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Technologie > Mobilität

Gesetzgeber bremsen die Maut

Eine Maut könnte die verstopften Innenstädte befreien. Sie hätte noch andere Vorteile. Doch der Gesetzgeber stellt sich quer.

London hat eine, Oslo, Singapur, Wien. Weltweit wird in Städten über eine Citymaut diskutiert, um die Verkehrsmengen in den Innenstädten besser in den Griff zu bekommen und zu verringern, was viele Menschen aufregt: Staus. Dabei kann eine Maut deutlich mehr, als nur Verkehr fließen zu lassen. Experten wollen auch Parken und Nahverkehr in eine Maut integrieren. Und ihr kommt eine zentrale Rolle beim Klimaschutz zu. Die Staugebühr in London wird seit 2006 erhoben. Kameras an den Straßen erfassen die Nummernschilder, wer in die Stadt fährt, muss sein Auto vorher an melden. Wer die Regeln missachtet, zahlt hohe Strafen. E-Autos sind ausgenommen. Auch in Göteborg erfassen Kameras die Fahrzeuge, die Eigner bekommen eine Rechnung geschickt. Die Maut variiert je nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen. In Oslo gibt es Mautstationen um die Innenstadt.

Veraltete Technik

Derartige Systeme halten Wissenschaftler für unpraktisch. "Kameras, Nummernschilderkennung, auch die Erfassungsbrücken für die Lkw-Maut in Deutschland: alles analog und veraltet", sagt Andreas Knie, Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. "Man braucht dafür nur ein Smartphone." Das könnte so gehen: Man meldet sein Fahrzeug über das Telefon im Mautsystem an. Über GPS erkennt das System, wenn das Auto in die Stadt fährt, erfasst, zu welcher Zeit, wie lange, wo es parkt. Entsprechend könnten Gebühren berechnet und von einem hinterlegten Konto abgebucht werden. Andreas Knie kann sich stichprobenartige Kontrollen vorstellen.

Hinter den Konzepten steht nicht nur, Staus in der Innenstadt zu verringern, sondern den vergleichsweise großen Flächen- und Umweltverbrauch von Pkw zu verringern. Am weitesten ist derzeit Wien. Bis 2025 sollen 80 Prozent der Wege zu Fuß, mit dem Rad oder dem Nahverkehr zurückgelegt werden. 1993 waren es 60 Prozent. Die Stadt baut dazu den Nahverkehr aus, setzt auf Leihsysteme etwa für Räder, bewirtschaftet intensiv den Parkraum und erweitert das Radwegnetz. Einige deutsche Städte beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. In Berlin etwa wird immer wieder über eine Citymaut gesprochen, bisher hat die mitregierende SPD alle Pläne blockiert. Für die Münchener Innenstadt hat das Ifo Institut im Herbst 2020 im Auftrag der Industrie- und Handelskammer die Folgen einer Anti-Stau-Gebühr durchgerechnet. Mit einer Tagespauschale von sechs Euro für alle, die mit einem Auto in der Innenstadt unterwegs sind, würde sich demnach der Verkehr um 23 Prozent verringern. Die Einnahmen von rund 600 Millionen Euro könnten genutzt werden, um Alternativen auszubauen, etwa den Nahverkehr.

Für Klaus Bogenberger, Professor für Verkehrstechnik der TU München, ging die Studie noch nicht weit genug. Pauschale Gebühren seien veraltet, Preise sollten nach Strecke erhoben werden, Verkehrs- und Umweltsituation berücksichtigt werden. Selbst die Autoindustrie sieht Vorteile: Wenn der Verkehr in der Innenstadt einen Preis bekäme, könnte man etwa E-Autos rabattieren. Das gebe einen Anreiz für Autobesitzer, vom Verbrenner auf die klimafreundliche Alternative zu wechseln, sagte Carl Friedrich Eckardt aus der Konzernstrategie von BMW kürzlich auf der IAA in München. Er schlug auch vor, eine Maut weiter zu fassen. Eingebunden werden könnten Leihräder und Leih-E-Roller, die ohnehin schon über das Smartphone abgerechnet werden und deren Standortdaten metergenau erfasst werden. Überhaupt alle Radfahrer. Und natürlich der öffentliche Personennahverkehr.

Die Citymaut wandelte sich in diesem Fall zu einer Mobilitätsgebühr. Bogenberger kann sich sogar vorstellen, mit einer Art Mobilitätskonto zu arbeiten, was noch mehr Steuerchancen ermöglicht: Wer ein Rad mietet, bezahlt von diesem Konto, wer sich besonders umweltfreundlich verhält, etwa Radfahrer, bekommt eine Gutschrift. Auch Knie hält es für sinnvoll, alle einzubinden, die sich im öffentlichen Raum bewegen. Über das Smartphone lasse sich schon heute der fließende und der stehende Verkehr erfassen. Das bedeutet: Auch Parken würde ins System einbezogen. Handwerker und Paketzusteller könnten von einer Gebühr ausgenommen werden. Vor allem der Nahverkehr könnte sein System schon einmal umstellen. Der ÖPNV wird derzeit pauschal bezahlt, mit Monatsabos zum Beispiel, unabhängig davon, wie viel die Kunden jeweils fahren. Künftig könnten die Fahrten nach Strecke abgerechnet werden. Ein solches System gibt es in London, dort kann man mit Prepaid-Karte oder sogar der Kreditkarte das Netz benutzen. Allerdings sind die Zugänge zum U-Bahn-System dort mit Schranken versehen.

Innovation ausgebremst

Derartige Einbauten sind nicht nötig: Man kann mit dem Smartphone bei Fahrtantritt ein- und nach der Fahrt auschecken. Gute Ideen, aber: "Der ÖPNV will keine Veränderung und keiner zwingt die Unternehmen", sagt Verkehrsexperte Knie. "Das sind Monopolanbieter und der Bereich gehört zur Daseinsvorsorge, der Staat kümmert sich also um alles. Deswegen bleibt Innovation auf der Strecke." Auch sonst geht es kaum voran. "Die Technik ist da, aber alle stehen auf der Bremse", sagt Knie. Er verspricht sich von einer ganzheitlichen Mobilitätsgebühr nicht nur leerere Straßen. "Ohne Privatautos wird es für die Ökonomie ein Eldorado", sagt er. Handwerker oder Paketboten fänden Parkplätze und blockierten keine Straßen mehr in zweiter Reihe. Außerdem werde um die Technik herum eine neue Industrie entstehen, schwärmt Knie.

Bogenberger von der TU München ist sich sicher, dass mindestens eine Citymaut für große Städte kommen wird. "Monetäre Maßnahmen sind die letzte Waffe im Köcher", um verstopfte Straßen zu befreien. Zudem seien Staus auch ein ökologisches Problem. Bisher allerdings hat noch keine deutsche Stadt eine Citymaut oder Mobilitätsgebühr erhoben, nicht einmal als Test. Sie dürfen nicht. Denn das Verkehrsrecht bestimmt der Bund, dass Städte Gebühren etwa für die Straßennutzung erheben, ist nicht vorgesehen. "Bisher hat sich der Bundesverkehrsminister nicht getraut, das anzugehen", sagt Andreas Knie. "Im Bund ist mindestens die Duldung eines Experiments nötig, damit wir ausprobieren können, ob eine Mobilitätsgebühr überhaupt funktioniert."

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