Drohnen-Transport: Ein Pionierprojekt im Luftraum für Industriekunden
Wenn Brücken versagen: Industrieunternehmen im Sauerland nutzen Drohnen für Lieferungen, da marode Infrastruktur den konventionellen Verkehr behindert.
von Björn Hartmann
Lüdenscheid liegt inmitten der Hügel des Sauerlands. Enge Täler, viel Wald. Hier zeichnet sich gerade eine Transportrevolution ab. Industrieunternehmen werden per Drohne mit Teilen beliefert. Im Normalbetrieb. In Europa ist das bisher einmalig. Nötig dafür waren Innovationsfreude bei einem Händler, ein paar Unternehmer aus Bielefeld und die marode deutsche Infrastruktur.
Ende 2021 geht nichts mehr. Die Autobahnbahnbrücke, die die Rahmede nördlich von Bielefeld überspannt, ist so bröselig, dass sie gesperrt wird. Dramatisch für Lüdenscheid. Nicht nur sind die Industriebetriebe vom Ruhrgebiet abgeschnitten, der Lkw-Verkehr drängt sich jetzt durch die engen Straßen, und für Zulieferer wie Koerschulte + Werkverein gibt es ein Problem: Die Lieferfahrzeuge stecken immer häufiger im Stau – schwierig, wenn ein Kunde dringend auf Material wartet.
Die Lösung fand sich nicht in den engen Tälern, sondern darüber: Wenn unten alles blockiert ist, warum nicht in den Himmel wechseln? Der hat einige Vorteile.
„Eine Drohne fliegt Luftlinie, muss sich nicht an Straßen und Ampeln halten“, sagt Marius Schröder, Geschäftsführer von Third Element Aviation, kurz 3EA, in seinem Büro in Altenhagen, nordwestlich von Bielefeld. Das Unternehmen liefert Koerschulte die Industriedrohnen. „Der Himmel ist, anders als die Straßen, frei, da können wir schneller fliegen.“ Und: „In Lüdenscheid schafft unsere Drohne eine Strecke in zehn Minuten, für die der Sprinter 40 Minuten braucht.“
Für Koerschulte ist das neue Tempo ein großer Vorteil. Und natürlich gehört einiger unternehmerischer Mut dazu, zumindest einen Teil des Transports in die Luft zu verlegen. Und dann sind da noch die rechtlichen Tücken, die nicht zu unterschätzen sind. Die Lüdenscheider haben sie gemeinsam mit den Bielefeldern gemeistert. „Koerschulte ist das europaweit erste Unternehmen, dass eine Lizenz hat und Drohnen als reiner Betreiber im Regeleinsatz für den Transport nutzt“, sagt Schröder. Für ihn ist der Großhändler das Vorzeigeprojekt. 3EA entwickelt, baut und wartet die Lieferdrohnen. Und der Geschäftsführer sieht große Chancen.
„Der Bedarf ist hoch, die Bereitschaft zu zahlen auch“, sagt er. „Viele Firmen versuchen, Logistikprozesse resilient zu machen.“ Nicht, dass die nahe Autobahn plötzlich wegen bröselnden Betons nicht mehr befahrbar ist. Dauerhafte Lieferstrecken sind das eine, akute Engpässe das andere. „Wenn die Produktion just in time läuft, und ein Teil fehlt, ist der Wert dieses Teils nicht mehr wichtig. Dann ist wichtig, welchen Wert das Teil für den Produktionsprozess hat. Und es muss schnell da sein“, sagt Schröder. „Da muss dann schon mal der Praktikant mit dem Auto los oder etwas wird per Hubschrauber eingeflogen. Unsere Drohnen können da kostengünstig helfen.“ Das Geschäft mit Drohnentransport werde kommerziell richtig interessant.
Bisher gab es in Deutschland vor allem Tests. So versuchte die Deutsche Post, die Insel Juist aus der Luft zu beliefern. Eine Alpengemeinde bekam Pakete per Drohne. Gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und dem Drohnenhersteller Wingcopter aus Darmstadt wurden in Tansania Arzneimittel an entlegenere Krankenstationen ausgeliefert. Die Post beendete solche Projekte vor drei Jahren. Wingcopter ist immer noch aktiv, vor allem international. Mit dem Thema befassen sich auch chinesische Hersteller. Und immer wieder große Logistiker wie der US-Konzern Amazon.
Das Potenzial in der Logistik, vor allem der Industrielogistik, ist also schon länger da. Doch es dauerte, bis auch die juristischen Grundlagen geklärt waren. Nicht jeder kann überall mit einer Drohne herumfliegen, vor allem nicht, wenn sie ein Vielfaches der Größe und des Gewichts jener Fluggeräte hat, die Privatleute in Elektronikmärkten kaufen können. Die EU hat sich des Themas bereits vor einigen Jahren angenommen, die entsprechenden Regeln gelten seit Ende 2019. „Dann dauerte es noch, bis das mit allen Formularen und Vorschriften in nationales Recht umgesetzt war“, sagt Schröder. „Wir haben den Prozess gemeinsam mit dem Luftfahrtbundesamt begleitet. Deshalb gehörten wir auch zu den ersten, die eine entsprechende Zulassung bekamen.“ Und so konnte Koerschulte die 3EA-Drohnen jetzt auch zügig auf genehmigten Strecken einsetzen. Das Netz lässt sich zudem unter Bezug auf die bestehenden Strecken recht unkompliziert erweitern.
Flugkontrolle im Homeoffice
Inzwischen haben die Bielefelder das Verfahren noch beschleunigt. „Wenn ein Kunde Drohnen fliegen möchte, brauchen wir von der ersten Streckenidee bis zur konkreten Umsetzung einschließlich Zulassung nur noch 100 Tage“, sagt Schröder.
Ist die Strecke genehmigt, braucht das Unternehmen noch jemanden, der sie fliegt und dafür einen entsprechenden Flugschein erworben hat. „Der Pilot gibt der Drohne am Rechner das Startsignal, danach macht sie alles allein – abheben, fliegen, landen. Der Pilot überwacht den Flug am Rechner.“ Dafür muss er nicht in einem besonderen Raum im Büro sitzen. „Flugkontrolle geht auch aus dem Homeoffice“, erklärt der 3EA-Chef. „Wir haben zum Beispiel eine Drohne von Deutschland aus in Singapur geflogen.“
Bei Koerschulte in Lüdenscheid sind die Drohnen der Bielefelder erstmals im Linienbetrieb unterwegs. Sonst eignen sie sich auch vor allem für Überwachungsflüge etwa von Industrieanlagen. Eingesetzt wurden sie auch schon, um Strahlung bei Altlasten zu erkennen. Es ist ungefährlicher und schneller, eine Drohne mit Sensor fliegen zu lassen, als Menschen in Sicherheitskleidung loszuschicken. Schiffe, die auf Reede liegen und auf wichtige Unterlagen warten, können einfach und schnell erreicht werden. Innerhalb eines Werksgeländes lassen sich Teile zielgenau liefern. „Interessant ist eine Drohne auch für Krankenhäuser, die ihre Labore zentralisiert haben und ihre Proben beispielsweise mit dem Taxi transportieren“, sagt Schröder. „Das ist auf Dauer teurer, als eine Drohne einzusetzen.“
Schröder tritt sehr locker auf. Er hat einen Master in BWL und arbeitet zunächst in der Büromöbelbranche, was ihn aber irgendwann nicht mehr erfüllte. „Nach drei Jahren mit Büromöbeln brauchte ich etwas Neues.“ Er wechselte zu einem der ersten Industriedrohnenanbieter, einem Mittelständler, bei dem er Mitgründer Benjamin Wiens kennenlernte. Und wie das so ist, wenn Jüngere in einen eingespielten Betrieb wechseln, entwickeln sie Ideen. Ideen, die manchmal nicht im Unternehmen weiterverfolgt werden können.
Schröder und Wiens starteten 3EA 2017 mit fünf Mitarbeitern. „Wir sind nicht die typischen Start-up-Unternehmer. Für uns war das Thema klar. Ein Kunde aus Dänemark hat uns motiviert, weiterzumachen. Dann waren wir plötzlich Unternehmer“, sagt Schröder. „Wir haben bei der Gründung bei null angefangen. Das war auch eine große Chance. Wir konnten alle Ideen umsetzen, die wir hatten, und mussten nicht auf Bestehendes Rücksicht nehmen.“ Inzwischen beschäftigen die Bielefelder 30 Mitarbeiter.
„Unsere Drohnen sind selbst entwickelt. Sie sollen robust sein, servicefreundlich und einfach zu reparieren“, sagt Schröder. Filigranes würde in der Industrie nicht lange durchhalten. Anders als mancher Konkurrent entwickeln und bauen die Bielefelder die Geräte selbst. „Wir haben eine hohe Fertigungstiefe. So können wir dem Innovationsdruck in der Branche standhalten und bieten viele Anpassungsmöglichkeiten.“
Im Angebot sind derzeit zwei Standardmodelle, die mit Lithium-Ionen-Batterien ausgestattet sind. Die kleinere Drohne hat elf Kilogramm Gesamtgewicht, einen Durchmesser von etwa 1,5 Metern, sechs Propeller.
Sie kann bis zu drei Kilogramm transportieren. Die größere wiegt 25 Kilogramm, hat einen Durchmesser von etwa 2,5 Metern und hebt mit acht Propellern, immer paarweise angeordnet, ab. Sie kann bis zu zehn Kilogramm transportieren. Beide Drohnen sind mit einer Geschwindigkeit von 15 Metern pro Sekunde unterwegs. Die Reichweite liegt zwischen 18 und 36 Kilometern.
Anders als manches Technologie-Start-up setzt 3EA nicht auf Risikokapital. „Wir haben uns vom Start weg immer aus den eigenen Einnahmen finanziert“, sagt Schröder. „Man muss manchmal von der Hand in den Mund leben, hat aber auch volle Gestaltungsmöglichkeit. Kein Investor redet rein.“ Wobei das Unternehmen einen strategischen Investor hat: den Hamburger Hafenbetreiber HHLA, der mit den Drohnen aus Bielefeld unter anderem die eigenen Containeranlagen aus der Luft kontrolliert, das Gelände überwacht und Waren transportiert. Der Hafen hat eine Fläche von gut 72 Quadratkilometern, nicht alle Ecken sind mit Fahrzeugen zu erreichen. Die Mehrheit an 3EA halten weiterhin die beiden Gründer.
Die Hamburger jedenfalls konnten die Bielefelder überzeugen. Koerschulte in Lüdenscheid auch. Dort wird bereits über zusätzliche Flugstrecken nachgedacht. Schließlich werden noch weitere Brücken an der A45 ersetzt werden müssen. Jetzt, wo das Geschäft anzieht, würden sie alles noch einmal so machen? Schröder wird nachdenklich. „Ob es schlau war, so vorzugehen, weiß ich nicht.“ Aber es hebt jetzt ab.
Die Entwicklung der Drohnen-Paketzustellung
Die Entwicklung der Drohnen-Paketzustellung ist eine faszinierende Reise innerhalb der Logistik- und Lieferbranche. Hier ist ein kurzer Überblick über ihren Fortschritt:
- Frühe Experimente (2010-2013):
Rund um das Jahr 2010 begannen erste Versuche mit Drohnen in der Paketzustellung. Unternehmen wie Amazon und Google initiierten Forschungsprojekte, um die Einsatzmöglichkeiten von Drohnen in der Logistik zu erkunden. - Erste öffentliche Tests (2013-2015):
2013 kündigte Amazon sein Drohnenlieferprogramm „Prime Air“ an und führte erste Tests durch. Im darauffolgenden Jahr startete Google das „Project Wing“, um ebenfalls die Drohnenzustellung zu untersuchen. - Regulatorische Herausforderungen und Fortschritte (2016-2018):
Regulierungen seitens Luftfahrtbehörden wie der FAA in den USA und der EASA in Europa standen im Zentrum der Diskussionen. Während Bedenken bezüglich Sicherheit und Privatsphäre geäußert wurden, begannen Regulierungsbehörden, spezifische Regeln für den kommerziellen Einsatz von Drohnen zu entwickeln. Im Jahr 2016 führte 7-Eleven in den USA erste kommerzielle Drohnenlieferungen durch. - Erste kommerzielle Anwendungen und Pilotprojekte (2019-2021):
Unternehmen wie UPS, Wing (Google) und Zipline starteten kommerzielle Dienstleistungen, wobei sich Zipline auf medizinische Lieferungen in abgelegene Regionen Afrikas konzentrierte und international expandierte. In Australien und Teilen Europas wurden ebenfalls erste Drohnentests und Pilotprojekte gestartet. - Ausweitung und neue Konzepte (bis 2022):
Bis 2022 etablierten sich Drohnenlieferdienste in mehreren Ländern, besonders in ländlichen und schwer zugänglichen Gebieten. Die Technologie entwickelte sich weiter mit verbesserten Drohnendesigns, längeren Flugzeiten und größerer Kapazität. Unternehmen wie Amazon, Wing und andere weiteten ihre Programme weltweit aus, und es traten neue Anbieter in den Markt ein. Regulierungsbehörden genehmigten zunehmend Tests und teilweise auch reguläre kommerzielle Operationen.
Anfang 2024 startete der erste Linienflugdienst mit Drohnen in Deutschland.