkraftwerken zur Energieversorgung seiner Rechenzentren .

Blick in die Geschichte

Anfänge der Atomkraft (bis 1945)

  • 1896: Entdeckung der Radioaktivität durch Henri Becquerel

  • 1898: Marie und Pierre Curie isolieren Radium und Polonium

  • 1938: Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Strassmann

  • 1939–1945: Nutzung der Kernspaltung im Rahmen des Manhattan-Projekts; Bau und Abwurf der ersten Atombomben (Hiroshima, Nagasaki 1945)



Nachkriegszeit und zivile Nutzung (1945–1970er Jahre)

  • 1946: Gründung der US-Atomic Energy Commission zur Förderung ziviler Nutzung

  • 1951: Erstes Kernkraftwerk zur Stromerzeugung in den USA (Experimental Breeder Reactor I)

  • 1954: Erstes ziviles Atomkraftwerk in Obninsk, Sowjetunion

  • 1957: Gründung der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA)

  • 1950er–60er: Ausbau der Kernenergie weltweit – v. a. in USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich, Deutschland

  • 1960er–70er: Kernenergie wird als Zukunftstechnologie angesehen (schnelles Wachstum)



Kritik und erste Unfälle (1970er–1980er Jahre)

  • 1973: Ölkrise beschleunigt Ausbau von Kernkraftwerken

  • 1979: Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island (USA) – wachsender Widerstand

  • 1986: Katastrophe von Tschernobyl (UdSSR) – weltweiter Schock, Proteste, Ausstiegsdebatten



Rückgang und Energiewende (1990er–2000er Jahre)

  • 1990er: Weniger Neubauten, stärkerer Fokus auf Sicherheit, Rückbau beginnt

  • 2000er: Diskussion über Verlängerung oder Ausstieg in vielen Ländern

  • 2000: Deutschland beschließt Atomausstieg unter Rot-Grüner Regierung



Fukushima und globaler Wandel (2010–heute)

  • 2011: Atomkatastrophe von Fukushima (Japan) durch Tsunami

    • Deutschland beschließt endgültigen Atomausstieg bis 2022

    • Viele Länder überprüfen oder stoppen ihre Atomprogramme (z. B. Schweiz, Italien)

  • 2010er–2020er: Debatte über Atomkraft als „klimafreundliche“ Energiequelle

    • Entwicklung neuer Technologien (z. B. Small Modular Reactors, Fusionsenergie)

  • 2023: Deutschland schaltet seine letzten Atomkraftwerke ab

  • Heute (2025): Uneinigkeit weltweit:

    • Pro-Atomkraft: Frankreich, China, Russland, Polen (u. a. wegen Klimazielen)

    • Contra-Atomkraft: Deutschland, Österreich, Australien (Fokus auf Erneuerbare)

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