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Energie & Rohstoffe > Die neue Sonne

Deutschlands Weg zur Kernfusion: Erste Fusionskraftwerke geplant

Deutschland will Vorreiter in der Kernfusion werden. Start-ups, Milliardeninvestitionen und große Visionen treiben die Zukunft der Energie voran.

Komplexe Form: Im Inneren des Fusionsreaktors ­Wendelstein 7-X in Greifswald schwebt Plasma in einer Art Donut, der in sich verdreht ist. Dieses Bild stammt aus der Bauphase und zeigt, dass selbst Stahlarbeiten nur mit Schutzanzügen möglich waren. Übrigens gleicht kein Teil dem anderen. (Foto: Max-Planck-Institut für Plasmaphysik/Wolfgang Filser)

In Deutschland soll das erste Fusionskraftwerk der Welt entstehen. Technologisch ist die Bundesrepublik weit vorn. Unternehmer sind zuversichtlich. Nur es dauert alles. 

Von Björn Hartmann 

Saubere Energie, günstig, in praktisch unbegrenzter Menge und rund um die Uhr verfügbar: Kernfusion verspricht all das. Seit Jahrzehnten wird geforscht, gebaut, experimentiert – und in zum Teil höchsten Tönen darüber geredet. Bisher funktioniert alles nur in der Theorie. Doch inzwischen deutet sich an, dass es etwas werden kann mit einem rentablen Fusionskraftwerk. Risikokapitalgeber pumpen Milliarden in private Firmen, die eine praktische Lösung versprechen. Sie würde auf lange Sicht fossile Brennstoffe, Wind- und Solaranlagen ergänzen beziehungsweise überflüssig machen. Auch die neue Bundesregierung will das Thema vorantreiben. CDU-Chef Friedrich Merz sagte bereits, dass der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland stehen solle. Ihm scheint die Technologie allemal lieber zu sein als die „hässlichen“ Windkrafträder. Diverse Schwierigkeiten sind noch zu lösen. Und es kostet Geld, sehr viel Geld. Die Bundesrepublik, so viel ist auch klar, hat gute Chancen, denn sie ist technologisch ganz vorn dabei. 

Es dürfte dauern. Ein Bonmot besagt seit Jahrzehnten, dass der Durchbruch stets 30 Jahre entfernt ist. „Wir rechnen damit, dass ein funktionierender Fusionsreaktor in etwa zwei Jahrzehnten fertiggestellt werden könnte“, sagt dagegen Sibylle Günter, wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München, Deutschlands herausragende Forschungsstätte für die Technologie. „Dazu müsste das Budget aufgestockt werden – um etwa eine Milliarde Euro pro Jahr –, um geplante Vorhaben vorzuziehen, zu beschleunigen und teilweise zu parallelisieren.“ Zuletzt erhielt das Institut rund 146,6 Millionen Euro von Bund und Ländern. „Die Politik muss rechtliche Rahmenbedingungen für die Genehmigung eines solchen Kraftwerks schaffen“, sagt Wünsch. „Und wir brauchen mehr Ausbildungskapazitäten, um die Zahl der Fachleute zu erhöhen.“

Bei der Kernfusion geht es kurz gefasst darum, Atomkerne zusammenzubringen. Deuterium und Tritium, zwei besondere Formen des Gases Wasserstoff, sollen fusionieren. Dabei entstehen das Edelgas Helium und Neutronen. Letztere liefern die Energie. Was einfach klingt, ist sehr kompliziert. Solche Prozesse laufen in der Sonne ab, weil das Zentralgestirn eine enorme Masse hat. Auf der Erde sind andere Strategien nötig. Verfolgt werden zwei Ansätze: Der Fusionsprozess kann einerseits in einem mehr als 100 Millionen Grad heißen Plasma angeregt werden, das Magneten lange in der Schwebe halten. Andererseits kann Materie in der Größe eines Pfefferkorns mit einem präzisen Laser beschossen werden, die Energie des Strahls erzeugt das Plasma und setzt die Fusion in Gang. 

Strom zu gewinnen, ist das vermutlich Einfachste bei der Kernfusion. Die Neutronen werden von der Wand des Reaktors aufgefangen, die sich erhitzt. Mit der Hitze wird Wasser verdampft, das eine Turbine antreibt, die wiederum Strom liefert. Ähnlich läuft das auch in Gas-, Kohle- und Atomkraftwerken. Klingt einfach und plausibel? Ist in der Realität aber sehr kompliziert. Sichtbar wird das zum Beispiel in Greifswald. Dort steht Wendelstein 7-X: silbrig glänzendes Metall, unregelmäßig gewölbt, ein Gewirr an Kabeln und Leitungen. Die Anlage des IPP ist weltweit einmalig. Sie hat einen Innendurchmesser von gut 15 Meter und die Form eines hohlen Donuts mit sehr vielen Dellen. Der Donut besteht aus Magneten, einzeln angefertigt. Die Form ist so optimiert, dass sich das Plasma besonders effizient erzeugen lässt. Strom liefert die Anlage, ein sogenannter Stellarator, nicht. Dafür ist sie zu klein. Das IPP betreibt auch Asdex, eine Anlage in Donut-Form wie Wendelstein, aber nicht eingedellt, ein klassischer Tokomak. 

Schub durch privates Kapital 

Was bisher fehlt, ist eine kommerzielle Nutzung. Damit beschäftigen sich vermehrt private Unternehmen. Sie hatten bis Mitte 2024 weltweit 7,1 Milliarden Dollar eingesammelt, wie die Unternehmensberatung Artur D. Little ermittelt hat. Insgesamt 47 Fusionsunternehmen weltweit arbeiten an Reaktoren, vier davon in Deutschland. Gauss Fusion (Garching) und Proxima Fusion (München) setzen auf die Stellarator-Technik. Bei beiden arbeiten ehemalige Beschäftigte des IPP, das auch jeweils Partner ist. Marvel Fusion (München) und Focused Energy (Darmstadt) setzen auf Laserfusion, unterstützt werden sie unter anderem von der Bundesagentur für Sprunginnovation Sprind. 

„Start-up-Unternehmen bringen eine neue Dynamik in unser Gebiet“, sagt IPP-Direktorin Günter. „Sie können bei der Entwicklung Risiken eingehen, die für die staatliche Forschung ausgeschlossen sind und zu einer Beschleunigung führen.“ Der Bau einer kommerziellen Anlage sollte ihrer Ansicht nach idealerweise unter Führung der Industrie geschehen, um das dort vorhandene Know-how beim Management großer Projekte zu nutzen. Danach wäre Gauss Fusion besonders gut aufgestellt. Hinter dem Unternehmen, 2022 gegründet, steht ein Konsortium von Firmen aus Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, die bereits Teile für große Fusionsforschungsanlagen wie Wendelstein, Jet, JT60 oder das internationale Gemeinschaftsprojekt Iter in Südfrankreich geliefert haben. 

Üblicherweise bauen Fusionsfirmen erst einmal einen sogenannten Demonstrator, der zeigt, ob die Technologie funktioniert, erst danach kommt dann der richtige Reaktor. Gauss Fusion geht anders vor, wie Chefin Milena Roveda sagt. „Die Indus­trie denkt wirtschaftlich. Wir sparen uns Zwischenschritte und bauen ein Kraftwerk in der nötigen Größe.“ Die Technik werde getestet, während das Kraftwerk gebaut werde. „Wir können die Anlage immer wieder dank der gewonnenen Erkenntnisse anpassen“, sagt Roveda. Gauss Fusion peilt den Baubeginn für 2028 bis 2030 an. Geplant ist eine Anlage mit einer elektrischen Leistung von einem Gigawatt, die letzten deutschen Atomkraftwerke hatten etwa 1,4 Gigawatt Leistung. Der Reaktor soll einen Durchmesser von 56 Metern haben. 

Wenn es mit dem Kraftwerk noch Jahre dauert, wie wird Geld verdient? Bisher hat Gauss Fusion rund 30 Millionen Euro eingeworben, zu wenig für ein Kraftwerk, für das Milliarden nötig sind – allerdings nicht sofort, sondern über zehn, 20 Jahre. „Wir werden bereits über unsere Patente Geld verdienen“, sagt Roveda, etwa für die Tritium-Herstellung und für besondere, vereinfachte Magnete. 

Weit vorn sieht sich auch Markus Roth, Mitgründer von Focused Energy in Darmstadt. „Wir sind das führende Laserfusionsunternehmen der Welt.“ Er ist Professor an der Technischen Universität dort und beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit dem Thema. Und er ist zuversichtlich, dass es funktioniert. Bei der Laserfusion sind Tritium und Deuterium tiefgekühlt in einer Kugel mit drei Millimetern Durchmesser und Plastikhaut eingeschlossen – zumindest bei Focused Energy. Per Laser wird Energie auf die Kugel geschossen, in der die Fusion abläuft. Ist die Kugel abgebrannt, muss eine neue in den Reaktor eingeschossen werden. Damit das Ganze in einem Kraftwerk funktioniert, muss der Prozess zehnmal pro Sekunde ablaufen, technisch nicht ganz einfach. 

Immerhin hat die Laserfusion 2022 bewiesen, dass aus einem Kügelchen mehr Energie herauskommen kann, als für den Laser nötig war. Das Experiment lief in den USA auf einer recht alten Anlage. „Drei der vier verantwortlichen Forscher aus den USA arbeiten inzwischen für uns“, sagt Roth. „Neue Lasersysteme sind ausreichend effizient. Auch die nötige Frequenz von zehn Hertz bereitet uns keine Sorge. Das ist technisch alles möglich. Außerdem haben wir in Deutschland die weltbeste Optikindustrie.“ 

Die Brennstoffkügelchen entwickelt Focused Energy selbst, ebenso die Lasertechnik. Das Unternehmen baut Prototypen. Die industrielle Massenfertigung sollen Partner wie Trumpf aus Baden-Württemberg und die französische Amplitude übernehmen. 2026 wollen die Darmstädter mit dem Bau einer Anlage beginnen, die zeigt, dass alle Technologieträger zusammen funktionieren. Kosten: 1,2 Milliarden Euro. Das erste Licht soll 2029 eingeschaltet werden. Im zweiten Schritt sieht Focused Energy Anlage eine Pilotanlage vor. Sie soll Strom produzieren, allerdings nicht rund um die Uhr. Roth kalkuliert mit sechs bis sieben Milliarden Euro, die dafür nötig sind. Die Reaktorkugel wird einen Durchmesser von 13 bis 15 Metern haben. Geeignet wären ehemalige Kraftwerksstandorte. Hinter Focused Energy stehen US-Kapitalgeber. In der aktuellen Finanzierungsrunde sollen europäische Investoren dazukommen. Insgesamt hat das Unternehmen bisher 180 Millionen Euro eingeworben, darunter auch Fördergeld des Bundesforschungsministeriums und der US-Energiebehörde. 

Technisch geht also einiges, haken könnte es an anderer Stelle: „Alle Entwickler von Kernfusionsreaktoren stehen vor dem gleichen Pro­blem: Die benötigten Komponenten, Bauteile und Materialien sind zum Teil schwer zu beschaffen – oder müssen erst noch entwickelt werden“, sagt Gauss-Fusion-Chefin Roveda. „Und für manche gibt es noch nicht einmal die Werkzeuge, um sie herzustellen.“ Ähnlich sieht es Roth von Focused Energy: „Unsere größte Sorge ist, wie schnell wir die Lieferketten fit machen können für das, was wir haben wollen.“ Der Glasspezialist Schott zum Beispiel ist der einzige Hersteller außerhalb ­Chinas für Laserglas. Die Mainzer sind auch die besten. Für die benötigten Mengen müsste das Unternehmen neue ­Fabriken bauen. 

Trotzdem rechnet sich das Engagement der Fusionsfirmen bereits. „Auch wenn der Reaktor noch einige Zeit auf sich warten lässt, sind einige Erfindungen heute schon nützlich“, sagt Roth. „Wir haben einen Laser entwickelt, mit dem sich zerstörungsfrei große Objekte röntgen lassen, Brückenpfeiler zum Beispiel. Da gibt es einen Riesenbedarf in der Industrie. Das ist mit herkömmlichen Geräten nicht möglich.“ In Biblis baut das Unternehmen gerade mit dem Energiekonzern RWE und dem Kunden GNS eine Anlage, mit der Behälter mit nuklearem Abfall untersucht werden können. 

Ob das erste Fusionskraftwerk in Deutschland entsteht, ist offen. Beim Demonstrator werden wohl andere zuerst fertig sein. Die Anlage von Commonwealth Fusion, eine Ausgründung des MIT, soll 2027 angeschaltet werden. Das US-Start-up hat dafür mehr als zwei Milliarden Dollar gesammelt. Sollte es funktionieren und ein Unternehmen ein Kraftwerk bauen können, ist der Markt riesig. Gauss-Fusion-Chefin Roveda sagt: „Wir schätzen, dass in Europa Ende des Jahrhunderts 150 bis 200 Kernfusionskraftwerke benötigt werden.“ 

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