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Technologie > Innovationsoffensive Süd

Hightech in der Provinz: Wie KI-Hubs in Heilbronn & Bayern die deutsche Wirtschaft neu erfinden

Wie Heilbronn & Bayern Deutschlands Zukunft mit Hightech-Clustern sichern und warum Silicon Valley nicht mehr weit ist.

Runde Sache: Modell des neuen Innovation Park Artificial Intelligence, der nördlich von Heilbronn entsteht. Hier sollen Spezialisten künstliche Intelligenz voranbringen. (Foto: Innovation Park Artificial Intelligence)

Von Andreas Kempf

Ein paar Metallzäune, Pflöcke im Boden und Fahrzeuge, die einen Zugangsweg bauen: Bisher ist wenig zu sehen von den größten deutschen, gar europäischen Vorhaben für künstliche Intelligenz (KI) im Norden Heilbronns. In unmittelbarer Nähe zur Autobahn A6 der Innovation Park Artificial Intelligence (Ipai). In zwei Jahren sollen die ersten Spezialisten einziehen. Ende 2029 – so der Plan – sind alle kreisrund angeordneten Gebäude auf der Fläche von 23 Hektar fertig. Rund 5000 Menschen arbeiten dort dann an KI-Lösungen. „Das klingt nach grüner Wiese, ist es aber nicht. Wir sind schon heute operativ", sagt Ipai-Geschäftsführer Moritz Gräter. Er residiert mit seinem Team drei Kilometer stadteinwärts in einem Neubau, wo neben den Planungen für das gigantische Projekt bereits KI-Anwendungen vorgestellt werden und sich Unternehmen mit Wissenschaftlern über praktische Lösungen austauschen können. „Das Gebäude ist in nur 20 Monaten entstanden. Wir sind also mit hohem Tempo unterwegs", sagt Gräter.

Tatsächlich treibt Heilbronn den Wandel mit Hochgeschwindigkeit voran. Auf der ehemaligen Industriebrache im Hafengebiet siedeln sich immer mehr Softwarespezialisten und Dienstleister an. Das Gebiet „Wohlgelegen" ist auch Testfeld für autonomes Fahren. Die nötigen Spezialisten rekrutieren die Unternehmen aus der 130.000-Einwohner-Stadt selbst. Auf der gegenüberliegenden Neckarseite befindet sich der „Bildungscampus" mit Einrichtungen der Hochschule Heilbronn, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, der Pädagogischen Hochschule, der Akademie für Bildung und Management, das Steinbeis-Institut für die Digitalisierung der Wirtschaft und das Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme des Fraunhofer-Instituts. Selbst die Technische Universität München und die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich betrieben hier einen Ableger. Insgesamt sind rund 8000 Studenten in den unterschiedlichsten Fachrichtungen unterwegs. Bis 2030 sollen es 15.000 werden. Wer von ihnen schon eine Firmenidee entwickelt hat, kann auf dem gleichen Gelände die ersten Gehversuche im Start-up-Zentrum Campus Founders unternehmen.

Heilbronn ist eines der Beispiele dafür, dass Zusammenarbeit mehr bringt, als in einzelne Projekte oder Unternehmen zu investieren. Der Innovationscluster jedenfalls soll die Region an die Spitze der neuen Technologie bringen. Mittendrin residiert die Stiftung der Schwarz-Gruppe. Sie ist nicht nur die Treiberin des Bildungscampus. Der Handelsriese, der mit den Ketten Lidl und Kaufland 167,2 Milliarden Euro umsetzt, hat ebenfalls seine Wurzeln in Heilbronn. Dahinter steckt Patron Dieter Schwarz, der sich mit einer Vielzahl von Einrichtungen in seiner Heimatstadt ein Denkmal errichtet. Persönlich kennen nur ganz wenige den äußerst öffentlichkeitsscheuen Milliardär. Von dem inzwischen 86-Jährigen gibt es keine offiziellen Bilder. Unbekannt ist auch, wie viel seine Stiftung in den vergangenen 25 Jahren bereits in Heilbronn investiert hat und wie viel es noch werden soll.

Die Aktivitäten sind derart prägend, dass die Verwaltung manchmal betonen muss, dass immer noch der Gemeinderat und nicht Dieter Schwarz die Geschicke der baden-württembergischen Stadt bestimmt. „Wir sind überzeugt, dass unsere regionale Wirtschaft vom Aufbau des Ipai profitieren wird", sagt Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD). Er lobt den Mäzen und Ehrenbürger Schwarz als „Visionär der Wissensstadt". Dessen Investitionsfreude wirkt sich merklich auf die Planungen der Stadt aus. So wurde kürzlich in Nachbarschaft des Bildungscampus eine neue Grundschule eröffnet. Wenige Gehminuten entfernt entsteht ein Stadtquartier für 3500 Bewohner. Weitere Wohnhäuser für 2600 Menschen werden in der Nähe des Ipai gebaut. Dort sind auch eine Kita und eine öffentliche Anbindung an die Innenstadt vorgesehen. Interessant: Heilbronn plant für sich. Eine Abstimmung, beispielsweise mit der benachbarten Stadt Neckarsulm, in der Audi sehr groß ist, gebe es nicht, heißt es auf Nachfrage.

Das Ipai kommt nach Heilbronn, weil die Schwarz-Stiftung bereit war, zu den 50 Millionen Euro, die das Land Baden-Württemberg bereitgestellt hat, die gleiche Summe dazuzugeben. Dabei betont die Schwarz-Gruppe ganz offen, dass sie ein großes Interesse an mehr KI in den eigenen Reihen hat. „Voraushandeln" nennt das ihr Chef Gerd Chrzanowski. Es gehe darum, unabhängig von den Tech-Riesen zu sein. „Wenn wir nicht aufpassen, enden wir als eine Datenkolonie der USA", warnt Chrzanowski. Sein Unternehmen habe sich deshalb früh um eine eigene Cloud gekümmert und das Thema Cybersecurity ganz oben auf die Prioritätenliste gesetzt. „Die für uns relevanten Daten liegen nun jedenfalls nicht in einer amerikanischen oder chinesischen Cloud", sagte Chrzanowski dem Manager Magazin.

Die europäische Eigenständigkeit soll auch das Ipai vorantreiben. „Wir haben einen sehr anwendernahen Ansatz", erklärt Geschäftsführer Gräter. Das sei auch eine Vorgabe der Landesregierung. Den Ansatz lebe man heute schon. So bietet das Ipai bereits Räume und Werkstätten, in denen sich Unternehmen auf neutralem Boden über neue Lösungen austauschen können. Gründer aus dem benachbarten Campus Founders können hier ihre Ideen vorstellen und Partnerschaften zu den rund 70 Mitgliedsunternehmen aufbauen. Gräter will das „KI-Freeze" angehen. Damit meint er die Verunsicherung, die vor allem im Mittelstand bei dem Thema besteht. „Die meisten wissen, dass KI entscheidend für ihr Unternehmen wird. Doch sie wissen oft nicht, wie man das Thema strukturiert angehen soll." Hier will man schon heute Anknüpfungspunkte zu den Erfahrungen aus anderen Unternehmen und der Wissenschaft bieten.

Das Ipai soll Baden-Württemberg als Innovationsinkubator weiter stärken. Dabei belegt der Südwesten auf diesem Feld weltweit bereits eine Spitzenposition. In einer Studie von Roland Berger und dem Ifo-Institut steht „The Länd", wie man sich gerne selbst nennt, hinter der Schweiz, Singapur und Dänemark auf dem vierten Platz unter den innovativsten Regionen der Welt. Begonnen hat man schon vor einem Vierteljahrhundert mit Biotechnologiezentren in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm. Es folgte eine Vielzahl von anderen Themenschwerpunkten, die sich an den regionalen Erfordernissen orientieren. Sie haben die Funktion der „Spinne im Netz" wie es in einer Analyse der Wirtschaftsforscher des ZEW in Mannheim und der Berater von Prognos heißt. So sei es gelungen, dass keine der Regionen zwischen Mannheim und Konstanz technologisch abgehängt worden sei. Die Cluster werden als lokales Netzwerk verstanden, das dem Austausch von Wissen dient, Zusammenarbeit ermöglicht und mit den örtlichen Industrie- und Handelskammern verwoben ist.

Gemeinsamer Quantenschub

Somit sind die lokalen Cluster bewusst keine Wissenstanker, die den großen Zentren in den USA oder China das Fürchten lehren wollen. Die regionale Verwurzelung ist vor allem für Start-ups sowie die kleinen und mittleren Unternehmen von Bedeutung. Denn selbst Milliardenkonzerne können nicht mehr alles allein entwickeln. So haben etwa der Anlagenbauer Trumpf, Optikspezialist Zeiss und Automatisierungsspezialist Festo ihre Forschung bei Quantentechnologie zusammengelegt und kooperieren mit dem Institut für Mikroelektronik der Universität Stuttgart. Vor wenigen Wochen hat das Gemeinschaftsunternehmen Qant eine erste Pilotanlage für photonische ­Mikrochips in Betrieb genommen. Die rechnen nicht mit Strom, sondern mit Licht, sind viel schneller und verbrauchen viel weniger Energie als herkömmliche Prozessoren. Zudem sind diese auf analoger Grundlage arbeitenden Chips leichter in bestehende Anlagen integrierbar. Der Vorteil: Selbst ältere Maschinen und Fertigungslinien lassen sich so leichter technologisch aufrüsten.

Qant ist Teil des Cyber Valleys, einem KI-Schwerpunkt zwischen Stuttgart und Tübingen, das nach eigenen Angaben das größte Cluster dieser Art in Europa ist. Rund 426 Millionen Euro hat allein das Land Baden-Württemberg in diesen Bereich gesteckt. Derzeit seien hier 2000 KI- und Robotik-Forschende, 30 Unternehmen, fast 100 Start-ups aktiv, erklärt das Zentrum mit Sitz in Stuttgart. Während das Silicon Valley in Kalifornien stark von privatwirtschaftlichen Investitionen und einer „Move fast and break things"-Mentalität geprägt sei, setze das Cyber Valley auf eine enge Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, langfristige Forschungsziele und ethische Technologieentwicklung.

Für die Cyber-Tüftler gilt das ferne Silicon Valley nach eigenem Bekunden allenfalls als Inspiration. „Wir wollen ein eigenständiges Ökosystem schaffen, das sich an den Stärken Europas orientiert: exzellente Forschung, nachhaltige Innovation und verantwortungsvolle Technologieentwicklung", bekräftigt eine Sprecherin. Im Gegensatz zum Ipai in Heilbronn, gut 40 Kilometer nördlich von Stuttgart, konzentriert man sich zwischen Stuttgart und Tübingen im Süden mehr darauf, Grundlagen zu erforschen und neue Verfahren zu entwickeln. Deshalb bestehe auch nicht die Gefahr einer Kannibalisierung, versichern die Beteiligten. Im Gegenteil: „Das ist die perfekte Ergänzung zu dem, was wir hier in Heilbronn derzeit mit dem Ipai ausbauen", sagt dessen Geschäftsführer Gräter. So gesehen entwickelt sich am Neckar ein neuer Schwerpunkt mit einem klaren Ziel: „Wir wollen auch morgen noch technologisch vorne mit dabei sein", heißt es selbstbewusst aus dem Stuttgarter Wirtschaftsministerium.

Die bayerische Staatsregierung verfolgt ähnliche Ziele. München treibt derzeit 17 Cluster mit jährlich 4,2 Millionen Euro voran. Dabei kann man auf einer guten Basis aufbauen. Aus den Unternehmen im Freistaat kommt fast jeder vierte Euro, der in der deutschen Wirtschaft für Forschung und Entwicklung ausgegeben wird. Die Aktivitäten koordiniert die staatliche Fördergesellschaft Bayern Innovativ in Nürnberg. Dort betont man die lokale Verzahnung von Unternehmen, Start-ups, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Von Verzetteln könne keine Rede sein, heißt es.

„Ein professionelles Clustermanagement sorgt für die Einbindung der meist klein- und mittelständischen Unternehmen nach deren individuellen Möglichkeiten und verbindet sie in Communitys. „Diese helfen, die hohe Innovationsdynamik zu bewältigen und Herausforderungen wie Nachhaltigkeit und Resilienz gemeinsam zu meistern", sagt Matthias Konrad, Mitglied der Geschäftsführung von Bayern Innovativ. So habe das Cluster Mechatronik & Automation maßgeblich dazu beigetragen, dass neue Technologien wie Robotik und Automatisierungstechnologien schneller zur Marktreife gelangten. Viele der heute erhältlichen Cobots (kollaborative Roboter) fußten auf Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Cluster.

Technologie-Riesen aus dem Süden Deutschlands wie der Chiphersteller Infineon oder Bosch treiben die Produktion moderner Mikrochips auf industrieller Basis allerdings in Sachsen voran. Von dort kommt inzwischen jeder dritte Halbleiter, der in Europa verbaut wird, wie der Verband Silicon Saxony stolz meldet. Auch dieser Name nimmt Bezug auf das große Vorbild Silicon Valley. Der Verband zählt inzwischen 520 Mitglieder aus Unternehmen, Hochschulen und Verbänden und will sich als europäisches Zentrum für Mikroelektronik etablieren. Anders als die Tech-Revolutionäre in der baden-württembergischen und bayerischen Provinz dreht man in Dresden am ganz großen Rad. Das Industriecluster beschäftigt inzwischen rund 20.000 Mitarbeitende. Für 2030 erwartet der Verband gut 100.000 Arbeitsplätze in Mikroelektronik und Software-Industrie der Region. Im vergangenen Jahr startete der taiwanesische Chip-Giganten TSMC. Zusammen mit Bosch, Infineon und der niederländischen NXP-Gruppe entsteht für zehn Milliarden Euro eine neue Fabrik für Chips, die in Maschinenbau und Autoindustrie zum Einsatz kommen sollen. Der deutsche Steuerzahler ist hier besonders eingebunden: Er trägt die Hälfte der Baukosten.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Baden-Württemberg ist seit 1988 mit den wirtschaftlich starken Regionen Auvergne-Rhône-Alpes (Frankreich), Lombardei (Italien) und Katalonien (Spanien) vernetzt. 

Ziel sei es, Innovation, wirtschaftliche Entwicklung und technologische Zusammenarbeit zu fördern sowie gemeinsam Interessen in der Europäischen Union zu vertreten, heißt es dazu aus Stuttgart. Die Präsidentschaft der „Vier Motoren für Europa" wechselt jährlich. 

Die jeweils vorsitzende Region setzt dabei thematische Schwerpunkte und koordiniert gemeinsame Initiativen. ­Derzeit hat die Region Lombardei den Vorsitz inne. Von April an übernimmt Katalonien. Zu den gemeinsamen Feldern gehören E-Mobilität, Nachhaltigkeit, Fachkräfte und Forschung. In den vier Regionen leben rund 37 Millionen Einwohner. Sie stehen für etwa neun Prozent der Wirtschaftsleistung der Europäischen Union.

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