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Baurecht von gestern, Ziele von morgen: Warum Deutschland jetzt den Bau-Turbo braucht

| Lamia Messari-Becker

Bauen ist teuer, normiert und rohstoffintensiv. Reformen, Innovationen und Kreislaufwirtschaft sollen Klima und Kosten entlasten.

Eine moderne Stadtbaustelle im Wandel – Solarpanels und Grünflächen
Die Bauwirtschaft steht zwischen Klimaschutz und Kostendruck – Reformen und Innovationen sollen den Weg in eine nachhaltige Zukunft ebnen. (Foto: MuM/Ki)

7.10.2025 von Lamia Messari-Becker für Markt und Mittelstand

Bauen steht für ein Drittel des CO₂-Ausstoßes, 40 Prozent des Energieverbrauchs, die Hälfte des Ressourcenverbrauchs, etwa 60 Prozent des Abfalls und 70 Prozent des Flächenverbrauchs. Bauen ist umweltrelevant. Mit einer Bruttowertschöpfung von 730 Milliarden Euro (2023, ohne öffentliche Investitionen) ist die Immobilienwirtschaft zudem der ökonomisch stärkste Sektor in Deutschland, noch vor der Automobilwirtschaft. Keine Branche ist so stark mit anderen Wirtschaftszweigen vernetzt, ob mit Anlagenbau, Chemie, Energie oder Verkehr. Bauen ist rohstoff- und materialintensiv. Mit einer innovativen Kreislaufwirtschaft lässt sich hier mehr Klima- und Ressourcenschutz erreichen als in anderen Bereichen. Und noch viel wichtiger: Wie wir bauen, prägt unsere sozialen Lebensräume. 

Nach Jahrzehnten der Regulierung ist Bauen aufwendiger und teuer geworden – und dabei nicht besser oder gar ökologischer. Azubis, Studierende und vor allem die Mittelschicht finden kaum bezahlbaren Wohnraum. Hinzu kommt, dass der Bausektor rasante Veränderungen der Arbeitswelt stemmen muss, ob durch Digitalisierung oder künstliche Intelligenz. Parallel stieg die staatlich verursachte Bürokratie weiter. 

Unsere Städte müssen dem Klimawandel besser widerstehen können. Zum einen müssen wir die kritische Infrastruktur schützen, damit Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung im Katastrophenfall nicht zusammenbrechen. Zum anderen brauchen wir mehr Grün und Wasser im Außenraum, Schattenplätze, geeignete Materialien, Grün- statt Steingärten, Renaturierung und Entsiegelung, um Hitze oder Starkregen besser aushalten zu können. Kurz: Eine Bodenpolitik, die die Balance zwischen Grün, Blau und Grau verfolgt. 

Wir müssen ökologischer bauen und kostengünstiger. Dafür sind Reformen und Innovationen nötig. Denn unsere Ziele sind von morgen, unser Baurecht aber ist von gestern: Es ist 50 Jahre alt, umfasst inzwischen knapp 3800 Baunormen. So ist Bauen nicht in der Lage, den gesellschaftlichen Wandel zu begleiten, geschweige denn aktiv zu fördern. Bauen muss daher substanziell einfacher werden, um weniger Rohstoff zu verbrauchen, Bürokratie zu verringern und die Kosten zu senken. 

16 Länderbauordnungen sind 15 zu viel

Inzwischen haben sich Komfort- und Sicherheitsstandards etabliert, die überzogen sind. Standards haben ihre Berechtigung, etwa definierte Qualitäten für alle zu etablieren. Sie machen Leistungen vergleichbar und stärken den Verbraucherschutz. Sie wollen meist übertroffen werden und sollten eigentlich Innovation fördern. Zu viele Normen machen Bauen aber schlicht nicht mehr handhabbar. Derzeit gibt es vor allem gut gemeinte Vorgaben, die aber Sinnvolles behindern. 

Ein Beispiel: Neubauten werden immer energieeffizienter. Die Hülle ist dichter, um Wärmeverluste durch Undichtigkeiten zu vermeiden. Bleibt Lüften. Um dort Wärmeverluste zu vermeiden, gibt es dann Lüftungsanlagen. So verursacht jede Maßnahme weitere. Ressourcen-, Kosten- und Wartungsaufwand steigen. Und all das nur, um das Heizen zu optimieren. Klüger und innovativer wäre eine CO₂-Bilanz, die Energieaufwand und CO₂-Ausstoß für die eingesetzten Baustoffe mitdenkt. 

Solides Bauen, mit angemessenen Standards, etwa Gebäudetyp E (E wie einfach), muss etabliert und baurechtlich abgesichert werden. Auch serielles Bauen hilft, schneller, günstiger und ökologischer zu bauen. Das ist kein Plattenbau. Es geht darum, Baukonstruktionen in Serie zu planen, die Werksplanung vorzuziehen, um sie auf der Baustelle schneller, mit weniger Lärm und weniger Abfall zu bauen. In Zeiten von Fachkräftemangel hilft es auch, Kapazitäten zu bündeln und Ressourcen zu sparen. 

Bauen muss weiter produktiver und digitaler werden. Das gelingt nur, wenn der Innovationskraft der Baubranche eine Priorität eingeräumt wird, in der Forschungs- wie auch in der Wirtschaftspolitik. Digitale Bauakten, die sicher vieles erleichtern, sind da nur ein Beginn.  

Und wir können nicht alles neu bauen. Die Zukunft ist der Bestand. Die Herausforderung liegt darin, bestehende Strukturen, Quartiere und Gebäude Schritt für Schritt anzupassen. Wir brauchen ein Umbaurecht: Umnutzung von Büros in Wohnungen, genehmigungsfreie Aufstockungen, Nachverdichtung, kürzere Planungszeiten. Auch für eine Wärmewende im Bau sind Reformen nötig. Neben Sanierungsfahrplänen für Gebäude sollten Gebäudeenergieeffizienzrichtlinien dringend Quartierslösungen einbinden, die Einzelfalllösungen weit überlegen sind. Im Quartier lässt sich einfacher sanieren, erneuerbare Energien besser gewinnen und nutzen. Unsere Bebauungspläne geben heute teilweise noch Dachneigungen vor, die den Photovoltaik-Ertrag deutlich schmälern können. Parallel ordnen manche Kommunen Solarpflicht an. Das Beispiel verdeutlicht das Bau-Absurdistan in Deutschland. Wir brauchen dringend ein reformiertes Baurecht, das den gesellschaftlichen Wandel begleiten kann. Der Bau-Turbo der Bundesregierung ist da nur ein Baustein, und das nur bis 2030, eine zu kurze Zeit. 

Und: 16 Länderbauordnungen sind 15 zu viel. Ein bereits genehmigtes Bauprojekt in einem Bundesland sollte mit geringsten Anpassungen im Nachbarbundesland genehmigt werden. Anderenfalls behindern wir Wissenstransfer in der Praxis. Das kostet Zeit, Geld, Ressourcen und Kapazitäten. 

Viele Mittelständler, auch im Baubereich, suchen Nachfolger. Bei all den erwähnten Herausforderungen bleibt dies oft erfolglos. Gelingt eine Nachfolge nicht, gehen über Jahrzehnte aufgebaute Kompetenzen verloren. Für die Industriestruktur in Deutschland hätte das negative Folgen. Denn 90 Prozent der Arbeitsplätze entstehen hierzulande in kleinen und mittelgroßen Unternehmen. 

Eine Bau- und Klimapolitik, die auf Reformen, Innovation und Ermöglichen setzt und eben nicht auf komplizierter, teurer und unerreichbar, wäre in der Lage, private Investitionen freizusetzen, auch im Sinne der Stabilisierung der Binnenwirtschaft. Denn weder kann der Staat alles lösen, noch ist er der bessere Unternehmer. 

Die Autorin

Lamia Messari-Becker ist Bauingenieurin, Professorin für Energieeffiziente Gebäudetechnik am Karlsruher Institut für Technologie und Mitglied im Club of Rome. 

Bauen in Zahlen

  • 1/3 des deutschen CO₂-Ausstoßes
  • 40 % des Energieverbrauchs

  • 50 % des Ressourcenverbrauchs

  • 60 % des Abfalls

  • 70 % des Flächenverbrauchs

  • 730 Mrd. € Bruttowertschöpfung (2023, ohne öffentliche Investitionen) – größte Branche vor der Autoindustrie

  • Herausforderungen

  • 3800 Baunormen und 16 Länderbauordnungen bremsen Innovation

  • Bürokratie und hohe Kosten verhindern Tempo und Bezahlbarkeit

  • Fachkräftemangel und fehlende Nachfolger gefährden Mittelstand

  • Städte müssen klimaresilienter werden (Hitze, Starkregen, Grünflächen)

  • Reformideen

  • Vereinfachung der Bauvorschriften, Etablierung Gebäudetyp E („einfach“)

  • Serielle Bauweisen: schneller, günstiger, weniger Abfall

  • Digitalisierung: Bauakten, Planungsprozesse, Produktivität steigern

  • Bestand im Fokus: Umbau statt Neubau, flexible Umnutzung, genehmigungsfreie Aufstockungen

  • Quartierslösungen statt Einzellösungen für Energie- und Wärmewende

  • Vereinheitlichung der Bauordnungen, Wissenstransfer erleichtern

Der Artikel erschien in der Print-Ausgabe Nr. 8 (Oktober 2025) von Markt und Mittelstand.

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