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Technologie > „Gestrandete Investitionen“

Deutsche Top-Ökonomen sprechen vernichtendes Urteil über Flüssiggas-Terminals

In Rekordzeit errichten Bund und Länder derzeit Flüssiggas-Speicher für mehr als 10 Milliarden Euro Baukosten entlang der Küsten. Sogar ein noch intakter Teil der Nord Stream-Pipeline soll dafür genutzt werden. Doch Wissenschaftler sind sich längst einig: Hier entstehen nur noch Investitionsruinen. Olaf Scholz und Robert Habeck halten dennoch daran fest.

Auf Rügen bilden Demonstranten eine Menschenkette. Sie protestieren gegen das geplante Flüssigerdgas-Terminal.
Auf Rügen bilden Demonstranten eine Menschenkette. Sie protestieren gegen das geplante Flüssigerdgas-Terminal. Bildnachweis: picture alliance/dpa | Frank Hormann

Noch im vergangenen Jahr als schnelles Wunder deutscher Planungs- und Ingenieurskunst gepriesen, steht der Nutzen der entstehenden gigantischen Flüssiggasspeicher an den Küsten von Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen inzwischen mehr und mehr in Frage. Das Problem: In der Not und als das Gas im vergangenen Jahr knapp war, ist mit dem Bau von elf Terminals begonnen worden. Inzwischen aber zeigt sich: Bund und Länder haben am tatsächlichen Bedarf vorbeigeplant. Es gibt zu viele Speicher. Das von Top-Ökonom Marcel Fratzscher geleitete Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW kommt in einem aktuellen Gutachten sogar zu dem vernichtenden Urteil: Bei den Flüssiggasterminals handele es sich „um zukünftige gestrandete Investitionen („stranded assets“), die unterbleiben sollten“.

Vor Weihnachten war das erste deutsche Flüssiggas (LNG)-Terminal in Wilhelmshafen in Betrieb gegangen. Die Freude über die kurze Bauzeit war selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) anzumerken, als er das fertige Bauwerk am 17. Dezember besichtigte. Er lobte die schnelle Umsetzung und sprach vom „neuen Deutschland-Tempo, mit dem wir Infrastruktur voranbringen“. Doch das Deutschland-Tempo könnte tatsächlich etwas zu hoch gewesen sein.

Allein das Wilhelmshavener Terminal soll künftig mehr als acht Prozent des deutschen Gasbedarfs abdecken können. Bis Ende 2026 sollen sieben weitere schwimmende sowie drei feste LNG-Terminals dazukommen. Alle Anlagen zusammen verfügen nach Angaben des Kölner New Climate Institute über eine Importkapazität von jährlich rund 73 Milliarden Kubikmetern. Damit wäre Deutschland in der Lage, etwa 50 Prozent mehr Erdgas einzuführen, als ursprünglich mit 46 Milliarden Kubikmetern aus Russland bezogen wurden.

Damit nicht genug. Jüngst überraschten der Energiekonzern RWE und das Land Mecklenburg-Vorpommern die Öffentlichkeit mit der Idee, den unzerstörten Teil der Nord Stream-Pipelines zum Transport von Flüssiggas zu nutzen. Vor der Insel Rügen könnte eine Bohrinsel-ähnliche feste Anlandestation entstehen. Das dort per Tanker ankommende Flüssiggas soll dann durch die Nord-Stream Pipelines in den Hafen von Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern gepumpt werden. Das Rügener Projekt stellt alle bisherigen LNG-Terminals in den Schatten. Vorgesehen ist eine Einspeisekapazität von bis zu 38 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr. Derzeit läuft das Genehmigungsverfahren.

Die DIW-Wissenschaftler rechnen mit diesem und anderen Projekten nüchtern ab. Das klingt so: „Angesichts der großen Unsicherheiten bezüglich der Erdgasversorgung im Frühling 2022 war es rational, dass die deutsche Energiepolitik sich für die Option von schwimmenden LNG-Terminals einsetzte. Dies hat jedoch dazu geführt, dass die Gaswirtschaft diese Chance zum Bau von Projekten weit jenseits der absehbar sinnvollen Mengen genutzt hat. Daher ist es höchste Zeit, die Umwandlung von schwimmenden in feste Terminals zu stoppen und die Verstetigung der LNG-Importe zu verhindern.“ Im Gegensatz zu schwimmenden Terminals „haben örtlich gebundene Importterminals an Land eine Lebenszeit von mehreren Jahrzehnten und gehen damit deutlich über die Restverweildauer von fossilem Erdgas im deutschen und europäischen Energiesystem hinaus. Weitere Ausbaupläne von LNG-Terminals an der deutschen Nord- und Ostseeküste erscheinen daher aus energiewirtschaftlicher und aus klimapolitischer Perspektive als kontraproduktiv.“

Die Studie ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die den Bau vor Ort aufhalten wollen. Bürgermeister und Kurchefs der Badeorte Mönchgut, Sellin, Baabe, Göhren und Binz warnen in einem offenen Brief vor „irreparablen Schäden", die über die Zerstörung des Ökosystems hinausgingen. Bau und Betrieb von LNG-Terminals seien „extrem klima- und umweltschädlich", betonen sie. Angesichts der in Europa bereits verfügbaren LNG-Terminal-Infrastruktur sehen die Kommunalpolitiker keine Notwendigkeit, weitere Kapazitäten zu schaffen. Selbst Till Backhaus, SPD-Umweltminister in Mecklenburg-Vorpommern gesellt sich inzwischen zu den Kritikern und stellt sich gegen die Linie seines Parteifreunds Olaf Scholz: Es sei zu fragen, sagt Backhaus, „ob der Bedarf überhaupt wirklich notwendig“ ist. Das müsse alles noch „bewiesen und nachgewiesen werden. LNG hate langfristig keine Zukunft.“ Kritik kommt auch von den Grünen. Der Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak sagte jüngst dem Handelsblatt: „In den aktuellen Plänen der Bundesregierung gibt es so große Sicherheitspuffer, dass die Gefahr fossiler Überkapazitäten droht – mit großen ökologischen und ökonomischen Risiken.“

Bei Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) hat dieser geballte Unmut bislang allerdings nicht zu einem Umdenken geführt. „Wir preisen Risiken ein, planen zur Vorsorge mit Sicherheitspuffern, schaffen Flexibilität und handeln in europäischer Solidarität“, sagte Habeck. Sein Ministerium versandte jüngst einen Bericht zur LNG-Infrastruktur an den Haushaltsausschuss des Bundestags, weil für den Ausbau weitere 1,6 Milliarden Euro aus dem Haushalt locker gemacht werden sollen. Insgesamt steigen die Kosten für die LNG-Terminals damit auf knapp 10,5 Milliarden Euro.

Die Opposition kritisiert den Antrag auf zusätzliches Geld scharf. „Die Forderung nach neuen Milliarden offenbart die Chaosplanungen des Bundeswirtschaftsministeriums“, sagte Christian Haase (CDU), haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. 
 

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