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Technologie > Digitaler Zwilling

Die Welt nachbauen

Loclab aus Darmstadt schafft digitale Zwillinge. Wasserkraftwerke und Weichen, Bürotrakte und Bahnhöfe – die Kopien vereinfachen Arbeitsabläufe.

So sehen Kopierer aus: Ilka May und Kim Jung von Loclab sind auf digitale Zwillinge von Gebäuden und Infrastruktur spezialisiert. © judithwagner.com

Selten lässt sich ein Unternehmen gut in einem Satz zusammenfassen. Schon gar nicht, wenn es um Algorithmen und künstliche Intelligenz geht. Bei Loclab aus Darmstadt kommt Computerspieltechnologie hinzu. Für die Geschichte wichtig ist auch noch Pakistan. Ilka May, Firmenmitgründerin und Chefin, lächelt und sagt erst einmal nur: „Wir kopieren die Welt.“

Natürlich nicht alles auf einmal, aber schon große Teile: Bahnhöfe, Fabriken, Straßenzüge. Das Unternehmen erstellt digitale Zwillinge. „Ein sehr großer Hype gerade“, sagt May. Ein großer Wachstumsmarkt, auf dem sie hier in Hessen vorn mit dabei sind. Ein digitales 3D-Modell ist nützlich zum Ausprobieren, bevor viel Geld im Original versenkt wird. Und nur in der Kopie lassen sich Teile mit Nummern beschriften oder digitale Post-its anbringen. Mehrere Varianten, wie sich Straßenbahn, Autoverkehr und Radfahrer eine einst vierspurige Straße teilen könnten, sind ohne Millionenausgaben möglich. Und im digitalen Nachbau einer Fabrikhalle lassen sich Fahrwege für Roboterlieferwagen planen.

Und dann sind da die noch komplexeren Anwendungen, etwa für Techniker, die ein Bauteil in einem von 135 automatisierten Wasserkraftwerken warten sollen, sich dort aber nur schlecht auskennen. Im 3D-Modell führen Pfeile direkt zum entsprechenden Gerät, sodass der Techniker es im echten Wasserkraftwerk schnell findet. Und im 3D-Modell können Informationen zum Gerät hinterlegt werden wie zum Beispiel „Achtung! Feder hakt etwas, springt leicht raus“. Auch Sprachnachrichten lassen sich einbinden oder die Reparaturanleitung. Der Kunde, in diesem Fall der Energieversorger Verbund in Österreich, spart Zeit und Geld, wenn so die Anlagen schneller wieder im Einsatz sind.

Eine weitere Anwendung: 3D-Modelle von Weichen, die sich mit einem Klick in 3D-Explosionszeichnungen verwandeln. Der Techniker, der eine echte gestörte Weiche reparieren soll, kann per Mausklick in der 3D-Version direkt das Ersatzteil bestellen. Statt Tagen dauert die Lieferung oft nur noch Stunden. Und für T-Systems, die Systemtochter der Deutschen Telekom, hat Loclab einen Bürotrakt kopiert. Im 3D-Modell lässt sich beispielsweise eine Lampe anschalten, die dann auch im echten Bürotrakt angeht.

Üblicherweise werden Gebäude mit einem Laserscanner vermessen, damit sie möglichst detailgenau sind. Das Verfahren ist aufwendig, teuer und oft nicht nötig, wenn es nur um den großen Eindruck geht. Wer etwa durch das 3D-Modell des Berliner Hauptbahnhofs fliegen möchte, um zu sehen, wo sich zum Beispiel neue Bänke gut aufstellen lassen, benötigt keine millimetergenau wiedergegebenen Bahnsteigkanten. Die Datenaufnahme im Hauptbahnhof Berlin habe nur drei Stunden gedauert, berichtet May. „Dass es so schnell geht, überrascht viele Kunden.“ Studenten gehen mit einer Actionkamera durch den Bahnhof und filmen. Dann übernehmen die Algorithmen. Und die haben es in sich, sind das Alleinstellungsmerkmal von Loclab, wie May sagt. Die Konkurrenzlage sei übersichtlich – weltweit.

Trainierte Algorithmen

Künstliche Intelligenz spielt bei Loclab eine Rolle, die Algorithmen verbessern sich dank ihrer selbst. Sie erstellen die 3D-Modelle hochgradig automatisiert, filtern Personen aus den Videos und greifen auf eine Datenbank immer wiederkehrender Objekte zu. „Den Kassenautomaten im Bahnhof modellieren wir einmal. Da können wir auch ruhig etwas Aufwand reinstecken, denn der wird immer wieder verwendet. Und ein Algorithmus wird darauf trainiert, dies automatisch zu tun“, beschreibt May. Hier zeigt sich, dass das Unternehmen aus der Spielewelt kommt. Auch dort werden bestimmte Objekte, etwa Bäume, einmal programmiert und in einer Bibliothek abgelegt. Wer durch eine Landschaft im Spiel geht, sieht dann einen Park, der aus leicht veränderten Standardbäumen besteht.

Dass vieles automatisiert ist, drückt die Kosten. Die Vorgehensweise hat auch noch einen anderen Vorteil: Das 3D-Modell des Berliner Hauptbahnhofs hat eine Größe von 150 MB, sehr wenig für ein derartiges Gebäude. „Unsere Kunden nutzen in der Regel Standardhardware, da spielen die Lauffähigkeit und damit auch das Datenvolumen eine große Rolle“, sagt May.  Nachschärfen lässt sich das 3D-Modell auch, etwa mit einer millimetergenauen Punktwolke aus einer Laservermessung. Dann passt Loclab mit dem intern „Rüttelalgorithmus“ genannten Verfahren das bestehende Modell automatisch an die präzise Wolke an.

Die 3D-Produktion, wie May sie nennt, läuft in Karatschi. In der pakistanischen Hauptstadt beschäftigt Loclab rund 200 Mitarbeiter. Der Standort hat laut Ilka May dieselben Vorteile wie Indien – etwa gut ausgebildete Menschen –, ist aber nicht so bekannt. Loclab-Mitgründer Kim Jung hat den Standort über mehrere Jahre aufgebaut. Am Firmensitz in Darmstadt arbeiten nur elf Mitarbeiter in den Bereichen Projektmanagement und Entwicklung.

Loclab Consulting wurde Ende 2016 gegründet. Damals taten sich Jung und May zusammen. Geografin May hatte zuvor als Beraterin in einem großen Ingenieurbüro gearbeitet und geholfen, große Infrastrukturprojekte zu digitalisieren. Mitgründer Jung, heute als CTO für die Technologie verantwortlich, hatte da schon einige Jahre in der Computerspielebranche gearbeitet, nach dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang der 2000er die Technologie in die Immobilienbranche übertragen und 3D-Modelle für Bauprojekte, sogenannte Renderings, erstellt.

Im Zuge der Finanz- und Immobilienkrise orientierte sich Jung dann wieder neu. Die Deutsche Bahn hatte gerade beschlossen, nicht nur Pläne von Großprojekten auszulegen, die sich ohnehin nur wenige anschauen. Stattdessen führte sie Bauvorhaben als 3D-Modelle in Echtzeit vor, um so besser ihre Planungen zeigen zu können – und Jung mit ­seiner Technologie bekam den Auftrag.

Auch heute ist die Bahn noch Kunde. Loclab hat inzwischen mehr als 3000 Kilometer Strecke und Hunderte Bahnhöfe kopiert, auch komplizierte wie München, Frankfurt oder Dortmund. Den neuen Großbahnhof in Hamburg-Altona hat Loclab bereits visualisiert, ebenso viele Kilometer Strecke. Das Unternehmen hilft so der Deutschen Bahn, einen digitalen Zwilling des gesamten Anlagenbestands zu schaffen.

Der nächste Schritt: eine eigene Plattform für 3D-Modelle, der Digital Twin Hub. Dafür ist Loclab eine strategische Partnerschaft mit Leica Geosystems eingegangen, das zum schwedischen Messtechnik- und Softwarekonzern Hexagon gehört. Die Basisversion der Plattform soll im März kommenden Jahres starten. Dann können Firmen ihre digitalen Zwillinge für andere Nutzer freigeben, ergänzen und mit Datenbanken und Plattformen verbinden. „Je mehr Nutzer auf die digitalen Zwillinge zugreifen, etwas ergänzend programmieren und sich innovative Geschäftsmodelle mit ihnen ausdenken, desto höher wird ihr Mehrwert für alle“, sagt May. Die Para­llelwelt wird dann noch besser genutzt. 

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