Doppelt so lang und dreimal so teuer: Warum Bauprojekte niemals funktionieren, wie sie sollen
Fehmarnbelt Unterquerung, Stuttgart 21, Starnberger Tunnel: Nirgendwo gelingt es, bei Großprojekten Bauzeit und Kosten in den Griff zu bekommen. Liefert der Mittelstand nicht rechtzeitig? Experten schlagen bei der Losvergabe Änderungen vor.
Mehr als ein Jahr ist es her, da hat der Europäische Rechnungshof die gelbe Karte gezückt: Der Bau zentraler europäischer Verkehrs-Großprojekte verzögere sich, schrieben die Prüfer in einem Bericht, wenn sich nicht umgehend etwas bei Planung und Abstimmung verbessere. Die Arbeiten dauerten im Schnitt elf Jahre länger als geplant. Die Kosten für die damals untersuchten elf Großprojekte seien mit der Zeit um 17 Milliarden Euro - fast 50 Prozent - gestiegen. Doch die Warnung der Rechnungsprüfer war vergebens. Getan hat sich seither nichts. Was ist los bei öffentlichen Bauprojekten, die dem Verkehr dienen sollen? Warum klemmt es regelmäßig?
Ups - die Anbindung fehlt
Der Europäische Rechnungshof hatte sich beispielsweise den Fehmarnbelt Tunnel angesehen, ein Jahrhundertbauwerk, das die deutsche Insel Fehmarn mit Hilfe eines 17,6 Kilometer langen Straßen- und Eisenbahntunnels unter der Ostsee mit der dänischen Insel Lolland verbinden soll. Die Strecke ist Teil der sogenannten Vogelfluglinie und verkürzt die Fahrtzeit von Kopenhagen nach Hamburg um mehr als eine halbe Stunde. Auf dänischer Seite wird bereits gebaut, auf deutscher hat ein jahrelanger Streit mit Naturschützern den Beginn verzögert, aber immerhin gibt es seit dem vergangenen November eine letztinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts, dass es auch hierzulande losgehen soll. Die Kosten lagen zu Beginn der Planungen 2011 bei 5,5 Milliarden Euro – 2015 waren es bereits geschätzte neun Milliarden. Entsprechende Kredite sollen durch Mauteinnahmen getilgt werden, was aber ein halbes Jahrhundert dauern dürfte. Das größte Problem auf deutscher Seite: Um den erwarteten Verkehr reibungslos weiterleiten zu können, müssen Eisenbahnstrecken, Brücken und Autobahnen nach Hamburg weiter ausgebaut werden – und daran hakt es.
Stuttgart wird das nächste Berlin
Es muss aber gar nicht ein länderübergreifendes Projekt sein, auch deutsche Großprojekte verzögern und verteuern sich. Der Stuttgarter Bahnhof ist dafür ein leidiges Beispiel, er hat alle Chancen, den Berliner Flughafen in den Disziplinen teurer als erwartet und länger als gedacht einzuholen. Die Bauarbeiten am Projekt Stuttgart 21 begannen am 2. Februar 2010. Die zunächst für Dezember 2019 geplante Fertigstellung wurde mehrfach verschoben, inzwischen nennen die Beteiligten Ende 2025 als Termin für die Eröffnung – wobei auch das eher ein Zwischenhalt werden könnte. Wenn alles nach aktuellem Plan geht, hält die S-Bahn schon vorher am neuen Bahnhof, die Fernbahn braucht allerdings länger, bis sie wirklich in Stuttgart 21 anhält. Die offiziellen Kostenschätzungen sind seit der ersten Projektvorstellung 1995 mehrfach gestiegen: Von ursprünglich 2,5 Milliarden Euro über 4,1 Milliarden Euro bei Baubeginn 2010 auf 8,2 Milliarden Euro im Januar 2018. Außenstehende wie der Bundesrechnungshof halten Kosten von bis zu knapp 10 Milliarden Euro für möglich. Derzeit kommt es – auch das kennen die Zuschauer aus Berlin – zu Unstimmigkeiten wegen des Brandschutzes.
Selbst scheinbar überschaubare Projekte wie der Bau des nur 1,9 Kilometer langen Starnberger B2-Tunnels laufen aus dem Ruder. Seit 2017 wird dort gebuddelt, die ursprünglich kalkulierten Kosten in Höhe von 200 Millionen Euro liegen inzwischen bei mehr als 320 Millionen. Die für 2026 geplante Fertigstellung verschiebt sich womöglich um zwei Jahre. Der Bund als Bauherr macht vor allem verschärfte Sicherheitsvorschriften für die Misere verantwortlich.
Vier Gründe, warum es hakt
Starnberg, Stuttgart, Fehmarn: Die Liste ließe sich beliebig verlängern – offenbar läuft grundsätzlich einiges schief bei Planung und Bau von Großprojekten. Inzwischen gibt es eine ganze Zunft von Architekten, Ingenieuren und Planungsbüros, die im Nachhinein die Fehlersuche betreiben und so versuchen, dass zumindest das nächste Projekt überschaubarer wird. Klaus Schmidt ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität in München, sitzt im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und hat sich intensiv mit dem Thema befasst. In einem Interview mit der "Wirtschaftswoche" nannte er jüngst die vier wichtigsten Gründe für das Dauerproblem. So werden erstens die Kosten der Projekte oft aus politischen Gründen heruntergerechnet, "weil die Politik das Projekt erstmal durchbekommen will". Haben dann die Verantwortlichen im Stadtrat, im Land oder im Bund erst einmal genickt, offenbaren sich deutlich höhere Preisvorstellungen.
Danach entsteht das zweite Problem: Der Staat überschätzt seine eigenen Fähigkeiten beim Baumanagement und übernimmt die Organisation, anstatt große Aufträge an einen Generalunternehmer zu vergeben, der das Projekt steuert und seinerseits die Vergabelose an mittelständische Firmen verteilt. "Große Unternehmen haben schlicht mehr Erfahrung mit großen Bauprojekten und kriegen das meist effizienter hin. Sie haben bisweilen auch besseres Personal als der Staat", sagt Schmidt.
Dritte Hürde sind gesetzliche Vorgaben. Das so genannte "Mittelstandsgebot" sehe vor, dass Behörden möglichst kleinteilig ausschreiben, damit mittelständische Betriebe mitbieten können. "Das ist gut gemeint, führt aber regelmäßig zu einer ineffizienten Los-Bildung durch die Behörden", sagt Schmidt. Auch die Vorgabe bei öffentlichen Projekten, stets den billigsten Anbieter auszuwählen, hält er für wenig zielführend. "Das Problem ist, dass den Auftrag bisweilen ein Billiganbieter bekommt, bei dem man schon vorher befürchten muss, dass er nicht die notwendige Qualität liefert. Wenn der während der Bauphase in die Pleite rutscht oder Nachbesserungen bei Mängeln nicht erfüllen kann, wird es für den Staat richtig teuer." Außerdem sorge das Prinzip dafür, dass Bieter sich Ausweichstrategien zurechtlegten und kaum, dass die Bauarbeiten begonnen haben, Nachverhandlungen beim Preis forderten. Bei diesen Verhandlungen haben sie dann als diejenigen, die bereits im Geschäft sind, einen klaren Wettbewerbsvorteil. Schließlich verzögern und verteuern oft langwierige Klagen den Baufortschritt. Schmidt spricht sich dafür aus, möglichst früh alle Betroffenen mit ins Boot zu holen.
Vorbild: Schweiz
Wie es besser laufen kann, zeigen regelmäßig die Schweizer. Zuletzt haben sie mit dem Gotthard-Basistunnel ein europäischen Jahrhundertbauwerk der Superlative fast pannenfrei fertiggestellt: 57 Kilometer Länge hat der Tunnel, den täglich 260 Güterzüge und 65 Personenzüge passieren. Er ist mit bis zu 2300 Meter Tiefe das tiefste Bauwerk der Welt. 17 Jahre dauerte seine Fertigstellung. Die Kosten waren bei knapp acht Milliarden Euro angesetzt worden, die Summe wurde nach Baufortschritt angepasst und lag seit 2008 bei knapp zwölf Milliarden, was den auch in der EU üblichen Überschreitungen von 50 Prozent entspricht. Allerdings musste sie danach nicht mehr angepasst werden. Und bei der Dauer der Bauarbeiten unterboten die Eidgenossen sogar die angepeilte Frist: Der Gotthardtunnel ist 2016 ein Jahr früher als geplant in Betrieb gegangen.
Das Bauwerk hatte eine lange Entstehungsgeschichte: Schon 1947 entwickelte der Schweizer Ingenieur Carl Eduard Gruner die Idee für den Riesentunnel. 1963 setzte die Schweizer Regierung ein Gremium ein, das die Idee prüfte. 1992 und 1998 stimmten die Schweizer in zwei Volksentscheiden für den Bau. 1999 begannen schließlich die Arbeiten. Letztlich profitierte das Bauwerk von der langen Wartezeit. Die Eidgenossen standen geschlossen hinter dem Bau und durch den Fortschritt in der Bohrtechnik konnte schneller gebohrt und betoniert werden, als sich Ingenieur Gruner das hätte träumen lassen.