Printen aus Aachen, Stollen aus Dresden – das geht nicht mehr lange gut
Lebkuchen, Fruchtgummis und Knabbereien sind deutsche Exportschlager. Doch den Printen- und Schokoladenherzenherstellern im Land laufen die Kosten davon. Immer mehr Betriebe stehen vor der Frage, ob man überhaupt noch produzieren soll. Denn im Backofen verbrennt immer mehr Geld.
Herrmann Bühlbecker, Alleininhaber der Aachener Lambertz-Gruppe blickt sorgenvoll in die Zukunft: „Uns hat ein Kosten-Tsunami überrollt.“ Zwar arbeiten seine acht Großbäckereien unter Volllast. Doch das 1688 gegründete Unternehmen kann gar nicht so schnell backen, wie die Kosten den Umsatz wegfressen. Neben der Marke Lambertz, die vor allem für die Lebkuchen bekannt ist, vertreibt die Gruppe mit 4000 Beschäftigten allerlei Süßwaren unter den Namen Weiss, Kinkartz, Haeberlein-Metzger und Dr. Quendt ihre Leckereien. Gut 45 Prozent des Absatzes erzielt das Unternehmen mit No-Name-Produkten für die großen Einzelhandelsketten. Die Aachener Gruppe, die zuletzt einen Umsatz von 656 Millionen Euro veröffentlicht hat, ist der größte Produzent von sogenanntem Saison-Gebäck, wie Lebkuchen, Printen, Dominosteinen oder Zimtsternen. Bis zu 600.000 Kilogramm Gebäck entstehen täglich. An Spitzentagen verlassen bis zu 10.000 Paletten die Lager. In Aachen werden Printen und Cookies hergestellt. Aus den Werken in Nürnberg und Neu-Ulm kommen die Lebkuchen und aus Dresden die Stollen.
Exportschlager Printen droht das Aus
Wie viele deutsche Süßwarenhersteller ist auch Lambertz im Ausland erfolgreich. Die USA zählen zu den wichtigsten Exportmärkten. Dort erwirtschaften die Aachener einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Doch jetzt droht dem deutschen Exportschlager Printen aus Aachen das Aus. Denn zu den Großkunden zählen große US-Ketten wie Walmart oder Target. Die wollen die stark gestiegenen Kosten nur zu Hälfte akzeptieren, wie Bühlbecker bestätigt. Sein Unternehmen hat viele Jahre gebraucht, um sich einen Platz in den Regalen der US-Ketten zu sichern. „Setzen wir das nun aufs Spiel? Oder behalten wir den Fuß in der Tür und nehmen dafür als Zukunftsinvestment die schlechteren Konditionen in Kauf“, fragt sich Bühlbecker.
„Als Produktionsstandort hat Deutschland in den vergangenen Monaten dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren“, klagt der 72-Jährige. Dem pflichtet Carsten Bernoth, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. (BDSI) bei: „Die enorme Kostenbelastung wird für unsere Unternehmen immer mehr zu einer Standortentscheidung oder gar einer Existenzfrage. Dabei wirken sich nicht allein die in 2022 stark gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten aus, sondern auch standortbedingte Belastungen, die in Deutschland schon langfristig überdurchschnittlich hoch sind. Hierzu zählen etwa die Arbeitskosten, Steuern und Bürokratiebelastungen, aber auch der sich immer weiter verschärfende Arbeitskräftemangel“, sagt Bernroth. Deutschland ist mit mehr als 200 meist kleinen und mittelständischen Betrieben sowie den großen Betriebsstätten globaler Unternehmen der größte Produzent von Süßwaren und Knabberartikeln in der EU. Mehr als 60 Prozent der Produktion geht in den Export.
„Die beträchtlichen Kostensteigerungen können unsere Hersteller nicht länger durch Einsparungen oder anteilige Weitergabe in den Verkaufspreisen kompensieren“, sagt der BDSI-Hauptgeschäftsführer. Nach Verbandsangaben sind die Steigerungen beträchtlich. So betrugen 2021 die Stromkosten der Branche insgesamt rund 250 Millionen Euro. Für das kommende Jahr wird mit einer bei gleichem Verbrauch und einer Verzehnfachung auf dann 2,5 Milliarden Euro gerechnet. € sein. Das wären alleine 17 Prozent des Gesamtumsatzes von knapp 14,5 Milliarden Euro den die Süßwarenbranche im vergangenen Jahr erwirtschaftet hat. Hinzu kommen die Unsicherheiten bei der Rohstoffbeschaffung, verbunden mit massiven Kostensteigerungen auf den Rohstoffmärkten, etwa für Zucker (plus 100 Prozent), Glukose (+200), Butter (+57), Milchpulver (+40), Weizen (+60) und Sonnenblumenöl (+37).
Keine schnelle Umrüstung der Anlagen möglich
Neben Strom ist aber vor allem Erdgas das größte Sorgenkind. Lambertz zum Beispiel befeuert alle seine 28 Backstraßen in den acht Werken in Deutschland und Polen mit Gas. Trotzdem stellt er nicht auf Öl um. „Wenn wir dort auf andere Energieträger umrüsten, dauert das locker drei bis fünf Jahre“, sagt Firmeninhaber Bühlbecker. Denn kurzfristig gebe es weder die nötigen Maschinen und Materialien noch die entsprechenden Handwerker. Darum blickt Brühlbecker sorgenvoll auf die Versorgungslage mit Gas. „Bei höheren Energiepreisen lässt sich im Notfall ein Kredit aufnehmen. Aber ohne Erdgas ist bei uns der Ofen aus. Dann würde es nicht lange bis zur Insolvenz dauern."
Die Branche sieht sich hier im Vergleich mit der ausländischen Konkurrenz benachteiligt. „Wir erleben derzeit, dass europäische Wettbewerber, etwa in Frankreich oder Spanien, deutliche Produktionskostenvorteile haben“, so BDSI-Vorsitzender Bastian Fassin. „In vielen Ländern profitieren die Unternehmen entweder von einem stabileren Energiemarkt, beziehungsweise mit Blick auf die EU von bereits gedeckelten Strom- und Gaspreisen oder aber umfangreichen Wirtschaftshilfen zur Kompensation der Energiekosten.“
Die Bundesregierung hat jetzt zwar sogenannte Energiepreisbremsen auf den Weg gebracht. Allerdings kritisiert beispielsweise der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK), dass die Entlastung gar nicht bei allen Unternehmen ankommen werden, weil die Regelungen nicht mit dem EU-Beihilferecht kompatibel sind. Vor allem große Unternehmen würden daher darüber nachdenken, die Bremsen gar nicht in Anspruch zu nehmen, weil Aufwand und Entlastung für sie in keinem Verhältnis stünden, so DIHK-Energieexperte Sebastian Bolay. Überhaupt sei die Bundesregierung über das Ziel hinausgeschossen: „Um energieintensiv zu sein, muss ein Unternehmen nachweisen, dass die Energiebeschaffungskosten im ersten Halbjahr 2022 sechs Prozent überschreiten.“ Das sei beihilferechtlich durch die EU-Kommission nicht vorgesehen und würde Unternehmen benachteiligen, die erst seit Juli mit höheren Preisen konfrontiert seien, erklärt Bolay.
So dürfte die geplante Hilfe aus Berlin für manchen Betrieb zu spät kommen und sich beispielsweise das Sterben der Bäckereien weiter fortsetzen. So ist die Zahl der Handwerksbäckereien in Deutschland schon vor dem Ukraine-Krieg auf 9.965 gesunken. Vor zehn Jahren waren noch mehr als 14.000 Bäckereien in der Handwerksrolle eingetragen. Allein in den vergangenen vier Jahren sei die Zahl der Beschäftigten um rund 30.000 Menschen auf 240.800 gesunken, schätzt der Verband der Deutschen Großbäckereien. Bäckereien berichten von Preissteigerungen bei Mehl um 70 Prozent, die Gasrechnungen hätten sich inzwischen versiebenfacht. Gleichzeitig sparen die Kunden am täglich Brot. Allein in der ersten Jahreshälfte kauften die Deutschen 8,2 Prozent weniger Backwaren und Brot als noch im Vorjahreszeitraum. So erzielen die Bäckereien nach Daten der GfK nur noch rund 32 Prozent ihres Umsatzes mit Brot und Backwaren aus. Nur die Discounter konnten mehr Backwaren verkaufen als im Vorjahreszeitraum. Aber auch Großbäcker Lambertz verfolgt die Zurückhaltung der Kunden mit Sorge. Immerhin erzielt das Ganzjahresgebäck 60 Prozent des Umsatzes.
Zahnpasta und Creme statt Fruchtgummi
Schon schaut sich manches Unternehmen nach anderen Betätigungsfeldern um. Bestes Beispiel ist BDSI-Chef Fassin: Er führt im Hauptberuf zusammen mit Tobias Bachmüller in Emmerich am Rhein den Süßwarenhersteller Katjes, der ebenfalls mit den drastisch gestiegenen Kosten zu kämpfen hat. Er stellt das Unternehmen immer konsequenter breiter auf. So hat der Mittelständler im August den italienischen Wettbewerber Sperlari übernommen. Außerdem richtet sich Katjes auf Felder aus, die nicht mit dem Traditionsgeschäft zu tun haben. Nach dem Kinderpflege-Hersteller Bübchen hat die Katjes-Gruppe Anfang Dezember von Henkel auch die Zahnpflegemarken Theramed, Vademecum, Licor del Polo und Antica Erboristeria übernommen – was auch eine Pointe hat: Erst Lackritz in Katzenform, dann Zahnpasta aus der Tube: Katjes beherrscht damit die gesamte Wertschöpfungskette.