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Technologie > Gründerinnen im Gespräch

Schulung in 9:16 - Doinstruct revolutioniert die betriebliche Weiterbildung für Non-Desk-Worker

Gründerin Charlotte Rothert hilft mit Doinstruct, Beschäftigte, die nicht am Bildschirm arbeiten, fortzubilden. Die Software ist standardisiert – bis zu einem gewissen Punkt.

(Foto: shutterstock)

Ist Doinstruct eine „Frustgründung“, entstanden aus einem persönlich empfundenen Problem?

Charlotte Rothert:  Ja. Früher habe ich sehr sanierungsbedürftige Großbetriebe umstrukturiert. Dabei musste ich Prozesse anpassen und Mitarbeiter schulen. Und im Gespräch mit den Mitarbeitern merkte ich, welchen riesigen Unterschied es macht, wenn Leute nicht nur wissen, dass sie eine bestimmte Sache tun müssen, sondern auch, warum. 90 Prozent der Mitarbeiter hatten dabei keinen Desktop-Arbeitsplatz. Die hatten unterschiedliche Muttersprachen, Motivations- und Bildungslevel. Das ging im Einzelgespräch mit Händen und Füßen. Besser wäre es ja, wenn die wichtigsten Inhalte schon vor dem ersten Arbeitstag gelernt wären. Also habe ich nach einer Lösung gesucht, die mobil und in mehreren Sprachen verfügbar und barrierefrei ist. Es gibt gefühlt 8000 E-Learning-Lösungen, die aber alle einen nicht besonders guten analogen Prozess mittelmäßig gut digitalisiert haben.

Und vermutlich nicht für die Art Beschäftigte optimiert sind, mit denen Sie zu tun hatten?

Charlotte Rothert:  Im Gegenteil. Entwickelt von Bildschirmarbeitern für Bildschirmarbeiter. Die physisch arbeitende Bevölkerung wurde völlig übersehen. Und als ich mich an eine Lösung gemacht habe, bekam ich Anrufe von Kollegen aus anderen Branchen, die fragten, ob ich das nicht auch für sie machen könnte.

Hatten die keine Programme?

Charlotte Rothert:  Ja, klassische Legacy-Lösungen. Da klicken sich dann die Mitarbeiter durch Folien, ohne sie wirklich zu verstehen. Ich dachte auch, dass die Industrie dafür bessere Programme hätte. Es stellte sich aber heraus, dass deutsche Ingenieure alles automatisieren können – außer Schulungen.

Ließe sich das nicht in die verbreiteten Mitarbeiter-Apps integrieren?

Charlotte Rothert:  Machen wir auch, neben der Integration in alle üblichen IT-Systeme, wie SAP, Navision und andere. Nur haben selbst die Mitarbeiter-Apps erbärmliche Download-Quoten. Zu dem Zeitpunkt habe ich meine beiden Co-Founder kennengelernt und wir haben einen Prototyp gebaut. Dazu haben wir erstmal ganz viele Leute gefragt, vom Lageristen über den Maschinenführer bis zum Schicht- und Produktionsleiter und der Geschäftsführung: Wie muss Schulung aussehen, damit sie funktioniert und verständlich ist.

Und wie kam der Prototyp an?

Charlotte Rothert:  Vieles, von dem wir dachten, es sei recht einfach, entpuppte sich als nicht einfach genug. Das begann schon bei der Authentifizierung per Code über SMS. Den merkt sich niemand. Also mussten wir neben der Mehrsprachigkeit und Verständlichkeit auch die Zugänglichkeit niedrigschwellig konzipieren. Selbst, wer kein Handy hat, kann die Schulung per QR-Code auf einem beliebigen Endgerät aufrufen. Und das Thema Compliance erwies sich auch schnell als wichtig, weil hier gesetzgeberisch harte Dokumentationspflichten existieren. Und das ist je nach Branche nicht einfach.

Die Erklärerin

Charlotte Rothert hat Doinstruct mit Sitz im niedersächsischen Osnabrück 2021 mitgegründet.
Die CEO hat Agrarwissenschaften studiert und Milchkuhbetriebe restrukturiert.
 

Charlotte Rothert:  Was ist Ihr Lieblingsessen?

Pommes.

Charlotte Rothert:  Jetzt sagen wir mal, es gibt drei große Pommesproduzenten in Deutschland. Zu 90 Prozent sind deren Hygiene- und Arbeitssicherheitsschulungen identisch. Aber je nachdem, wohin man exportiert, braucht man etwa zehn verschiedene Zertifikate. Manche wollen ihre Pommes halal, andere koscher oder vegan oder bio oder wie auch immer. Bei jedem Hersteller sitzt also eine arme Seele von Lebensmitteltechniker, der das in Powerpointfolien gießt, diese den Mitarbeitern vorlegt und sich wundert, warum sie es nicht umsetzen.

Und was ist die Lösung?

Charlotte Rothert:  Wie bei Netflix ein standardisiertes Angebot in inzwischen 20 verschiedenen Sprachen.

Für 20 verschiedene Märkte?

Charlotte Rothert:  Nein, für DACH, Ungarn und Italien. Denn 25 Prozent der in DACH arbeitenden Bevölkerung sind „Deutsche Ingenieure können alles automatisieren außer Schulungen“, keine Muttersprachler. Das wird gerne übersehen, ist aber die Realität. Zum Glück läuft da ein Großteil der Übersetzungsarbeit per KI, wir müssen da nur muttersprachliche Fachübersetzer kontrollieren und redigieren lassen.

Und welche Themen decken die Schulungen ab?

Charlotte Rothert:  Aktuell Hygiene, Arbeitssicherheit, Compliance, Brandschutz, Erste Hilfe, Datenschutz und so. Das haben wir alles abgedeckt in Videos von drei bis fünf Minuten Länge. Denn als wir mit der Entwicklung begannen, lag die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne bei fünf Minuten. Wollen Sie raten, wo sie heute liegt?

Als Kind der MTV-Generation würde ich dreieinhalb Minuten schätzen.

Charlotte Rothert:  Tatsächlich unter drei Minuten. Vor Erfindung des Smartphones war es eine knappe halbe Stunde. Und entsprechend verbringen die Mitarbeiter ihre Pausen und konsumieren 30-sekündige Inhalte im Format 9:16 auf ihren Telefonen. Die kann man stundenlang durch Folien klicken lassen und hat damit erst einmal das gesetzlich Nötige geleistet. Nur bleiben so die Inhalte nicht hängen. Ich kenne einen Retailer, der die 80 Prozent seiner Angestellten, die „auf der Fläche“ arbeiten, in persönlichen Schulungen weiterbildet. Dann sitzen Leute, die praktische Arbeit gewohnt sind, tagelang in Schulungsräumen. Ich selbst hatte während meiner Tätigkeit in der Landwirtschaft bei solchen Anlässen früher ab der dritten Stunde einen extremen Kaffeebedarf, um nicht einzuschlafen. Das Environment erinnert an die letzte Stunde vor den Sommerferien – nur ohne Film und Sommerferien.

Ihr Background ist die Landwirtschaft. Software ist da nicht eben naheliegend.

Das war völlig ungeplant. Ich habe zur Abizeit in einer Tierarztpraxis ausgeholfen. Darüber wurde mir ein Praktikum in einem Betrieb mit 50 Mitarbeitern ermöglicht, wo ich die rechte Hand des Chefs wurde. Dort habe ich meine Ausbildung gemacht und derweil schon verschiedene Führungspositionen kennengelernt. Von dort ging es zu einem anderen Betrieb in Schleswig-Holstein, der ein Sanierungsfall war. Da mir das gut gelungen ist, habe ich anschließend 40 weitere Unternehmen saniert.

Wann kam die Entscheidung, die betriebliche Fortbildung neu zu digitalisieren?

Charlotte Rothert:  Als ich meine Mitgründer kennenlernte, war klar, dass wir das gemeinsam machen wollen.

Wie haben Sie die Selbstständigkeit finanziert?

Charlotte Rothert: Wir hatten gleich mit dem Prototyp einen Auftraggeber mit 12.000 Mitarbeitern, der sofort den Vertrag unterschrieben hat. Und im ersten Monat drei zahlende Kunden, für die wir entwickeln konnten. Da haben wir aber auch schnell gemerkt, dass organisches Wachstum nicht der richtige Weg ist. Wenn der technische Fortschritt schnell und das Marktpotential groß ist, braucht man Venture-Capital. Beim Hightech-Gründerfonds HTGF kam gut an, dass wir nicht das klassische Berlin-Mitte-Gründerteam aus drei Absolventen der Humboldt-Uni waren, sondern alle praktische Erfahrung mitgebracht haben. Unter Führung des HTGF konnten wir 1,2 Millionen Euro einwerben und haben damit auch schon die ersten 60.000 Leute geschult.

Und die Multikrise der letzten Jahre war kein Wachstumshemmnis?

Charlotte Rothert:  80 Prozent der Leute, die wir anfangs geschult haben, waren zu Covid-Zeiten „essential workers“. Als dann wegen der russischen Invasion der Ukraine die Energiepreise explodiert sind und die gesamte Wirtschaft investitionsscheu wurde, sind wir auf große Unternehmen zugegangen und haben gemeinsam evaluiert, welche Sparpotenziale man dort im Bereich Mitarbeiterschulungen heben kann. Es sind 40 bis 50 Prozent und der Prozess ist einfacher. Wenn man da den Arbeitssicherheitsbeauftragten im Boot hat, weiß man, dass er das Thema antreiben wird.

Und profitieren die 80 Prozent „essential workers“ außerhalb der reinen Zeitersparnis?

Charlotte Rothert: Der ganze Betrieb profitiert, wenn jeder weiß, warum er was tut. Dann gibt es nämlich auch die Rückmeldungen an den Vorgesetzten, wenn irgendwo Öl leckt oder nachts nutzlos das Licht brennt oder die Putzfrau mit der Hälfte des Reinigers auskommen könnte. Es geht auch darum, den Menschen ein Gesicht zu geben.

 

 

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