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„Shell pumpt weiter CO2 in die Luft und plant noch mehr“

Eine langjährige Sicherheitsberaterin des Mineralölkonzerns Shell packt aus. Ihr Vorwurf: Während das Unternehmen öffentlich behauptet, sich in Richtung Klimaneutralität zu bewegen, arbeitet es tatsächlich daran, den CO2-Ausstoß deutlich zu erhöhen. Die gestiegenen Gewinne aus den explodierenden Energiepreisen, nutzt der Konzern offenbar, um weiter in fossile Energieförderung zu investieren. Mit einer spektakulären Aktion versucht die Managerin, Shell den Spiegel vorzuhalten.

Bildnachweis: Guardian News Interview

Von Oliver Stock / WirtschaftsKurier

Caroline Dennett hat elf Jahre für den Mineralölkonzern Shell gearbeitet. Dann hatte sie es satt: Das öffentliche Bekenntnis von Shell, nachhaltig zu arbeiten und bis 2050 unterm Strich keine Emissionen mehr auszustoßen, passe überhaupt nicht mit dem zusammen, was sie gesehen und erlebt habe. Sie beschloss zu handeln: In einer Massen-E-Mail an mehr als tausend Shell-Mitarbeiter, darunter auch an den Vorstandsvorsitzende Ben van Beurden, schrieb Dennett: „Die Vereinten Nationen und die Internationale Energieagentur sind sich einig: Es gibt kein sicheres Maß an neuer Öl- und Gasförderung, jedes neue Projekt führt zu einer globalen Überhitzung und einer unbewohnbaren Welt." Und sie stellte ein Video ins Netz, in dem sie ihre Kündigung damit begründete, dass der Öl- und Gaskonzern dem Planeten wissentlich „extremen Schaden" zufüge. (https://www.youtube.com/watch?v=MHbPNGz0x4U) Im Gespräch erzählt sie, wie sie den Entschluss zu diesem Schritt fasste.

Frau Dennett, was genau war Ihre Aufgabe bei Shell?

Seit 2011 war ich als Beraterin für Sicherheitskultur bei Shell angestellt. Mein Job war es zunächst, eine Umfrage zur Prozesssicherheit zu entwerfen, um Shell dabei zu unterstützen, Verbesserungsmöglichkeiten an ihren Betriebsanlagen zu identifizieren. Ich habe mit ihren Teams zusammengearbeitet, um die Umfrage zu entwickeln. Sie brachten das technische Know-how mit, und wir brachten Forschungs- und Analytik-Know-how mit. Schon damals hatte ich Vorbehalte, für Shell zu arbeiten, weil die Industrie viel Umweltverschmutzung verursacht hat, aber sie schienen wirklich engagiert zu sein, die Sicherheit zu verbessern, um Zwischenfälle wie die Deepwater Horizon-Katastrophe im Jahr 2010 zu vermeiden.

Sie haben also Pläne zur Verbesserung der Sicherheit bei Shell entworfen?

Das war der ursprüngliche Auftrag. Wir dachten, das wäre es, sie hätten die Tools und würden es selbst betreiben, aber sie sahen den Wert und den Vorteil einer unabhängigen Beratung. Also wurden wir eingeladen, die Sicherheitskultur kontinuierlich zu überprüfen. Insgesamt haben sich über die Jahre rund 20.000 Mitarbeiter an unseren Umfragen und Themen beteiligt. Die Arbeit wurde geschätzt und die Ergebnisse und Empfehlungen aus den Umfragen wurden verwendet, um Verbesserungen der Betriebssicherheit voranzutreiben.

Dann war doch eigentlich alles in Ordnung. Wann sind Ihnen denn die Widersprüche zwischen Shells öffentlichem Auftritt und dem, was tatsächlich passierte, aufgefallen?

Meine Bedenken beziehen sich nicht auf Shells Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheitskultur. Das ist es nicht. Meine Bedenken begründen sich vielmehr darauf, dass Shell nach außen das Ziel ausgibt „keinen Schaden“ zu produzieren, während ihr Kerngeschäft weiter die Gewinnung fossiler Brennstoffe ist - und Shell dieses Geschäft auch noch besorgniserregend erweitert. Sie beschleunigen dadurch den Klimawandel und die bekannten Risiken und Folgen wie globale Erwärmung, Extremwetterereignisse, Stürme und Hurrikane, Überschwemmungen, intensive Hitzewellen, den Anstieg des Meeresspiegels durch schmelzende Gletscher und all das.

Also ist das Bekenntnis zur Klimaneutralität allenfalls Fassade?

Während Shell in den Marketing- und Kommunikationsabteilungen über Klimataktiken sprechen mag, wird an der operativen Front nur sehr wenig über Klimawandel, Net-Zero-Ambitionen oder den Übergang zu erneuerbaren Energien gesprochen, soweit ich dies bei Gesprächen mit dem Management und den Mitarbeitern an vorderster Front miterleben konnte. Ich denke, das ist klassisches Greenwashing: Der Klima- und Umweltnotstand wird benannt, während der Konzern wissentlich weiterhin CO2 in die Atmosphäre pumpt und plant, noch mehr auszustoßen.

Noch mehr?

Shell ist dabei, eine neue Öl- und Gas-Infrastruktur aufzubauen, trotz den Aufrufen der Internationalen Energieagentur und der UN, dass dies unbedingt aufhören muss und es keinen Spielraum für eine neue Förderung gibt, wenn wir eine katastrophale globale Erwärmung vermeiden wollen.

Aber Shell investiert doch auch in erneuerbare Energien?

Ich habe mit Shells kleinem Portfolio von „New Energy“-Unternehmen gearbeitet. Es besteht aus einigen kleinen Unternehmen für erneuerbare Energien, die sie übernommen haben. Skalierbare Investitionen in Forschung und Entwicklung im Bereich erneuerbare Energien, die Herstellung einer Infrastruktur dafür, die Installation und schließlich die Energieerzeugung – das sähe anders aus.

Haben Sie mit Ihren Kollegen darüber gesprochen?

Ich habe meine Bedenken nicht mit Kollegen bei Shell geteilt, sie waren unsere Kunden. Wir haben zuweilen Umweltprobleme in Zusammenhang mit Verschüttungen oder Lecks diskutiert.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich entschieden haben aufzuhören?

Es ist mir zunehmend unangenehm geworden, in der Industrie für fossile Brennstoffe zu arbeiten, insbesondere in den letzten 2-3 Jahren. Mit zunehmendem Bewusstsein für Treibhausgasemissionen, Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt ist auch mein Unbehagen gewachsen. Das führte zu einem größeren Konflikt zwischen meinen persönlichen Werten und der Sorge um die Umwelt auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem Versäumnis von Shell, die planetare Sicherheit über das Streben nach wachsenden Profiten zu stellen.

Und was war dann der Auslöser für ihre spektakuläre Kündigung?

Den Ausschlag gegeben hat schließlich die Erkenntnis, dass Shell Expansionsprojekte in Nigeria baut, neue Offshore-Lizenzen im südlichen Afrika sucht und die britische Regierung unter Druck gesetzt hat, um neue Felder in der Nordsee zu erschließen. Ich wusste, dass ich nicht länger für ein Unternehmen arbeiten konnte, das jeden Alarm ignoriert und die Risiken des Klimawandels und des ökologischen Zusammenbruchs abtut. Dann sah ich vor ein paar Wochen einen Videoclip von der Aktion von Extinction Rebellion in der britischen Shell-Zentrale. Es gab Demonstranten im Gebäude, die Plakate mit der Aufschrift „Insider gesucht“ hochhielten und dazu aufriefen, „die Wahrheit zu sagen“. Das motivierte mich, etwas zu unternehmen.

Wie sind Sie auf die Idee mit dem Video gekommen?

Ich wollte etwas machen, das ich leicht mit Mitarbeitern und Auftragnehmern von Shell und anderen in der Branche teilen könnte, und dies schien eine sehr persönliche und ernsthafte Art zu sein, meine Botschaft zu kommunizieren.

Hat das Konsequenzen für Sie?

Shell war eine bedeutende Einnahmequelle in meinem Geschäft, also gibt es definitiv finanzielle Konsequenzen. Aber sie sind zweitrangig, wenn ich mir selbst treu bleibe. Indem ich diese Nachricht öffentlich an Shell gesendet habe, war ich in der Lage, das Bewusstsein zu schärfen und andere in der Branche zu ermutigen, ihre Position zu überdenken, zumindest regt die Aktion Diskussionen an. Ich rechne damit, dass es rechtliche Konsequenzen geben wird, aber unterm Strich ist es das wert.

Was machen sie jetzt? Haben Sie einen neuen Job?

Mein Unternehmen hat andere Kunden außerhalb des Öl- und Gassektors, daher führen wir weiterhin Forschungs- und Beratungsdienste durch und bewegen uns in Nachhaltigkeitsstrategien für Unternehmen, die wirklich weniger Schaden anrichten wollen.

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