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Fast 100 Jahre Plexiglas: Streifzug durch die Geschichte des vielseitigen Kunststoffs

Was Sie über Plexiglas wissen sollten: innovativ, vielseitig und lichtbeständig – von Auto-Design bis zu Aquaristik. Faszination trifft auf Funktionalität.

(Foto: Plexiglas)

Scheiben für Supermarktkassen, Platten für Dächer und Rücklichter für Autos

Plexiglas ist überall. Da sind die Scheiben an Supermarktkassen. Manch einer hat auch den Windschutz seines Balkons vor Augen, die Verkleidung vom Carport oder das Terrarium für die Bartagame. Und welcher Autofahrer kennt nicht die Abdeckung der Rücklichter des Autos vor ihm? Alles Plexiglas. Das Material ist sehr vielseitig und sehr gefragt.

Ein Pionier

Erfunden hat es Otto Röhm. Der Pharmazeut und Chemiker promovierte 1901 „Über Polymerisationsprodukte der Akrylsäure“, gründete 1907 mit Otto Haas Röhm & Haas im baden-württembergischen Esslingen und entwickelte Acrylat- und Methacrylatverbindungen. Eine davon, Methylmethacrylat oder MMA, ist ein Vorstoff von Plexiglas.

Den Namen meldete Röhm 1933 zur Marke an. Das Geschäft mit MMA ist heute beim Unternehmen Röhm mit Sitz im hessischen Darmstadt gebündelt.

Aus MMA lässt sich über ein Polymerisation genanntes Verfahren transparentes und eingefärbtes Material herstellen. Es wird als Granulat, sogenannte Formmasse, an die Industrie geliefert, die daraus Scheiben für Supermarktkassen, Platten für Dächer und Lichtwerbeanlagen oder etwa Rücklichter und Karosserieteile für Autos herstellt. MMA ist zudem Bestandteil vieler Farben und Beschichtungen. Es steckt zum Beispiel auch in Fahrbahnmarkierungen.
 

Plexiglas glänzt bei allem, was mit Licht zu tun hat

„Plexiglas ist für Designer ein inspirierendes Material und lässt sich einerseits nach Belieben formen, und in allen Stärken gießen“, erklärt Siamak Djafarian, Bereichsleiter Formmasse bei Röhm. Andererseits ist das Material hitzebeständig genug, um sich nicht durch Wärme zu verformen, was wichtig ist zum Beispiel für Leuchtröhren oder Flutlichtanlagen in Sportstadien.

„Als Hersteller von Plexiglas suchen wir den Dialog mit Designern und Produktentwicklern, um die funktionalen Eigenschaften des Materials und das Design der Anwendungen zu verbessern“, sagt Djafarian. „Daher ist dieser Werkstoff nicht mit dem Material aus der Zeit seiner Erfindung zu vergleichen.“

Plexiglas glänzt bei allem, was mit Licht zu tun hat. Autohersteller nutzen das fließende Element für immer charakteristischer und größer werdende Gestaltungsmerkmale ihrer Autos: ­Rücklichter in Form von halben Union Jacks, der britischen Flagge, beim Mini oder Lichtspeere übers Heck bei Volkswagen. Auch sonst stehen Autohersteller auf das Material, etwa für Verkleidungen und Elemente mit Klavierlackanmutung.

Plexiglas als Kunstwerke

Ein Fotograf mach eine Aufnahme vom "ohne Titel 1969 - Farblos eloxiertes Aluminium und violettes Plexiglas" des amerikanischen Künstlers Donald Judd in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Donald Judd war ein bedeutender Vertreter der Minimal Art und nutzte häufig Materialien wie Plexiglas, um seine skulpturalen Arbeiten zu realisieren. (Foto: picture alliance, Franz-Peter Tschauner)

Designer nutzen Plexiglas gern für Leuchten. Es erstrahlt farbig um Ausgabeschächte moderner Geldautomaten und bietet als Streuscheibe an Wohnzimmer- oder Schreibtischleuchten mildes und doch strahlendes Licht. Licht durchzulassen ist das eine, Lichtbeständigkeit das andere. Wo Plexiglas ist, gibt es kein Verwittern oder Vergilben wie Röhm verspricht, sei es bei Flugzeugfenstern, durchsichtigen Röhren oder Designmöbeln.

Von Röhm zu Polyvantis und Advent International

Dank der Lichtbeständigkeit wird Plexiglas auch als brillante Schicht um eine Reihe von Dingen gegossen, auf die kaum jemand spontan kommt: Fensterrahmen oder Küchengeräte. Und weil Plexiglas korrosionsbeständig ist, sind auch Röhrchen in der Aquaristik, Libellen von Wasserwaagen oder Messröhrchen urologischer Katheter aus Plexiglas. Dieses Geschäft bleibt bei Röhm in Darmstadt. Vorerst.

Scheiben stellt Röhm nicht mehr selbst her, der Zweig gehört jetzt zu Polyvantis. Das Unternehmen mit 2900 Beschäftigten ist ohnehin, wie sein bekanntester Werkstoff, wandlungsfähig.

Röhm kam 1989 zu Hüls, später Degussa-Hüls, wurde verschmolzen mit Agomer und floss dann in Evonik. 2019 verkaufte Evonik dann an den US-Finanzinvestor Advent International und wurde als eigenständiges Unternehmen neu aufgestellt.

Kürzlich feierte das neue Unternehmen fünften Geburtstag. Nicht ohne witterungsbeständigen Blick zurück auf eine fast 100-jährige Geschichte, die bei allem Licht dunkle Flecken aus der NS-Zeit nicht ausspart, in der Röhm als kriegswichtiger Lieferant auch mit Zwangsarbeitern seinen Marktvorteil ausbaute.

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