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Energiewende im Mittelstand: Warum viele Firmen auf dem Strom sitzen bleiben

Unternehmen ringen mit steigenden Strompreisen und Versorgungsunsicherheit. Die Pläne sind recht klar, doch es fehlt vor allem Geld und mancherorts auch der Wille, etwas zu ändern.

Sonne tanken: Viele ­Unternehmen entdecken die Dächer der Fabrikhallen zur Stromgewinnung. Die Anlagen lassen sich vergleichsweise leicht installieren. (Foto: shutterstock)

Mittelstand unter Strom

Von Andreas Kempf

Es wird sehr teuer und dauert noch viele Jahre. Diese zwei Punkte sind unstrittig, wenn über die Modernisierung der Energieversorgung debattiert wird. Die Energieversorger schätzen die Kosten auf etwa 1,2 Billionen Euro allein für Deutschland. Zum Vergleich: Der jüngste Bundeshaushalt umfasst ein Volumen von 480 Milliarden Euro. Wobei der künftige Bedarf den Planern offenbar zu enteilen scheint. So entwickelt die künstliche Intelligenz einen gewaltigen Energiehunger. Bis 2030 soll sich ihr Strombedarf auf mehr als 150 Terawattstunden fast verdreifachen, wie McKinsey berechnet hat. „Das macht rund fünf Prozent des gesamten europäischen Stromverbrauchs aus", erklärt Diego Hernandez Diaz, Partner bei der Beratungsgesellschaft. Bislang seien es nur zwei Prozent.

Bund, Länder und Gemeinden stehen hier vor einer gewaltigen Aufgabe, an die sich die Politik bisher aber eher halbherzig herangemacht hat. Der Verband der Bayerischen Wirtschaft nennt in seiner im Februar erschienenen Untersuchung einen Bedarf von 15.000 Kilometern neuen Stromleitungen. Aber bis Herbst 2024 waren deutschlandweit 2954 Kilometer überhaupt erst genehmigt und nur 1525 tatsächlich realisiert. Dabei sind diese Leitungen entscheidend, denn nur so kann beispielsweise Strom von den Windparks im Norden in den energiehungrigen Süden fließen.

Der zähe Ausbau steht im Widerspruch zur bedrückenden Ausgangslage. So zahlen die deutschen Verbraucher und kleinere Betriebe mit fast 40 Cent die höchsten Strompreise in Europa. Das belastet Kauf- und Ertragskraft. Für größere mittelständische Unternehmen fällt der internationale Vergleich etwas differenzierter aus. Da befindet sich Deutschland grob 2,85 Cent über dem EU-Durchschnitt. Wichtige Wettbewerber in Italien, den Niederlanden oder Polen liegen ebenfalls deutlich über dem Mittel. Lediglich Spanien und Frankreich haben von den großen Volkswirtschaften einen deutlich günstigeren Strompreis. Dass die Netze in Deutschland stabil sind und kaum Ausfälle verzeichnen, ist genauso ein schwacher Trost wie die Tatsache, dass Großabnehmer mit 13,94 Cent ziemlich genau im EU-Schnitt liegen. Denn die globalen Konkurrenten in den USA oder China zahlen acht Cent für die Kilowattstunde. Auch die Tarife in Kanada, Mexiko oder der Türkei sind deutlich günstiger.

Noch akuter wird der energetische Handlungsbedarf, wenn man die Kosten für Wärme hinzuzieht, die Unternehmen für eine Vielzahl von Produktionsprozessen benötigen. Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine sind kurzfristig 67 Prozent der Erdgaslieferungen ausgefallen. Hier sind vor allem die Niederlande, Norwegen und die USA eingesprungen. Doch die Preise haben sich zeitweise verdreifacht. So ist die Versorgung zwar gesichert, doch mit 8,5 Cent je Kilowattstunde zu Kosten, die vor allem energieintensive Betriebe kaum noch stemmen können. Zudem treiben die teuren fossilen Energieträger die Preise für die Stromerzeugung in die Höhe. Auch hier tröstet wenig, dass die EU-Nachbarn ähnliche Erdgaspreise haben. Kummer bereitet der Vergleich mit den USA (3,5 Cent), Indien und Südkorea (5,7 Cent) und Mexiko (sogar nur 1,3 Cent), die wesentlich besser dastehen.

Erst im vergangenen Jahr hat sich die Politik mit den Versorgern auf den Bau eines Wasserstoffnetzes geeinigt. Das ist Grundlage, um langfristig Erdgas als Brennstoff ersetzen zu können. Zudem, so der Gedanke, könnte man überschüssigen Strom aus Wind und Sonne in (grünen) Wasserstoff umwandeln und somit speichern. Das sogenannte Kernnetz umfasst 13.000 Kilometer, wobei 56 Prozent aus Erdgasleitungen bestehen, die man allerdings noch umrüsten muss. Insgesamt sind 18,9 Milliarden Euro vorgesehen. Tatsächlich ist alles noch Theorie. Bisher existieren in Deutschland der H2-Bilanz des Energieversorgers Eon zufolge nur 428 Kilometer reine Wasserstoffleitungen. Doch die Zeit drängt, denn die EU-Förderung für deutsche Stahlwerke ist daran gekoppelt, dass mit Wasserstoff gearbeitet wird, den die Unternehmen aber unzureichend oder noch gar nicht beziehen können. Zugleich ist grüner Wasserstoff nur in geringen Mengen und zu sehr hohen Preisen überhaupt vorhanden. Derzeit wird deshalb mit Brüssel und Berlin über längere Übergangsfristen verhandelt.

Weite Teilen Bayerns und Baden-Württembergs sind in den Planungen des Kernnetzes so gut wie gar nicht erfasst. Das macht die Unternehmen dort zunehmend nervös. So in Ulm, mit einer Arbeitslosenquote von 3,3 Prozent eines der erfolgreichsten Wirtschaftszentren Deutschlands. Die Mischung reicht von Pharma (Ratiopharm) über Fahrzeugbau (Iveco und Daimler) und Maschinenbau (Deutz, Zwick-Roell, Rexroth) bis zu einer Vielzahl von Mittelständlern. Alles umrahmt von einem riesigen Forschungs- und Entwicklungszentrum in der Wissenschaftsstadt. Die Region wächst und will weiter wachsen. Der Strombedarf werde sich bis 2040 auf 9,6 Terawattstunden verdreifachen, rechnet die Industrie- und Handelskammer Ulm vor. Würde man alle Potenziale nutzen, kämen allenfalls 8,7 Terawattstunden zusammen. Das ist kein Einzelfall. „Für Baden-Württemberg klafft die Lücke aus Bedarf und Potenzial noch viel erheblicher auseinander", sagt Johannes Remmele, Energie-Experte der IHK Ulm. „Deswegen müssen wasserstofffähige Gaskraftwerke schnell kommen", ergänzt Jan-Stefan Roell, Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags.

Auch in Bayern verfolgt man die Entwicklung mit Sorge. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien bleibt vor allem bei Windkraft weit hinter den Zielvorgaben zurück – sowohl mit Blick auf Bayern als auch auf das gesamte Bundesgebiet", stellt Bertram Brossardt, Präsident des Verbands der Bayrischen Wirtschaft fest. Um die Ziele erreichen zu können, müsste die bis Ende 2024 installierte Anlagenleistung bis 2030 mehr als verdoppelt werden. „Dies wird nur durch einen beschleunigten und koordinierten Ausbau aller erneuerbarer Energien und ausreichender Backup-Kapazitäten gelingen", mahnt der Verbandschef. Er meint wohl die Staatskanzlei in München. Das Bundesland hat jahrelang neue Stromleitungen blockiert und Windenergie gebremst. Die Stromerzeugung ist sogar rückläufig. Seit 2016 sei der Freistaat Netto-Stromimporteur, stellen die Wirtschaftsforscher des Ifo-Instituts fest. „Dies verdeutlicht die Abhängigkeit von Stromlieferungen aus anderen Regionen oder Ländern", heißt es in einer Studie aus dem vergangenen Herbst.

Diese Abhängigkeit sorgt inzwischen für Spannungen mit den europäischen Nachbarn. „Wir missbrauchen unsere Nachbarn als Speicher. Gleichzeitig spielen sich die Deutschen als energetisches Vorbild auf", rügt Stefan Kooths, Konjunkturchef am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Inzwischen würden Schweden, Dänemark und Norwegen nur noch unwillig die Schwankungen im deutschen Stromnetz ausgleichen. „Wohlstand geht aber mit mehr Energieverbrauch einher", sagt Kooths. Dem müsse man sich stellen. Benötigt werden bis zu 20 neue Kraftwerke, die die Schwankungen der Energieproduktion durch Sonne und Strom ausgleichen sollen. Dieses Volumen ist bekannt. Allerdings streiten sich Versorger und Bund über die Frage, wer für die Kosten aufkommen soll. Die Energiekonzerne pochen auf eine Zahlung, die durch den Betrieb über die Jahre hinweg ausgeglichen werden soll. Ähnlich wie das beim Wasserstoffkernnetz der Fall ist. Der Bund müsste bei den Kraftwerken mit 16 Milliarden Euro in Vorleistung gehen.

Angesichts knapper Kassen sucht die Politik nach Lösungen, um den Kostendruck zu lindern. Überlegt wird aktuell, den Ausstieg aus der Kohleverstromung zu verschieben, um so diese Kraftwerke länger am Netz zu lassen. CSU-Chef Markus Söder hat auch eine Reaktivierung der stillgelegten Atommeiler ins Spiel gebracht. Das sei schnell möglich, behauptet der bayerische Ministerpräsident – und ist bis heute den Beweis schuldig geblieben. Technisch wäre es machbar, allein stehen die Kosten wohl in keinem Verhältnis zum Ertrag. Ganz abgesehen davon, dass es Jahre dauern würde.

In Deutschland denken die Versorger jedoch nicht daran, die laufende Demontage umzukehren. Das würde Jahre an aufwendigen atomrechtlichen Genehmigungsverfahren in Anspruch nehmen. Mit ungewissem Ausgang. Die Botschaft von Eon-Vorstandschef Leonhard Birnbaum ist deutlich: „Von einem Rückbaumoratorium halte ich gar nichts." Die Riesen EnBW, Eon, RWE und Vattenfall treiben die Transformation hin zu den Erneuerbaren und den Ausbau der Netze voran. EnBW verkaufte gerade ein Viertel der Tochter Transnet-BW an die Sparkassen im Südwesten, um frisches Geld für die Mammutaufgabe zu bekommen.

Hoher Ertrag

Auch die Stadtwerke brauchen viel Geld. Der Verband VKU schätzt, dass die kommunalen Versorger mehr als 700 Milliarden Euro in den kommenden 15 Jahren aufwenden müssen. Das überfordert die meisten Gemeinden. Auch hier will der Sparkassenverband Baden-Württemberg ins Geschäft kommen. Gedacht wird an einen Fonds, über den die 50 Banken des Landes Eigenkapital einbringen wollen. Die Kommunen hätten somit frisches Geld, ohne eine Überschuldung zu riskieren. Für die Sparkassen ist es gleichzeitig ein Geschäft mit hohem Wachstumspotenzial und Zukunftsertrag. Auch gelinge es so, ausländische Investoren fernzuhalten, die eines Tages mehr Gewinn abschöpfen wollen, als es Versorgern und deren Kunden guttäte, heißt es zur Begründung in Stuttgart.

Das Treiben auf der großen Energiebühne bringt den Unternehmen aktuell nur wenig Entlastung. Einige bestücken ihre Hallendächer mit Solarpaneelen und betätigen sich als Stromproduzenten. Das lindert zumindest die eigene Rechnung. Weniger wird in lokale Blockheizkraftwerke investiert, die noch vor der Pandemie als Lösung zur autarken Versorgung angesehen wurden. Doch die hohen Gaspreise haben viele abgeschreckt.

Schnellere Erfolge können die Unternehmen erreichen, wenn sie ihre Anlagen modernisieren. Hier berät beispielsweise die Mittelstandsinitiative Energiewende und Klimaschutz kleine und mittelständische Handwerksbetriebe und führt eine Vielzahl von Beispielen auf (www.energieeffizienz-handwerk.de). Wechselt etwa eine Tischlerei mit elf Beschäftigten den Stapler von Dieselantrieb auf Elektro, fallen die Energiekosten um 3300 Euro auf nur noch 1300 Euro. Zudem sinken die CO2-Emissionen von sieben auf 1,2 Tonnen. Von den 27.000 Euro Anschaffungskosten würden 10.000 Euro gefördert. Deutlich mehr hat mit 120.000 Euro die Dämmung einer Kfz-Werkstatt gekostet – hier sparen viele solcher Betriebe. Ein Viertel der Summe ist gefördert worden. Mit 30 Prozent weniger Wärmeverlust amortisiere sich die Investition binnen 16 Jahren, erläutert Experte Ron Claus von der Handwerkskammer Leipzig. .

Zunehmend erschwinglich werden Stromspeicher, die mit einer Solaranlage kombiniert werden. Die Anschaffungskosten schwanken zwischen 800 Euro je Kilowattstunde für kleinere Anlagen (100 Kilowatt) und 350 Euro je Kilowattstunde bei Speichern im Megawattbereich. Hier zeigt sich schon: Es besteht ein deutlicher Finanzierungsbedarf. Ob sich die Anschaffung lohnt, ist individuell sehr unterschiedlich. Findige Unternehmer haben aus den Speichern allerdings ein Geschäftsmodell entwickelt. Sie nutzen die Preisschwankungen am Energiemarkt. Diese Anwender beziehen Strom an günstigen Tagen aus dem Netz, um sie zu Höchstpreisen wieder einzuspeisen. An normalen Tagen bewegen sich die Preise zwischen 50 und 150 Euro pro Megawattstunde. Anfang November stieg der Preis an der Strombörse auf über 800 Euro pro Megawattstunde, Mitte Dezember sogar auf knapp 1000 Euro. Wer Strom gespeichert hatte, konnte da viel Geld verdienen. Die Energieversorger sprechen inzwischen sogar von Goldgräberstimmung rund um diese Speicher.

Eigentlich sollten die Speicher vor allem dann helfen, wenn im Norden viel Wind mehr Strom erzeugt, als gebraucht wird. Das würde die Netze merklich entlasten. Umgekehrt – wenn in den dunklen Monaten Flaute herrscht – machen Megaspeicher hingegen weniger Sinn. Selbst wenn sich die aktuelle Kapazität von Großstromspeichern verneunzigfachen würde, könnten sie Deutschland gerade mal für drei Stunden mit Strom versorgen, bevor sie leer wären.

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