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Technologie > Digitalisierungsschub durch Corona

Folgen der Corona-Krise: „Wir sind flexibler als früher“

Der Haushaltsgerätehersteller Graef unterstützt während der Corona-Krise seine Händler und glaubt an einen langfristigen Digitalisierungsschub. Wie das Virus die Abläufe in dem mittelständischen Familienunternehmen verändert hat.

„Das ist doch ein schlechter Film“, dachte Johanna Graef, als sie vor wenigen Monaten die Bilder aus dem abgeriegelten Wuhan sah. Bedrückend sei das gewesen und menschlich dramatisch, auch weil sie tags zuvor noch die Berichte über die Demonstrationen in Hongkong verfolgt hatte. Die Gegend ist leidgeprüft, dachte sie, aber doch weit weg, nicht nur geographisch. „China ist kein Markt, mit dem wir Geschäfte machen“, erklärt Johanna Graef, die beim Haushaltsgerätehersteller Graef, einem Familienunternehmen mit 100-jähriger Geschichte, den Vertrieb leitet.

Überhaupt hatte sie Ende Februar ganz andere Themen auf der Agenda. Die Zahlen seien mehr als erfreulich gewesen, erinnert sich die Vertriebschefin: „Wir hatten einen wahnsinnig guten Start ins neue Jahr.“ Außerdem stand die „Ambiente“ vor der Tür, die wichtigste Messe des Jahres. Gemeinsam mit ihrer Schwester Franziska, die bei Graef das Marketing verantwortet, hatte sie die Messe vorbereitet. Die beiden Schwestern führen das Familienunternehmen vierter Generation. Mit der gesamten Mannschaft waren sie noch vor Ort in Frankfurt am Main. Doch wie schnell die Stimmung dann umschlug, damit hatten sie nicht gerechnet. „Der Einbruch kam so abrupt“, sagt Franziska Graef.

Plötzlich sitzt sie mit ihrer Schwester im Krisenstab des Familienbetriebs. Fünf Führungskräfte gehören dazu – bis auf den kaufmännischen Leiter allesamt Mitglieder der Familie. Die ersten Schritte: rascher Schutz der Mitarbeiter, auch um die Gefahren für den Produktionsbetrieb so gering wie möglich zu halten. Die Treffen finden vor Ort statt, in Arnsberg. Das Kernteam sitzt im Verwaltungsgebäude, der Pendelverkehr zur knapp 600 Meter entfernten Produktion wurde sofort eingeschränkt. Die Produktion selbst arbeitet seither auf zwei Schichten verteilt. „Das ging alles problemlos, die Mitarbeiter waren flexibel und kooperativ, der Betriebsrat ebenfalls“, sagt Johanna Graef.

Die Zeit nach der Krise

Dann kam die zweite Welle, mit der Ansprache der Bundeskanzlerin am Sonntag, dem 15. März. „Da wussten wir: Jetzt kommt wirklich was auf uns zu“, sagt Johanna Graef. Tags darauf gingen schon die ersten Stornierungen bei Graef ein. Aufträge wurden geschoben, Monat um Monat. „Das war zu erwarten, wenn Geschäfte geschlossen haben, brauchen unsere Händler keine Ware.“ Und nun?



Zu diesem Zeitpunkt saß Johanna Graef im Büro mit ihrer Schwester Franziska, genau genommen auf einer Etage, nicht in einem Raum, also Abstimmung mit Abstand. Schnell wurde beiden klar: „Wir müssen was machen.“ Die großen Handelspartner seien abgesichert, zumindest hätten sie nicht mit existenzbedrohenden Einbrüchen zu kämpfen. Aber was ist mit den Kleineren, in einer Ausnahme-Situation, in der das Geschäft nun vollkommen einbricht? „Unsere Händler haben uns doch groß gemacht“, betont Johanna Graef. Und: Es gibt eine Zeit nach der Krise. „Menschen erinnern sich daran, wie man sich in einer Krise verhält“, ergänzt Franziska Graef.

Die Schwestern wollen ihren Kunden das Leben leichter machen. Deshalb übernehmen sie die Logistik für ihre Händler: Graef organisiert das sogenannte Dropshipping-Management, also die Auslieferung der Produkte direkt an den Endkunden. Die Rechnungsabwicklung bleibt beim Händler, aber er braucht die Ware nicht auf Lager zu halten. Der Kunde erhält seine Bestellung schneller, weil sie direkt vom Hersteller geliefert wird. Und noch einen positiven Nebeneffekt gibt es: Die Händler können ihren Kunden nun das vollständige Produktsortiment von Graef anbieten.

Das Unternehmen: Graef GmbH & Co. KG


Graef ist ein Hersteller von Küchen- und Haushaltsgeräten mit Sitz in Arnsberg (Sauerland). Das Kerngeschäft des 1920 gegründeten Familienunternehmens sind Produktion und Vertrieb von professionellen Schneidemaschinen für den privaten und gewerblichen Gebrauch. Seit 2009 hat der Mittelständler zudem ein wachsendes Sortiment an Elektrogeräten aufgebaut, dazu zählen beispielsweise Siebträgermaschinen, Milchaufschäumer, Wasserkocher und Toaster. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 135 Mitarbeiter und erwirtschaftete zuletzt einen Umsatz von rund 33 Millionen Euro.

Die Schwestern Johanna und Franziska Graef sehen sich auf dem richtigen Weg: „Wir wollen unseren Kunden gegenüber ein Statement abgeben: Lasst uns nicht in Schockstarre verfallen, sondern das Bestmögliche aus der Situation machen.“ Für den Küchengerätehersteller selbst bedeuten die Maßnahmen mehr Aufwand, allen voran Verwaltungs- und Logistikkosten. Doch Graef nimmt das gern in Kauf, so die Unternehmerinnen.

Digitalisierungsschub

Was die beiden nicht in den Vordergrund stellen: dass der Mittelständler derzeit selbst zu kämpfen hat. Verzögerungen und Ausfälle in der Lieferkette erschweren das Leben für den Hersteller aus dem Sauerland. Vor allem im Einkauf gibt es deutlich längere Lieferzeiten. Selbst Lieferanten, die in Arnsberg sitzen und bis vor kurzem innerhalb von zehn Tagen die Teile zuliefern konnten, brauchen dafür mittlerweile sechs Wochen. So etwas könne kritisch werden, prognostiziert Vertriebsleiterin Johanna Graef. „Wir müssen jetzt flexibler sein als früher“, sagt Franziska Graef, „aber in diese Richtung wollten wir uns ohnehin entwickeln.“

Die zahlreichen Videotelefonate und virtuellen Treffen tragen dazu bei, das gesamte Unternehmen spontaner und agiler zu machen. Nicht immer überall physisch dabei sein zu müssen mache die Arbeit effizienter, sagt die Marketingchefin. „Bislang haben wir uns damit schwergetan. Jetzt ist es selbstverständlich. Dieser Digitalisierungsschub tut uns gut – auch für die Zeit nach der Krise.“

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