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Technologie > Gastbeitrag

„Hausgemachte“ Digitalisierung

| Ralf Rees

Richtig aufgesetzt, können Unternehmen den Großteil der Prozessdigitalisierung selbst übernehmen – effizient und sicher.

(Foto: shutterstock)

Endlich richtig digital statt Papier oder Excel: Gut gemachte digitale Transformation hat viele Vorteile. Am besten gelingt sie, wenn die wirklich „Betroffenen“ unterstützen. 

von Ralf Rees 

 

Wer immer schon einmal eine Software oder einen Prozess „vor die Nase“ gesetzt bekommen hat, dürfte es kennen: Die eigenen Anforderungen sind nur unzureichend berücksichtigt. Ob Bedienung oder interne Sachverhalte, ein externer Hersteller kann individuelle Bedürfnisse schlicht nicht kennen und damit auch nicht erfolgreich abbilden. Das können die eigenen Team-Mitglieder einfach am besten, doch die sind keine Entwickler – oder doch …? Mit dem Konzept des sogenannten Citizen Development (CD) ist genau das gemeint: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem erforderlichen Prozess-Know-how erstellen eigene, maßgeschneiderte Anwendungen. Vom digitalisierten Urlaubsantrag bis hin zu hochgradig fach- und branchenspezifischen Applikationen, kurz Apps. 

Das mag zunächst nach viel Aufwand klingen. Doch die Verbreitung von sogenannten Low-Code- und No-Code-Lösungen (LC/NC) hat dafür gesorgt, dass Unternehmen das eigene Schwarmwissen recht schnell und mit wenig Aufwand in eigene Anwendungen einbringen können. Das ist wörtlich gemeint, daher zur Verdeutlichung: Interne Teams werden bei CD befähigt, selbst Software zu erstellen; nur eben nicht per Code, sondern in der Regel über Drag & Drop, das Erstellen von Verknüpfungen usw. Oft reicht für simplere Fälle wie Genehmigungs- und Freigabeprozesse bereits ein einzelner Arbeitstag, und auch bei komplexeren Vorhaben sind über wenige Wochen verteilte Stunden-Pakete in der Regel ausreichend. Das gilt insbesondere für No-Code-Programme, die komplett aus vorgefertigten „Teil-Vorlagen“ bestehen; sie sind jedoch ein wenig starrer im Ergebnis, erreichen also das gewünschte Maß an Individualisierung nicht so gut. 

Digitalisierung per Low-Code: Was beachten?

Die goldene Mitte bilden damit in den meisten Fällen Low-Code-Anwendungen. Dort sind die Bausteine kleiner und mit anpassbaren Bestandteilen versehen. Damit ist die Erstellung von Apps ein wenig anspruchsvoller, aber letztlich immer noch extrem einfach und zügig durchführbar. Hier gibt es eine ganze Reihe von bewährten Lösungen – damit ist die Wahl des passenden Werkzeugs im Grunde anspruchsvoller als dessen Einsatz. Daher ist es für Interessenten einer „Inhouse-Digitalisierung“ unbedingt erforderlich, zunächst einmal einige zentrale Rahmenbedingungen zu definieren und diesen Katalog abzuprüfen. An dieser Stelle ist die Einbeziehung einer ggf. vorhandenen IT-Abteilung ratsam. 

Prüfkriterien für den Einsatz von Low-Code-Lösungen zur Digitalisierung über Citizen Development sind in der Regel: 

  • Funktionaler Leistungsumfang: Hier sind insbesondere eine intuitive Entwicklungsumgebung zur Abbildung der Prozesse sowie das Schnittstellenangebot relevant; welche Schnittstellen vorhanden sein sollen, ergibt sich aus der vorhandenen Anwendungslandschaft. 

  • Technologie, Architektur & Lizenzierung: Kann das Tool innerhalb des Budgetrahmens – und ggf. auch bei Unternehmenswachstum – alles abbilden, was jetzt und künftig erforderlich ist?  

  • Sicherheit & Compliance: Rollen und Rechte ggf. inklusive Versionierung, Cloud oder On-Premises, DSGVO-Konformität, ggf. Sicherheitszertifizierungen usw. – gerade im Bereich Security ist der Prüfbedarf im Zusammenspiel mit internen IT-Experten relevant. 

  • Schulung & Support: Bietet der Hersteller selbst gute Unterstützung bzw. gibt es alternativ ein adäquates Partner-Angebot? 

Digitalisierung und Optimierung von Prozessen gehen Hand in Hand

Ob nun mit oder ohne Citizen Development: Ein digitalisierter schlechter Prozess ist immer noch ein schlechter Prozess. Darum muss für Digitalisierungswillige der erste operative Schritt stets sein, die bestehenden Abläufe zu hinterfragen und zu optimieren. Der CD-Logik nach werden selbstverständlich auch an dieser Stelle die relevanten User eingebunden. Nach den Optimierungen – und die gibt es erfahrungsgemäß immer – ist der richtige Augenblick, die neu gestalteten Workflows ins Digitale zu übertragen bzw. dort eben neu zu gestalten. So bedeutsam das im Unternehmen vorhandene Wissen jedoch auch ist: In der Regel ist es hilfreich, unvoreingenommene Außenstehende für eine Einordnung hinzuzunehmen. Denn so lässt sich eine „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“-Mentalität besser aufbrechen.  

Es ist auf jeden Fall ratsam, etwaige Implementierungspartner bei der Definition solcher Rahmenbedingungen mit einzubeziehen bzw. aktiv nach Best Practices zu suchen. Das gilt auch beim Thema IT-Sicherheit. Denn wer Anwendungen entwickelt, trägt hier besondere Verantwortung. Wie bereits bei der Tool-Auswahl, so ist bei der Entwicklung der Anwendungen bzw. der Umsetzung der Digitalisierungsvorhaben selbst jedoch vor allem die regelmäßige, strukturierte Zusammenarbeit mit internen IT-Experten essenziell. Sie können zum Beispiel helfen, Vorgaben rund um Branchen-Zertifizierungen einzuhalten, einem Daten- und Identitätsdiebstahl vorbeugen und natürlich auf relevante gesetzliche Regularien achten. Aus dieser Liste lässt sich ableiten: Ohne passende Security-Expertise könnten die schnell und einfach erstellten Anwendungen und Digitalisierungsbausteine zum Sicherheitsrisiko werden.

Künstliche Intelligenz clever für Digitalisierungsprojekte einsetzen

Es liegt auf der Hand, dass Künstliche Intelligenz (KI) in diesem Umfeld eine große Rolle spielen kann. Mit ihrer Hilfe können Unternehmen etwa Arbeitsschritte innerhalb der CD-Entwicklung vereinfachen und beschleunigen. Beispiele hierfür wären so simple Ansätze wie das Autovervollständigen von Formularen und Workflows bis hin zur Prompt-basierten App-Entwicklung bei einfacheren Anwendungen. Auch bei der Datenintegration und -aufbereitung kann KI ihre Stärken ausspielen. Prozessanalyse, Regel-Generierung … die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Und selbst beim so wichtigen Thema Security kann KI einen Beitrag leisten, etwa über automatisierte Prüfungen bereits während der App-Erstellung, bei der Dokumentation usw.  

Digitalisierung per Citizen Development: einmal in Fahrt, kaum zu stoppen

Statt bestehende Software teuer anzupassen oder Kompromisse bei der Nutzung einzugehen, können Unternehmen mit Citizen Development schnell und kosteneffizient maßgeschneiderte Anwendungen erstellen. Dafür ist zu Beginn ein gewisser Aufwand für das Setup erforderlich. Doch ist dieser nicht allzu steile Hügel einmal überwunden, läuft es wie am Schnürchen. Glauben Sie mir: Es lohnt sich. 

Der Autor

Ralf Rees leitet bei MicroNova die Competence Center für Transformation und Cyber Security. In dieser Rolle berät er Kunden aller Branchen und entwickelt gemeinsam mit seinem Team maßgeschneiderte Lösungen zur digitalen Transformation. 

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