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Technologie > Transformation der Autoindustrie: Zulieferer im Hintertreffen

Kleine Zulieferer geraten ins Hintertreffen

Die Autoindustrie steckt Milliarden in den Wandel von Verbrenner hin zur E-Mobilität. Nur die Kunden spielen nicht mit. Das bringt die Branche zunehmend in Bedrängnis.

Stefan Bratzel
Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management. Bildnachweis:picture alliance / Sina Schuldt/dpa

„Die Autoindustrie ist derzeit in einer besonders kritischen Phase der Transformation“, sagt Stefan Bratzel, Chef des Forschungsinstituts Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach, und bringt so die Lage der Branche auf den Punkt. Hersteller und vor allem Zulieferer haben Milliarden in den Wandel zur Elektromobilität investiert. Noch im vergangenen Jahr wollte Mercedes-Chef Ola Källenius die Produktion von Benzin- und Dieselmodellen bis Ende der Dekade auslaufen lassen. Doch jetzt will vor allem in Deutschland kein Verbraucher einen „Stromer“ kaufen. Der Absatz von E-Fahrzeugen ist innerhalb eines Jahres um ein Drittel eingebrochen. Und bei Mercedes ist der Vorstand von seinen ehrgeizigen Plänen inzwischen wieder abgerückt. Der Batteriehersteller ACC hat den Bau zweier Werke in Kaiserslautern und im süditalienischen Termoli vorerst gestoppt.

„Die Verunsicherung hält an. Die Kunden zweifeln an den Perspektiven von Elektroautos, wenn auch die Politik nicht mehr bereit ist, diese Technologie zu fördern“, beschreibt Constantin Gall, Managing Partner und Leiter Mobility beim Stuttgarter Beratungskonzern EY. Gleichzeitig gewinne die Diskussion um Technologieoffenheit und das EU-weite Verbrenner-Aus im Jahr 2035 an Fahrt. „Diese Unsicherheit ist Gift für den Absatz von Elektroautos.“ Dem stimmt Bratzel zu: „Ein Rückzug von dieser Frist wäre ein schlechtes Signal.“ Die derzeitige Absatzschwäche bei Elektroautos könnte aber schon kurzfristig zu einem massiven Problem für die Hersteller werden. Bereits im kommenden Jahr gelten neue, verschärfte CO2-Ziele in der EU. „Die Branche kann sich einen stagnierenden oder gar rückläufigen Absatz von Elektroautos eigentlich nicht leisten, denn dann würden Milliardenstrafen fällig“, warnt Gall.

CAM-Chef Bratzel sieht den Einbruch beim E-Absatz allerdings vor allem als deutsches Phänomen, das durch den abrupten Kurswechsel in der Förderpolitik verursacht wurde. In Spanien, Frankreich und Großbritannien verzeichnet der Verkauf von Elektrofahrzeugen zweistellige Wachstumszahlen. Er mahnt deshalb zu einer breiteren Perspektive: „Die Diskussion über das Verbrennerverbot und die Elektromobilität wird in Deutschland teilweise sehr eindimensional und national geführt, so als wäre der deutsche Automarkt richtungsweisend für die ganze Welt. Das ist er aber nicht.“

Größter Markt ist zwar weiterhin China, doch dort dämpft die schwache Wirtschaft die Kauffreude der Verbraucher. Das belastet vor allem die lokalen Hersteller, die in den vergangenen Jahren enorme Kapazitäten aufgebaut haben. Diese drängen jetzt verstärkt auf die Märkte in Europa, nachdem in den USA die Zölle für Stromer aus China auf 100 Prozent erhöht wurden. Das bringt die Branche zusätzlich unter Druck. Bratzel erwartet allerdings, dass sich auf Dauer nicht alle chinesischen Anbieter behaupten werden. Nach der fälligen Marktkonsolidierung bleiben seiner Ansicht nach nur die großen Konzerne wie BYD, Geely oder SAIC langfristig als Wettbewerber übrig.

Bratzel rät der europäischen Politik zu einer robusteren Haltung gegenüber den Wettbewerbern aus China, die auch dank staatlicher Subventionen günstige Modelle anbieten können. „Wir sollten die eigene Branche mehr im Blick behalten“, plädiert er für strengere Importregeln. Allzu heftige Reaktionen aus Peking erwartet er nicht. „Die Chinesen wissen sehr wohl, dass sie auf unsere Märkte angewiesen sind.“ Selbst deren Hersteller hätten Verständnis dafür, dass die Europäer auf einen fairen Wettbewerb pochen.

Die Sorgen über die chinesische Konkurrenz sind für die deutschen Hersteller und vor allem deren Zulieferer nur ein schwacher Trost. Denn auch insgesamt ist die Nachfrage nach neuen Fahrzeugen schlecht. So wurden in Deutschland im Mai 236.000 Autos neu zugelassen. Im Jahr 2019 war es noch knapp ein Drittel mehr. Auch europaweit ist das Kaufinteresse eingetrübt. Für dieses Jahr rechnet die Branche mit einem Absatz von 17 Millionen Fahrzeugen. Vor sieben Jahren waren es noch 22 Millionen. Bratzel zweifelt, ob solche Werte in absehbarer Zeit wieder erreicht werden: „Die Zugangsbeschränkungen in den großen Städten verändern das Kaufverhalten. Zudem ist die Qualität der aktuellen Modelle sehr gut und so werden sie auch länger gefahren.“ Gall sieht für dieses Jahr sogar noch eine Verschärfung der Lage: „Im laufenden Jahr werden in Deutschland voraussichtlich etwa 150.000 Elektroautos weniger verkauft als 2023, wir liegen damit etwa auf dem Niveau von 2021.“

Aufgrund dieser Marktlage sieht der EY-Experte eine Machtverschiebung zugunsten der Autokonzerne: „Die Schere zwischen Herstellern und Zulieferern wird in den kommenden Jahren weiter auseinandergehen.“ Zuletzt konnten die Autobauer noch ein teils kräftiges Umsatzwachstum generieren. Die Zulieferer seien hingegen zunehmend unter Druck geraten, bestätigt Bratzel: „Einige sind mit der Transformation hin zur Elektromobilität auch noch spät dran.“ Somit müssen die Zulieferer trotz schlechter Ertragslage weiterhin in die E-Mobilität investieren. „Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig“, stellt Gall klar. Allerdings geschehe dies mit Vorsicht und unter Berücksichtigung der Marktentwicklung.

Die Branchenbeobachter sind sich einig: Vor allem kleinere Unternehmen seien derzeit besonders gefährdet. „Der erhöhte finanzielle Druck dürfte zu einer Konsolidierung gerade unter kleineren Zulieferern führen, die nicht über die notwendigen Ressourcen verfügen, um mit den Veränderungen Schritt zu halten“, erklärt Gall. Die erheblichen finanziellen Belastungen gerade bei den Zulieferern dämpfen seiner Ansicht nach aber auch insgesamt die Investitionsfähigkeit in Zukunftstechnologien und verlangsamen somit auch die Transformation der Branche in Richtung Elektromobilität.

Der hohe Kostendruck verstärkt offenbar den Trend zur Verlagerung ins Ausland. „Zunehmend werden Produktions- und Entwicklungskapazitäten von Europa in andere Regionen verlagert, um von den dortigen Kostenvorteilen und einer hohen Ausbildungsqualität zu profitieren. Gleichzeitig werden Verwaltungsfunktionen in Deutschland abgebaut“, beschreibt Gall die Entwicklung. „Der Standort Deutschland ist zudem nicht günstig“, betont Bratzel. So beobachtet er eine verstärkte Orientierung zur Produktion vor Ort, beispielsweise in den USA. „Im Ergebnis wird die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Autoindustrie in den kommenden Jahren sinken – bei den Zulieferern allerdings stärker als bei den Herstellern“, folgert Gall.

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