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Technologie > Nord Stream 2

Der Gasprinz

Über die Gaspipeline Nord Stream 2 will Russlands Präsident Wladimir Putin Deutschland mit Erdgas versorgen. Die USA drohen allen Firmen, die daran mitarbeiten. Die Bundesregierung hält dennoch an dem Projekt fest. Kein Wunder: Es ist einer der größten Aufträge für den deutschen Mittelstand.

Als Robert Krebs sein gleichnamiges Unternehmen 1949 in Hamburg gründete, schien es unwahrscheinlich, dass er damit einmal in die Wirren der Weltpolitik geraten würde. Das Geschäft mit dem Korrosionsschutz jedenfalls ist einerseits unbrisant, andererseits ergiebig. Und so wuchs und wuchs das Unternehmen auf gut 400 Mitarbeiter. Es war dann die Nach-Nachfolgegeneration um Detlev und Manfred Krebs, bei der das Unternehmen auf einmal mit Politik konfrontiert wurde. Dabei hatte man sich schon immer in bewegten Gegenden getummelt. Nach der Wende etwa setzte die Krebs-Gruppe zur Einkaufstour in Ostdeutschland an. Hinzu kamen unter anderem die Rostocker Korrosionsschutz GmbH, die Wismarer Korrosionsschutz GmbH und die Krebs Beschichtungssysteme GmbH. So ging das immer weiter, bis aus dem kleinen Mittelständler ein ziemlich komplexes Geflecht entstanden war. "Im Jahre 2015 folgte dann eine Konsolidierung der Unternehmensgruppe, um für Kunden transparenter zu werden", beschreiben es die heutigen Inhaber.

Wobei das mit dem Transparenter-Werden so eine Sache ist: In die Karten schauen lässt sich das Unternehmen nicht so gerne. Und das liegt an den Geschäftsbereichen, die das Unternehmen nach der Wende übernahm. Da fasste es nämlich Fuß in einer Region Deutschlands, die einerseits für Mittelständler eine der derzeit lukrativsten, aber auch der brisantesten in Deutschland ist: die Insel Rügen, wo am Hafen Mukran die ebenso umstrittene wie milliardenschwere Gaspipeline Nord Stream 2 aus Russland ankommt.

Russland und Deutschland wollen diese bauen. Die USA wollen sie verhindern – weswegen sie Sanktionen gegen alle Firmen, die am Bau beteiligt sind, verhängen. Für die Krebs-Gruppe aus Hamburg war der Auftrag damit zu Beginn des Jahres gelaufen. Die Firma hatte unter anderem die russischen Verlegeschiffe "Fortuna" und "Akademik Cherski" technisch neu ausgerüstet. Aus Vertrags- und Rechnungsunterlagen, die der NDR einsehen konnte, geht hervor, dass man allein für die Arbeiten an der "Fortuna" einen Preis von über 26 Millionen Euro vereinbart hatte. In den Papieren heißt es, dass sich die Vertragsparteien der Gefahr von US-Sanktionen bewusst seien.

Offenbar hat man sie aber dennoch nicht realistisch eingeschätzt. Schließlich zog sich Krebs vor wenigen Wochen doch zurück. Und wirft damit ein Licht auf ein Minenfeld für Mittelständler. Denn seitdem sich Russland und Deutschland darauf einigten, durch die Nord Stream 2 über gut 1200 Kilometer russisches Erdgas durch die Ostsee nach Mukran auf Rügen zu führen, ist dieses Projekt beides: Milliardenversprechen und Milliardenrisiko für die deutsche Wirtschaft und den Mittelstand. Nicht nur für die Zeit, wenn nach Fertigstellung 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich durch die Röhre strömen sollen. Sondern schon jetzt, während des acht Milliarden Euro teuren Baus. Mindestens 350 Mittelständler allein aus Deutschland sind an dem Projekt beteiligt.

Arbeitsagenturen im ganzen strukturschwachen Nordosten der Republik vermitteln Arbeiter an das Projekt. Nach seiner Fertigstellung soll es zudem Garant für international wettbewerbsfähige Energiepreise in der deutschen Industrie sein. Dennoch ist es ein Risiko, das kaum zu leugnen ist. Vor allem die USA, aber auch einige europäische Staaten, fürchten, dass Russlands Präsident Wladimir Putin mit der Pipeline die deutsche Wirtschaft pampern will, sodass die Bundesrepublik Russlands Interessen in (Ost-)Europa vertritt. Für sie ist Putin nicht mehr als ein halbseidener Gasprinz, der die Deutschen mit seinem Geld und seinen Rohstoffen verführen will. Und die USA handeln entsprechend: Der ehemalige Präsident Donald Trump drohte allen Firmen, die sich am Bau beteiligen, mit Sanktionen. Auch sein Nachfolger Joe Biden hat sich bisher noch nicht klar zu dem Thema positioniert. Für die beteiligten Firmen geht es um Milliarden, so oder so. "Die Stärke und Wirksamkeit der amerikanischen Sanktionen sollte man auf keinen Fall unterschätzen", sagt Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.

Wegducken und weiterbauen

Krebs, der Mittelständler aus Hamburg, schweigt mittlerweile zu seinem Engagement rund um die Gasröhre. Und so ist es bei vielen der beteiligten Unternehmen. Aus der Betreibergesellschaft Nord Stream 2 heißt es, man bitte um Verständnis, "dass wir zum notwendigen Schutz dieser Unternehmen vor möglichen Sanktionsrisiken keine Informationen weitergeben". Wer sich bei Mittelständlern dieser Tage erkundigt, wie es mit der Röhre läuft, erhält viele anonyme Zitate oder Schweigen. Der Grund ist klar: Alle wollen ihren geplanten Anteil an den acht Milliarden Euro Baukosten einstreichen, niemand aber möchte dabei ins Visier der sanktionswilligen US-Behörden geraten.

Tatsächlich versuchen die Beteiligten zu retten, was zu retten ist – nachdem die Baustelle ein Jahr lang stillstand. Es fanden sich nach den ersten Drohungen der USA keine Spezialfirmen aus Deutschland mehr, die die Verlegearbeiten durchführen wollten. Mittlerweile legen zwei russische Schiffe die Röhren auf den Meeresboden, es fehlen allerdings auch nur noch wenige Dutzend Röhrenkilometer bis zur Fertigstellung. An dem Projekt ist der russische Gaskonzern Gazprom beteiligt sowie fünf europäische Energiekonzerne mit jeweils 950 Millionen Euro: Wintershall und Uniper aus Deutschland, OMV aus Österreich, Royal Dutch Shell aus den Niederlanden und Großbritannien sowie Engie aus Frankreich.

In einem neun Punkte umfassenden Positionspapier unterstreicht die deutsch-russische Außenhandelskammer neben diesen Projektpartnern auch die Bedeutung der im Bau befindlichen Pipeline für die deutsche und europäische Versorgungssicherheit und fordert die planmäßige Umsetzung des Milliarden-Projektes. Daran sind rund 670 europäische Unternehmen aus den Bereichen Bauwirtschaft, Stahlindustrie, Verkehr, Logistik, Ingenieurwesen, Umwelt sowie Projekt- und Qualitätsmanagement beteiligt. "Etwa 350 dieser Firmen, die direkt für Nord Stream 2 arbeiten, sind Mittelständler, die Hunderte weitere, mittelständische Firmen als lokale Zulieferer und Dienstleister beauftragt haben", heißt es in dem Papier. Das derzeit größte Infrastrukturprojekt der EU hat europaweit 30.000 Arbeitsplätze geschaffen.

Zudem gibt es einen indirekten Effekt für viele Mittelständler – und zwar über die Energiepreise. Deutschland hat bereits heute die höchsten Stromkosten für mittelständische Industriebetriebe, die zusätzlichen Lieferkapazitäten von Gas über die Ostsee-Pipeline werden diversen Studien zufolge die Industriestrompreise in Deutschland drücken. Kein Wunder, dass der Wirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern gleich Energieminister heißt. Und der Sozialdemokrat Christian Pegel lässt keinen Zweifel an der Bedeutung der Pipeline für die Wirtschaft in der Region. "Die Landesregierung befürwortet auch weiterhin den Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Sie ist wichtig für die Energieversorgung in Deutschland – und somit für die Energieversorgung mittelständischer Unternehmen auch in Mecklenburg-Vorpommern", sagt Pegel Markt und Mittelstand. "Wir wünschen uns, dass die Pipeline möglichst schnell fertiggestellt werden kann. Durch die Erweiterung der Ostsee-Pipeline und die transnationale Weiterleitung des russischen Erdgases trägt Deutschland zur gesamteuropäischen Energiesicherheit bei."

Schließlich stoße der Vorgänger, die bereits betriebene Nord Stream 1, an die Grenzen seiner Leitungskapazität. "Und wir wissen", sagt Pegel, "dass wir trotz des Umstiegs auf erneuerbare Energien Gaskraftwerke als Brückentechnologie benötigen werden als Alternative für die Energiequellen Kohle und Atomkraft, von denen wir uns perspektivisch verabschieden werden." Erdgas ist zwar kein erneuerbarer Rohstoff, produziert aber als Übergangstechnologie der Energiewende beim Verbrennen weit weniger schädliche Abgase als Erdöl oder Kohle. Auf dem Weg hin zur grünen und unabhängigen Stromversorgung in Deutschland und Westeuropa brauche man das Erdgas, um die Energieversorgung mittelfristig zu sichern.

In einer repräsentativen Umfrage von Markt und Mittelstand im Rahmen des LAE-Entscheider-Panels unter deutschen Führungskräften sprechen sich 64 Prozent dafür aus, die Pipeline weiter zu bauen. "Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie allen Drohungen gegen Unternehmen und Bürger unseres Landes entschieden entgegentritt", sagt Pegel. Der ehemalige EU-Energiekommissar und heutige Unternehmensberater Günther Oettinger (CDU) befürwortet den Bau ebenfalls, er sagt: "Ich würde Mittelständlern raten, mit der jetzigen, seriösen US-Regierung über die Botschaft in Berlin im Gespräch die Akzeptanz zu suchen."

Tatsächlich hat sich seine Landesregierung mittlerweile einen ziemlich dubiosen Trick einfallen lassen, um das Milliardenprojekt zu retten. Das Land gründete eine Umweltstiftung, die wesentliche Teile der Pipeline wie eine Art Schutzschirm für den örtlichen Mittelstand vor dem möglichen US-Zugriff abschirmen soll. Zwar wettern Umweltschützer und Grüne, dass dieses Manöver grotesk sei. Der Rest der Landespolitik trägt es aber einvernehmlich, sodass derzeit schon die hauptamtlichen Stellen der Stiftung besetzt werden. Wie groß die Hoffnung auf Gasprinz Putin und seine Milliarden sind, zeigt auch die politische Stimmung im Land: Neben den Regierungsfraktionen SPD und CDU stimmte auch die Linke in einer Sondersitzung des Landtages für die Stiftung. Das Konstrukt mit dem offiziellen Titel "Stiftung Klima- und Umweltschutz MV" wird vom Land mit einem Kapital von 200.000 Euro ausgestattet. Die Nord Stream AG hat den Angaben der Landesregierung zufolge zunächst 20 Millionen Euro für die Arbeit der Stiftung zugesichert. Langfristig sollen 60 Millionen Euro investiert werden. Vorrangiger Zweck soll es sein, Klima- und Umweltschutz-Projekte zu fördern. Sie kann aber auch "wirtschaftlich aktiv werden". Laut Landesregierung könnte sie eine Art Warenlager aufbauen. In diesem würden dringend benötigtes Material und Maschinen für den Pipeline-Bau eingelagert. Nord-Stream-Zulieferer könnten so ihre Produkte an die Stiftung verkaufen und würden geschützt.

Um jeden Preis retten

Tatsächlich ist vor allem im Nordosten, aber nicht nur dort, das Interesse daran groß, das Projekt um fast jeden Preis zu retten. Nicht nur, weil die Pipeline selbst nun fertig ist. Sondern weil sie nach Inbetriebnahme neben Gas auch eine Art Wohlstandsstrom durch Deutschland schicken wird: Entlang der Infrastruktur zur Verteilung des Gases sind bereits zahlreiche Geschäftsmodelle und Ertragserwartungen entstanden. Zur Weiterleitung des Gases in Deutschland und weiteren Teilen Europas haben Unternehmen für mehr als drei Milliarden Euro Infrastruktur in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen errichtet, die bereitsteht, um durch Nord Stream 2 transportiertes Gas an der Ostseeküste aufzunehmen.

So entstand etwa die Eugal. Die Betreibergesellschaft hat eine Pipeline durch die Republik gezogen, die das russische Erdgas weiter verteilen soll. Zwar sagt deren Sprecher, Georg Wüstner, dass man auch ohne das russische Gas bereits arbeite. Dennoch hängt die Wirtschaftlichkeit der Röhre an Nord Stream 2. Deswegen ist nun die große Frage: Wer setzt sich durch – Gasprinz Putin oder der neue Transatlantiker im Weißen Haus, Joe Biden? Derweil haben einige Firmen vor Ort ihr Risiko diversifiziert: Während die Welt noch über den Ernst der US-Sanktionsdrohungen rätselte, entstand plötzlich Bewegung auf dem Bauplatz auf Rügen. Lkws begannen, dort lagernde Röhrenteile abzutransportieren. Das Geheimnis war schnell gelüftet: Die Installationsfirma siedelte die Röhrenteile nur wenige Kilometer um, nach Lubmin. Dort baut Polen gerade eine Pipeline, die Gas aus Norwegen in das Land bringen soll. Ein totales Konkurrenzprojekt für die Nord Stream. Aber auch mit einem Volumen von zwei Milliarden Euro ausgestattet. Und angewiesen aus Röhren aus dem Mittelstand.

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