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Technologie > Transport von Flüssigerdgas

Schwimmende Bomben: Wie gefährlich sind die neuen Flüssiggastransporte?

Deutschland setzt beim Versuch unabhängiger von russischem Erdgas zu werden, immer stärker auf Flüssiggas, das vor allem aus den arabischen Staaten per Schiff hierher transportiert werden muss. Doch die neue Infrastruktur ist heikel: Unfälle oder gar Anschläge haben katastrophale Folgen. Bürgerinitiativen kämpfen weltweit gegen die neue Infrastruktur. Auch ein James-Bond-darsteller ist dabei.

Transportschiff mit Flüssiggas
Transportschiff mit Flüssiggas: Flüssiggas-Bedarf wächst weltweitBild: Shutterstock

Es ist in der vergangenen Woche passiert: Die islamistische Miliz Hisbollah im Libanon droht Israel mit Angriffen, um die Förderung und den Transport von Gas aus Israel zu verhindern. Es ging um ein Schiff, auf das das Gas verladen und gelagert werden sollte und das dem britischen Unternehmen Energean gehört. Der Konflikt schwelt.
Zur gleichen Zeit explodiert auf der anderen Seite der Erdhalbkugel, in Texas, eine Großanlage zur Produktion von Flüssigerdgas (LNG). Sie fällt jetzt für Wochen aus. Die Brandursache ist unklar. Ein vor Anker liegender LNG–Tanker wird eilig in sichere Entfernung geschleppt. Die Nachricht von der Explosion führte zu einem Rückgang des Wertes einige Papiere, mit denen sich Erdgas an der Börse handeln lässt um etwa sechs Prozent. Die Händler glauben offenbar: Das Verschiffen von Gas ist keine ungefährliche Sache.

Flüssiggas-Bedarf wächst weltweit

Sie könnten Recht haben. Der weltweite Bedarf an Flüssigerdgas ist seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine deutlich angestiegen, womit das Risiko von Unfällen oder gar Angriffen steigt. Insbesondere europäische Staaten versuchen ihre Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu verringern. Deutschland baut derzeit mehrere LNG-Terminals an der Nordsee-Küste, zunächst sollen schwimmende Lager her, die solange helfen müssen, bis die eigentlichen Terminals auf Land fertig gestellt sind. Doch wie anfällig ist diese neue Infrastruktur zur Energieversorgung? Sind die Gasschiffe etwa schwimmende Bomben?
In Duisburg, wo der größte Binnenhafen Europas steht, hat es vor einigen Jahren eine Tagung zu dem Thema gegeben. Die Experten wollten wissen, wie gefährlich der Transport von LNG in Schiffen ist. Ihr Szenario: Eine Schiffskollision schlägt ein Leck in den LNG-Tank, das tiefkalt verflüssigte Erdgas tritt aus, bildet eine Lache im Wasser und verdampft schnell. Trifft die Dampfwolke auf eine beliebige Zündquelle, setzt sie mit einer Explosion alles in Brand inklusive des Schiffes, das leckgeschlagen ist. Zwar schränkten Experten, wie der Rotterdamer Feuerwehrspezialist Brian Paul Mo-Ajok ein: „Um durch eine Schiffshülle und den LNG-Tank hindurch zu kommen, ist schon viel Kraft nötig.“ Aber mit einer Waffe, die beispielsweise konstruiert ist, um Panzer zu stoppen, dürfte es möglich sein. Was dann passiert beschreiben Mo-Ajok und andere so: Wenn das Schiff nicht gleich hochgeht, schneidet der Lachenbrand möglicherweise Fluchtwege für die Schiffsbesatzung und Rettungsmannschaften ab. Wo das Methangas den Sauerstoff verdrängt, besteht Erstickungsgefahr.

Die Fracht ist nur gezähmt

Was für Binnenschiffe eine Gefahr ist, ist für Ozeanriesen eine Katastrophe. Die „Mozah“ ist so lang wie drei Fussballfelder und so hoch wie eine mittlere Stadtkirche. Sie ist der größte Erdgastanker der Welt. An Bord hat sie eine gezähmte Fracht: 266.000 Kubikmeter flüssiges Erdgas, heruntergekühlt auf minus 162 Grad Celsius. Damit könnte sie Hamburg fast ein Jahr lang mit Energie versorgen. Seit mehr als einem Jahrzehnt schwimmt die „Mozah" über die Weltmeere. Sie steht inzwischen mehr denn Jeh für die Zukunft des Energietransports.

Weltweit ist eine gigantische Infrastruktur entstanden, denn das Erdgas muss erst verflüssigt, dann verschifft und schließlich wieder in einen gasförmigen Zustand gebracht werden, damit es in das Versorgungsnetz eingespeist werden kann. Einige Staaten wie Japan oder Südkorea decken ihren Gasbedarf fast komplett durch LNG. Neben Malaysia und Indonesien ist das Wüstenemirat Katar ein wichtiger Akteur. Vor seiner Küste liegt das „North Field", eines der größten Erdgasfelder der Erde. Seit Ende der Neunziger erschließen die Araber das Vorkommen. Sie verzichten dabei auf Pipelines, weil sie nicht auf das starre Netz der Gasleitungen angewiesen sein wollen. Stattdessen konzentrieren sie sich auf den Schiffstransport. Beim Herunterkühlen auf minus 162 Grad schrumpft das Volumen des Erdgases auf ein Sechshundertstel; so lässt es sich in großen Mengen verschiffen. Katar hat dafür eigens die Reederei Nakilat gegründet. Sie besitzt inzwischen 14 Schiffe von der Machart des „Mozah".

Bürgerinitiativen kämpfen gegen die Terminals

Die Schiffe sind teure Spezialanfertigungen. An Deck befinden sich bis zu fünf riesige, mit LNG betankte Kugeln. Jede hat einen Durchmesser von mindestens 40 Metern und ist gut isoliert. Der Schutzmantel ist nötig, damit das Erdgas nicht zu kochen beginnt und verdampft. Aus physikalischen Gründen gelingt die Kühlung aber nie perfekt. So wird ein Teil des Erdgases an Bord abgefackelt oder zum Antrieb genutzt.
Die Wissenschaftsjournalisten Marlies Uken hat für den „Spiegel“ die Gefahren, die von diesen Schiffen ausgehen, untersucht. Ihre Erkenntnis: Weltweit gibt es inzwischen Proteste gegen LNG-Projekte. Die Menschen haben offenbar Angst. Die Anwohner von Long Island etwa wehrten sich lange gegen drei LNG-Projekte an der US-Ostküste. In Frankreich standen vier Terminals in der Kritik. Uken traf auf eine Bürgerinitiative namens „Safe Haven", die seit Jahren in England gegen den Bau der Terminals protestiert.
Im Fall einer Schiffskollision oder gar eines Angriffs, so die Befürchtung der Kritiker von „Safe Haven“ , könnte das verpuffte Gas Feuer fangen und Städt in Brand setzen. Uken zitiert dagegen Gerd-Michael Würsig, von DNV-GL, einer Art Schiffs-TÜV: Eine Explosion sei extrem unwahrscheinlich, weil dafür viele Faktoren zusammenkommen müssten. Das verdampfte LNG entzünde sich nur dann, wenn es sich in einem ganz bestimmten Verhältnis mit dem Sauerstoff in der Luft mische. „Die Sicherheitsstatistik von LNG-Tankern ist hervorragend, bisher gab es keine Totalverluste." Angesichts der steigenden Zahl der Transporte warnt aber sogar der LNG-Branchenverband Society of International Gas Tanker and Terminal Operators (SIGTTO). „Wir haben viele Neulinge in der LNG-Schifffahrt und müssen dringend dafür sorgen, dass sie das Geschäft ebenso sicher betreiben wie die alten Hasen."

Ex-James Bond ist dabei

In Irland kämpft die Initiative „Safety Before LNG" seit Jahren darum, keine LNG-Tanks in Häfen zu bauen, weil sie die für zu gefährlich hält. Aktivist Johnny Mc Elliot sagt: „Wir haben nichts gegen wirtschaftliche Entwicklung, aber man muss doch die Risiken einer solchen Anlage vorher abschätzen und die Bevölkerung informieren." Als Alternative schlägt er schwimmende Plattform auf hoher See vor, auf der das LNG wieder in Gas umgewandelt und direkt ins Pipelinenetz eingespeist wird. „Safety Before LNG" hat einen prominenten Mitstreiter: Ex-James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan, dessen Vater jahrelang in Irland lebte, unterstützt die Initiativer. Er hat bereits mit anderen Hollywood-Stars den Bau eines riesigen LNG-Terminals vor der Küste Kaliforniens verhindert.

Entwarnung kommt in der Sache von der Industrie, die Förderung und Transport betreibt und daran verdient. Der Mineralölkonzern Shell ist einer der Pioniere in dem Geschäft: „Die Erfahrungen belegen“, so sagt Peter Blauwhoff, langjähriger Vorsitzender der Geschäftsführung der Shell Deutschland, „dass LNG bei ordnungsgemäßer Handhabe kein größeres Risiko darstellt als etwa Kraftstoffe wie Benzin und Diesel.“      

oli

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