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Technologie > Umweltschutz

Deutsche Umwelthilfe bereitet Klimaklagen gegen Unternehmen vor

Ziel ist vor allem der Energie- und Klimasektor. Beobachter fürchten eine Prozesslawine. Diese würde wegen der öffentlichen Wirkung sehr wahrscheinlich große Unternehmen mit bekannten Namen treffen.

Für viele Unternehmen kann es bald ungemütlich werden. Die Deutsche Umwelthilfe bereitet Klagen für mehr Klimaschutz vor. Der Verein rechnet sich gute Chancen aus, vor Gericht zu gewinnen. Vorbild ist ein Urteil gegen Shell, wonach der niederländisch-britische Ölkonzern seinen CO2-Emissionen drastisch einschränken muss. Und es könnten mehr Klagen werden: Mancher Beobachter erwartet eine Prozesswelle.

Die Umwelthilfe ist bei manchen Unternehmen gefürchtet. Sie hat bereits der Autoindustrie im Abgasskandal mit unabhängigen Tests zugesetzt – trotz enormen Drucks aus der Branche. Vielen bekannt wurde sie, als sie in den vergangenen Jahren in vielen Städten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge einklagte. Dabei ging es um zu hohe Stickoxidbelastungen mit Folgen für die Gesundheit der Einwohner.

Wann die Klagen eingereicht werden und welche Unternehmen genau es treffen soll, verrät die Umwelthilfe nicht. Sie konzentriere sich "lediglich auf klimaschutzrelevante Branchen". Es gibt aber dennoch einen Hinweis: "Alle Branchen, die einen hohen Ausstoß an Treibhausgasen mit sich bringen, müssen einen Pfad aufweisen, der zu einer beschleunigten Treibhausgasneutralität führt. Dies gilt vor allem im Energie- und Verkehrssektor", heißt es auf die Frage, wo sich Klimaschutzklagen besonders lohnten. Und es wird wegen der öffentlichen Wirkung sehr wahrscheinlich große Unternehmen mit bekannten Namen treffen.

Die Umwelthilfe ist zuversichtlich, vor Gericht zu gewinnen. "Die Chancen sind sehr gut", hieß es. "Sowohl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz als auch die internationalen Entwicklungen, wie das Urteil zu Shell, zeigen, dass Klimaschutz der Erfüllung von Grundrechten und damit den Rechten der Menschen dient."

Die beiden genannten Urteile haben die Kräfteverhältnisse etwas verschoben. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung Ende April gekippt. Sie verdonnerte die Politiker dazu, das Gesetz zu verschärfen und mehr CO2 einzusparen als geplant war. In seiner bestehenden Form belastet es demnach die künftigen Generationen über Gebühr, unter anderem weil es nur Sparziele bis 2030 vorsah.

Und dann verlor der multinationale Ölkonzern Shell Ende Mai spektakulär einen Prozess. Ein Bezirksgericht in Den Haag befand der Konzern sei mit Schuld an der Erderwärmung. Shell muss seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um netto 45 Prozent senken – gegenüber dem Stand von 2019. Geklagt hatten niederländische Klimaschützer. Der Konzern hat zwar ein aus seiner Sicht ambitioniertes Klimaschutzprogramm, das allerdings bei weitem nicht drastisch ausfällt. De facto müsste sich Shell von Teilen seines Geschäfts verabschieden. Das Unternehmen will in Berufung gehen.

Experten werteten das Urteil als zukunftsweisend. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte damals im Deutschlandfunk, es mache deutlich, "dass mit Klimaverschmutzung kein Geld mehr zu machen ist beziehungsweise die intergenerationale Gerechtigkeit es auch nicht zulässt."

Beide Prozesse geben auch Green Legal Impact aus Berlin Auftrieb. Der Verein startete im Dezember 2019 und sieht Recht als strategisches Instrument für mehr Umweltschutz. Im Vorstand sitzt mit der Hamburger Rechtsanwältin Roda Verheyen jene Anwältin, die das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hat. "Es gibt ein großes Vollzugsdefizit im Umweltrecht", sagt Geschäftsführerin Henrike Lindemann. "Wir sehen uns als Katalysator: Wir beraten, unterstützen und arbeiten daran, dass Umweltrecht überhaupt einklagbar sein muss." Selbst klagen will der Verein nicht.

Es geht vor allem darum, den Zugang zu Gerichten zu erleichtern und strategische Klagen zu koordinieren, wie auf der Internetseite des Vereins zu lesen ist. Auch Fortbildungen für Anwälte und angehende Juristen "zu strategischen Klagen für den Umweltschutz" sind vorgesehen. Zudem wolle der Verein die Rolle der Gerichte stärken.

Sollten Umweltschadensfälle einen Bezug zu Deutschland haben – weil es ein deutsches Unternehmen beteiligt oder Geld aus der Bundesrepublik investiert wurde – will Green Legal Anwälten helfen, wenn sie " über EU-Mechanismen und -Recht Zugang zu Gerichten suchen", also Klagen zum Beispiel vor deutschen Gerichten unterstützen.

Es könnten Fälle wie der von Saúl Luciano Lliuya sein. Der peruanische Landwirt verlangt vom Energieerzeuger RWE eine Entschädigung. Sein Haus in den Anden, droht, von einem Gletschersee überschwemmt zu werden, weil der dazugehörende Gletscher schmilzt. Die CO2-Emissionen der RWE-Kraftwerke haben dem Kläger zufolge eine Mitschuld. Der für Deutschland bisher einmalige Fall liegt vor dem Oberlandesgericht Hamm und ist noch nicht entschieden.

Klima- und Umweltklagen beschäftigen auch Rechtsanwalt Remo Klinger. Er sagte der "Welt am Sonntag", dass wir uns auf allen in Betracht kommenden rechtlichen Ebenen mit weiteren Verfahren befassen und diese aktuell vorbereiten". Seine Berliner Kanzlei ist auf öffentliches Recht spezialisiert und war beteiligt an der Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. Vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin laufen gerade noch zwei weitere Verfahren gegen den Bund, bei denen die Kanzlei den Kläger vertritt: die Deutsche Umwelthilfe.

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