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Energie & Rohstoffe > Atomausstieg

Noch vier Wochen bis zum Atomausstieg – die Luft wird dicker 

Am 15. April soll endgültig Schluss sein mit der Atomkraft in Deutschland. Der Preis dafür ist hoch: An manchen Tagen war bislang auf die Atomkraft nicht zu verzichten. Und: Als Ersatz sind wieder mehr Kohlekraftwerke am Netz. Die aber sorgen für dicke Luft. 

Das Kernkraftwerk Isar 2 in Essenbach ist eins der letzten drei noch aktiven Atomkraftwerke in Deutschland.
Das Kernkraftwerk Isar 2 in Essenbach ist eins der letzten drei noch aktiven Atomkraftwerke in Deutschland. ©Shutterstock

Der Wetterbericht für Deutschland lautet am 16. Dezember im vergangenen Jahr so: Im Süden und Südosten Schneefall. Im Norden nachlassende Schneeschauer. Gebietsweise strenger Frost. Kompakte Wolkenfelder. Schwacher Wind. Es kommt damit mal wieder alles zusammen, was die Energiewende zu einer brenzligen Sache macht. Kälte, Schatten, Windstille. Am Nachmittag sinkt der Beitrag von Wind und Sonne zur Deckung der Stromnachfrage bis unter zwei Gigawatt (GW). Die Stromnachfrage bewegt sich aber zwischen 60 und 70 GW. Kohlekraftwerke müssen schleunigst hochgefahren werden. Auch das Ausland muss aushelfen. Den größten Teil der ausgefallenen regenerativen Energie übernehmen mit 19 GW die Gaskraftwerke, obwohl das natürlich allen Sparbemühungen widerspricht. Immerhin: Die Atomkraftwerke liefern Strom gleichmäßig, zuverlässig und CO2-frei. 
 
Es sind diese Tage, die eine Diskussion darüber, ob die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke am Netz bleiben sollen oder nicht, alles andere als absurd erscheinen lassen. Einen guten Monat vor dem denkwürdigen 16. Dezember hatte der Bundestag einen eindeutigen Beschluss gefasst. Danach ist das Atomgesetz so geändert, dass die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 15. April am Netz bleiben dürfen. Weil sie eigentlich schon zum Jahresende ausgeschaltet werden sollten, nennt sich diese Gnadenfrist im Behördenjargon „befristeter Streckbetrieb“.  
 

Voraussetzung fürs Abschalten und dafür, dass auch Gaskraftwerke nicht mehr in vollem Maß genutzt werden müssen, war eine andere Entscheidung, die die Ampelregierung bereits im Oktober des vergangenen Jahres gefällt hatte. Sie entschloss sich vor einem halben Jahr insgesamt zwölf Kohlekraftwerke zusätzlich aus der eisernen Reserve ans deutsche Stromnetz gehen zu lassen. Sie sollen dauerhaft produzieren – nicht nur an heiklen Tagen, wie am 16. Dezember. Denn Atom und mehr und mehr auch Gas fallen als Energielieferanten ja weg. Für Steinkohlekraftwerke gilt das beschlossene Comeback derzeit maximal bis Ende März 2024. Für Braunkohle soll die Rückkehr an den Markt zunächst bis zum 30. Juni 2023 befristet sein.

Kohle war bereits im vergangenen Jahr der wichtigste Energieträger für die Stromproduktion in Deutschland. Genau ein Drittel (33,3 Prozent) des hierzulande erzeugten und ins Netz eingespeisten Stroms stammte 2022 aus Kohlekraftwerken, teilt das Statistische Bundesamt mit. Damit nahm die Stromerzeugung aus Kohle binnen Jahresfrist um 8,4 Prozent zu. In diesem Jahr dürfte die Produktion wegen des Wegfalls von Atomstrom noch deutlicher ansteigen. Kohlekraftwerke sind die größten Verursacher von Umweltschäden in Deutschland. Wenn wie derzeit ein Drittel des deutschen Stroms aus Kohle kommt, werden dabei Kohlendioxidemissionen von rund 270 Millionen Tonnen freigesetzt. Das entspricht rund 30 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen.  

Mirko Schlossarczyk von der Unternehmensberatung Enervis Energy Advisors in Berlin rechnet in diesem Jahr mit 30 bis 40 Millionen Tonnen mehr CO2, die wegen des Hochfahrens der Kohlekraftwerke ausgestoßen werden. Auch der regierungsnahe Thinktank Agora Energiewende kommt nicht umhin festzustellen: Deutschland hat seine Ziele zur CO2-Senkung im vergangenen Jahr trotz gesunkenen Energieverbrauchs verfehlt. Als einer der Hauptgründe wird der verstärkte Einsatz von Kohlekraftwerken genannt. Und das wird nun auch noch schlimmer anstatt besser. 

Die wahrscheinlich dreckigste Form der Energieversorgung ist Grünen und Umweltverbänden natürlich alles andere als recht. Die heftigen Auseinandersetzungen im Braunkohletagebau im nordrhein-westfälischen Lützerath zu Beginn des Jahres sind ein Beleg dafür: Umweltaktivisten ketteten sich an Bäume und klebten sich auf dem Asphalt fest, um gegen die Räumung für den Braunkohle-Tagebau zu demonstrieren. Allerdings sind es teilweise die gleichen Aktivisten, die auf der anderen Seite die begrenzten Laufzeiten der Atommeiler auf gar keinen Fall in Frage stellen wollen. 

Von Doppelmoral spricht deswegen CSU-Generalsekretär Martin Huber. Er mache sich in der aktuellen Lage beim Thema Klimaschutz Sorge wegen der Grünen, die „lieber nach Kohle baggern als die Kernkraftwerke in der Laufzeit verlängern", ätzte er in einer Talkrunde. Um durch die derzeitige Energiekrise zu kommen, sei es notwendig die letzten drei vorhandenen Atomkraftwerke auch über den kommenden Winter 2023/24 am Netz zu lassen. 

Rückhalt findet die CSU beim kleinsten Koalitionspartner in der Ampelregierung, der FDP.  Ihr Partei-Chef Christian Lindner hat jüngst betont: Er sei weiterhin der Überzeugung, „dass wir in Krisenzeiten übergangsweise Kernenergie weiter nutzen sollten“. Ansonsten verschlechtere sich Deutschlands CO2-Bilanz durch mehr Kohlestrom. Um in dieser Sache voranzukommen, hatte die FDP eine Expertenkommission zur Zukunft der Kernkraftwerke vorgeschlagen. Die Antwort von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck darauf fiel allerdings knapp und klar aus: „Nein“, sagte der Grünen-Politiker  .

Für die Grünen war schon der Weiterbetrieb bis zum 15. April eine politische Zumutung. Mehr tragen sie nicht mit. Ein endgültiges Aus für die Atomkraft hat für die Partei hohen Stellenwert. Der 16. Dezember allerdings zeigt, dass es jenseits der Kämpfe um energiepolitische Symbole eine andere Dimension gibt. Sie lautet: Ist das Stromnetz auch ohne die drei Atomkraftwerke stabil genug? 

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