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Energie & Rohstoffe > EU-Klimaziel 2040

EU-Klimaziel 2040: Zwischen CO₂-Fantasien, Industrieprotesten und alten Fehlern

Die EU will 90 % CO₂ bis 2040 einsparen – und rechnet mit Projekten in Drittstaaten. Eine mutige Zielmarke mit politischer und wirtschaftlicher Sprengkraft.

Symbolbild: Europasterne und Schriftzug "Klimaziele 2040"
(Foto: picture alliance)

Von außen wirkt es wie ein großer Wurf: Die Europäische Kommission hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, den CO₂-Ausstoß bis 2040 um 90 Prozent zu reduzieren. „Das Ziel ist klar, der Weg pragmatisch“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

In den Chefetagen europäischer Industriekonzerne sieht man jedoch vor allem die Last, weniger den Pfad. Lufthansa, ThyssenKrupp, Eon – sie alle waren nach Brüssel gereist, um nicht gegen das Ziel, sondern gegen dessen mögliche Nebenwirkungen zu protestieren.

Die Rückkehr des CO₂-Gutscheins – diesmal in grün?

Kern des Vorschlags ist ein altbekanntes Instrument in neuem Gewand: CO₂-Gutschriften aus Drittstaaten. Die Idee: Unternehmen dürfen sich einen Teil ihrer Emissionseinsparungen durch Klimaprojekte außerhalb der EU anrechnen lassen – begrenzt auf drei Prozent der Emissionen von 1990. Das klingt technisch, ist aber politisch hochexplosiv. Denn in der Vergangenheit erwies sich genau dieses Modell als Einladung zur Schönfärberei.

Clean Development Mechanism hieß das Prinzip im Kyoto-Protokoll: Unternehmen investierten etwa in Windparks in Indien, bekamen CO₂-Zertifikate dafür – und stießen im Gegenzug in Europa mehr CO₂ aus. Ein Nullsummenspiel mit eingebauter Klimalüge, wie Studien später zeigten. Nur 16 Prozent der damals ausgestellten Zertifikate führten laut Nature-Analyse zu realen Einsparungen. Der Rest war Etikettenschwindel mit Brief und Siegel.

Doch Klimakommissar Wopke Hoekstra hält unbeirrt dagegen: „Das hat fantastisches Potenzial.“ Der neue Anlauf soll strenger, transparenter, robuster werden – gestützt auf Artikel 6 des Pariser Abkommens und flankiert von einem neuen internationalen Standard.

Die Kommission betont, dass das Reduktionsziel von 90 Prozent ein gesamt­europäisches Ziel sei – nicht jedes Land müsse diesen Wert individuell erreichen. Auch Deutschland nicht, das sich vertraglich auf minus 88 Prozent bis 2040 festgelegt hat. Der Spielraum ist also politisch vorgezeichnet – aber ökonomisch umkämpft.

Frankreich, Polen, Italien – sie alle wollten das neue Ziel noch in letzter Minute kippen. Die Warnung: Europa überfordert sich – und öffnet politischen Rattenfängern von rechts Tür und Tor. Dass Präsident Macron das Thema zuletzt auffallend mied, dürfte kein Zufall sein. Die Front gegen den Green Deal wächst – und sie hat wirtschaftliches Gewicht.

Die Industrie fordert Planbarkeit, nicht Pathos. Und diese Planbarkeit versucht die Kommission mit einem doppelten Hebel zu liefern: Subventionen für CO₂-intensive Branchen wie Stahl oder Zement – und besagte Gutschriften aus Drittstaaten. „Pragmatismus“ und „Flexibilität“ waren die Vokabeln, die beim Treffen zwischen von der Leyen und deutschen Unternehmenschefs am häufigsten fielen.

Rechentrick oder Realismus? Warum Vertrauen jetzt die neue Währung ist

Das Problem liegt nicht im Ziel, sondern in der Messbarkeit des Fortschritts. Wenn Europa heute Projekte in Afrika oder Asien anrechnet, die dort ohnehin entstanden wären – dann wird das neue CO₂-Ziel zur Fiktion mit grünem Etikett. Der entscheidende Begriff lautet: Zusätzlichkeit. Nur wenn ein Projekt ohne die europäischen Mittel nicht realisiert worden wäre, darf es als Emissionsgutschrift gelten. Doch genau diese Bewertung war bislang notorisch manipulierbar.

Der Forscher Lambert Schneider vom Öko-Institut beschreibt die Mechanik bitter-präzise: „Zwei Rechnungen – eine für die Investoren, eine für die Zertifizierer.“ Die neue Pariser Architektur soll dem einen Riegel vorschieben. Ob das gelingt, bleibt offen. Die Kommission selbst will die Gutschriften erst ab 2036 zulassen – ein implizites Eingeständnis der Komplexität.

Der Planet zählt CO₂, nicht Ideologien

Hoekstra hat Recht, wenn er sagt: „Dem Planeten ist es egal, wo das CO₂ reduziert wird.“ Aber Europas Bürgern ist es nicht egal, wie ehrlich diese Einsparung zustande kommt. Zwischen China, den USA und einer EU, die sich zugleich ökologisch voranträumen und wirtschaftlich absichern will, entscheidet letztlich nicht nur die Politik – sondern das Vertrauen.

Das neue Klimaziel ist kein Statement, sondern ein Test: ein Test für institutionelle Glaubwürdigkeit, technokratische Integrität und politische Standfestigkeit. Die Vergangenheit mahnt zur Vorsicht. Doch wer im Status quo verharrt, verliert die Zukunft.

Europa hat sich festgelegt. Jetzt muss es liefern – nicht nur in Tonnen, sondern in Transparenz.

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