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Energie & Rohstoffe > Photovoltaik

Energiewende lokal denken

Der Umbau zur nachhaltigen Versorgung Deutschlands mit Strom läuft. Doch die Kosten für die Wirtschaft sind hoch. Der Regierung fehlt noch eine zusammen­hängende Strategie.

Solaranlagen
Strom vom Dach: Solaranlagen auf Fabrik­gebäuden und Häusern sollen der Energiewende einen Schub geben. Doch überall hakt es.© picture alliance / Westend61 | Pau Cardellach Lliso

„Ich weiß nicht, ob wir das schaffen.“ Selbst Dirk Neubauer zweifelt, obwohl er keine unkonventionellen Wege scheut. Als Bürgermeister der sächsischen Gemeinde Augustusburg hat er den Bürgern schon mal einen Teil der Stadtkasse überlassen, die so direkt über die Ausgaben bestimmen konnten. Jetzt als Landrat des Kreises Mittelsachsen wagt er wirklich Großes. Für mehr als 700 Millionen Euro sollen in der Region auf einer Gesamtfläche von 1000 Hektar Solaranlagen zu einem großen Kraftwerk von einem Gigawatt Leistung zusammengeschaltet werden. 2023 wurden in ganz Deutschland insgesamt Solarmodule für 14 Gigawatt installiert. „Das Projekt kann zum größten Konjunkturprogramm der Geschichte des Landkreises werden“, hofft der parteilose Neubauer.

Der umtriebige Landrat will mit der riesigen Anlage nicht nur eine neue Energiequelle erschließen. Es ist gleichzeitig eine Verzweiflungstat, um in letzter Minute das Aus der Solarproduktion in Freiberg zu verhindern. Eine öffentliche Förderung plant er dabei nicht. Die bürokratischen Wege seien zu langwierig. „Wir haben keine Zeit“, sagt Neubauer, der die Genehmigungszeiten von derzeit 24 Monaten halbieren will. Es hätten sich bereits mehrere deutsche und europäische Investoren gemeldet. Auch der Sparkassenverband und die Volksbanken wollen mitmachen. Neubauer will dafür sorgen, dass so die Module aus Freiberg doch noch verwendet werden. Diese füllen – weil nicht konkurrenzfähig – die Lager des Herstellers Meyer-Burger.

Inzwischen haben die Schweizer den Betrieb in Europas größter Solarfertigung eingestellt und den rund 500 Beschäftigten vor Ostern gekündigt. Die Produktion in Sachsen lohnt sich nicht. Es ist schon das zweite Mal, dass in Deutschland der Versuch, eine Photovoltaikfertigung aufzubauen, scheitert. In Freiberg ging 2018 bereits Solarworld, das Unternehmen des „Sonnenkönigs“ Frank Asbeck unter. Im thüringischen Arnstadt hatte 2012 bereits der Bosch-Konzern sein Solarabenteuer begraben müssen, das Milliarden kostete. Die Gründe sind immer dieselben. Die heimischen Betriebe schaffen es nicht, mit den staatlich subventionierten Wettbewerbern aus China mitzuhalten.

Chinas Ausverkauf

Die Regierung in Peking hat Photovoltaik, Wind, Batterien und E-Mobilität als die Zöpfe auserkoren, mit denen sich das Land aus dem Rezessionssumpf ziehen soll. Mehr als 130 Milliarden Dollar flossen dort allein vergangenes Jahr in neue Solarfertigungen. Chinas Photovoltaikkonzerne haben inzwischen genug Fabriken, um jedes Jahr zweieinhalbmal die globale Nachfrage zu bedienen. Die Planwirtschaft Pekings hat längst den heimischen Solarmarkt überflutet. Derzeit kostet ein Panel nur noch halb so viel wie vor einem Jahr. Drum drücken die Hersteller aus Fernost ihre Ware mit aller Macht auf den Weltmarkt. Alles muss raus.

Gleichzeitig verhallen seit mehr als einem Jahr die Hilfsgesuche von Meyer-Burger und anderer Unternehmen im politischen Berlin. Die Schweizer hatten angeregt, für Anlagen aus europäischer Produktion eine besondere Vergütung einzuführen. Doch so ein „Resilienzbonus“ ist nicht im Sinne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Wirkliche innovative Technologie sind für ihn Wechselrichter – und nicht die simple Fertigung von Solarmodulen. Es gebe keinen Grund, hier zu produzieren, stellt Gunter Erfurt, Chef von Meyer-Burger, resignierend fest. Die Bemühungen von Landrat Neubauer werden daran wohl nichts mehr ändern. Die Schweizer wollen jetzt ihre Fertigung in den USA ausbauen. Die Regierung in Washington betrachtet die Energiewelt anders als in Berlin und fördert mit mehr als 360 Milliarden Dollar den Aufbau eigener grüner Wirtschaftszweige im Rahmen des Inflation Reduction Acts. Gleichzeitig machen die USA Peking deutlich, dass man den ruinösen Wettbewerb aus China nicht dulden will. Auch europäischen Herstellern bleibt der Markt durch die America-First-Politik verschlossen.

Bei der Windenergie ist die Lage ähnlich. Auch hier bestimmen die Anbieter aus Fernost mit Billigangeboten zunehmend den Markt. Wie bei der Solarwirtschaft haben die kommunistischen Machthaber in Peking die Branche stürmisch hochgefahren. Knapp zwei Drittel der Kapazitäten für die Windradproduktion stehen in China. Das allein wäre mehr als genug, um die Weltnachfrage zu decken. Statt auf hochwertige Fertigung wie die Wettbewerber Siemens Energy, Nordex oder Vestas setzen die Chinesen vor allem auf Masse. Die Anlagen durchlaufen oft nicht einmal die aufwendigen Tests europäischer Modelle, stellt ein Hersteller solcher Prüfstände betrübt fest. Die sind vor allem für Windparks auf hoher See nötig, denn reparieren lässt sich dort nur noch mit hohem Aufwand. Da könne es in einigen Jahren noch böse Überraschungen geben, meint ein Experte, der nicht genannt werden will.

Aktuell plagen die Betreiber von Windrädern allerdings ganz andere Sorgen. Im vergangenen Jahr mussten ihre Anlagen öfter als 2022 abgeregelt werden, weil die Kapazität der Netze nicht ausreichte. Denn immer noch fehlen Leitungen, um den Strom aus dem Norden in den energiehungrigen Süden zu transportieren. Deshalb mussten dort in Spitzenzeiten zusätzliche Kraftwerkskapazitäten hochgefahren werden. Das verursachte der Bundesnetzagentur zufolge zusätzliche Kosten von 3,1 Milliarden Euro, die von den Stromkunden über die Netzentgelte beglichen wurden. Insgesamt gingen so gut 19 Terawattstunden Strom verloren. Das entspricht etwa vier Prozent der gesamten Stromerzeugung Deutschlands.

Solche Nachrichten bringen vor allem Unternehmen auf, die unter den hohen Stromkosten in Deutschland leiden. Das sind viele. In einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gaben 57 Prozent der befragten internationalen Konzerne an, dass die hohen Energiekosten sie an Investitionen hierzulande hindern. Wobei zur Wahrheit auch gehört, dass die Industriepreise je Kilowattstunde in Italien, Spanien oder Großbritannien noch höher liegen. Die Bundesregierung hat energieintensive Unternehmen zudem mit reduzierter Energiesteuer, Ermäßigungen bei Umlagen, entfallenden Konzessionsabgaben und geringeren Netzentgelten unterstützt.

Wirklich weiter hilft das der deutschen Wirtschaft jedoch nicht. Wettbewerber in den USA, China, Südkorea, Kanada, Mexiko oder Japan bezahlen deutlich weniger, wie aus einer Prognos-Studie hervorgeht. Auch im Nachbarland Frankreich ist der Strom für Unternehmen mit neun Cent deutlich billiger, weil der Staat die Preise gedeckelt hat. In bestimmten Fällen müssen französische Betriebe sogar nur vier Cent je Kilowattstunde zahlen. Mit ähnlichen Überlegungen ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Widerstand innerhalb der Ampel gescheitert.

„Hohe Strompreise sind ein erhebliches Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Akzeptanz der Energiewende“, rügt der Bundesrechnungshof in einem Untersuchungsbericht zur Energiewende. Die Preise für Strom seien in Deutschland in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Sie gehörten zu den höchsten in der EU – und weitere Preissteigerungen seien absehbar. Den nächsten Schub erwartet Präsident Kay Scheller durch den Ausbau der Netze. Bis zum Jahr 2045 stünden Investitionskosten von mehr als 460 Milliarden Euro an. Dies werde wiederum die Energie verteuern.

Preise sinken

Das ist heute schon zu beobachten. Die Preise an den Strombörsen sinken inzwischen deutlich. Im Großhandel sind Werte von sechs Cent bereits wieder üblich. Doch bei den Endkunden kommen sie kaum an. Im Gegenteil: Energie Baden-Württemberg (EnBW) – Deutschlands größter Direktversorger – hat erst Anfang April die Tarife um 16 Prozent angehoben. Und das, obwohl der Karlsruher Konzern im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von 6,2 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Doch der Versorger braucht für den Umstieg von Atom und Kohle zu Sonne, Wind und Wasserstoff Geld. Viel Geld. Rund 40 Milliarden Euro investieren die Karlsruher allein bis 2030 beispielsweise in Pumpspeicherwerke, Wasserstofftechnik, riesige Wärmepumpen, Windparks, in Netzausbau, LNG-Terminals, die Umrüstung von Kohle auf Gas.

Das Beispiel EnBW zeigt, wie rasant der Umbau in der deutschen Stromwirtschaft voranschreitet. Schon heute stammt die Hälfte der Produktion aus erneuerbaren Quellen. Zum Ende der Dekade sollen es mehr als 80 Prozent sein. Diese Transformation benötigt allerdings eine Sicherung für den Fall, dass über Sonne und Wind nicht genug eingespeist wird. Die Kraftwerkstrategie der Bundesregierung sieht den Bau von vier neuen Gaskraftwerken mit jeweils 2,5 Gigawatt vor. Zwischen 2035 und 2040 sollen die dann mit Wasserstoff betrieben werden.

Allerdings warten die Stromkonzerne immer noch auf konkrete Signale aus Berlin. „Wenn die Kraftwerke schnell kommen sollen, brauchen wir Klarheit und erste Ausschreibungen noch in diesem Jahr“, mahnt EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos. „Wir können nicht in Anlagen investieren, von denen wir nicht wissen, wer die Kosten trägt.“ Der Bundesrechnungshof bewertet den Berliner Energiekurs noch drastischer: „Die sichere Versorgung ist gefährdet, der Strom teuer, während die Bundesregierung die Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt nicht umfassend bewerten kann.“

In Sachsen setzt Landrat Neubauer deshalb auf Eigeninitiative – unabhängig davon, ob die Rettung der lokalen Solarproduktion gelingt. Für den Freiberger Verwaltungschef ist der Vorstoß in Richtung nachhaltiger Energieversorgung ohnehin überfällig. „Wenn wir perspektivisch als Standort nicht abgehängt werden wollen, müssen wir handeln.“ Grüne Energie werde zum Investitionsfaktor für viele Unternehmen. Und die Solaranlagen sollen attraktive Gewinne abwerfen. Entlang der Autobahn 4 sollen beispielsweise Module auf einer Fläche von 85 Hektar Strom produzieren. Die Renditeerwartung eines „Bürgerkraftwerkes“ in diesem Ausmaß beziffert Politiker Neubauer mit 30 Millionen Euro jährlich. Sein Landkreis mit heute 300.000 Einwohnern werde in den kommenden 20 Jahren drei Milliarden Euro für Energie aufbringen müssen. „Warum also sorgen wir nicht dafür, dass ein Teil dieser Wertschöpfung in den Kassen beispielsweise der Kommunen bleibt?“

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