Nachtschicht 4.0: Wie Roboter die Sicherheitsbranche revolutionieren
Ernst Steuger über den Anstieg politischer Straftaten: Robotik und KI als Lösungen gegen Fachkräftemangel in der Sicherheitsbranche.
Ernst Steuger, Geschäftsführer der Nürnberger Wach- und Schließgesellschaft, spricht im Interview über die Herausforderungen durch gestiegene Straftaten sowie über Digitalisierung und KI als Mittel gegen den Fachkräftemangel in der Sicherheitsbranche.
Beim weltweiten Global Peace Index liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 20, gilt also prinzipiell als sicheres Land. Aber: Die Zahl der politisch motivierten Straftaten ist zuletzt auf rund 60.000 Delikte im Jahr 2023 angestiegen. Sie befindet sich damit auf dem höchsten Stand seit Einführung des Meldedienstes im Jahr 2001. Wie nehmen Sie die veränderte Sicherheitslage wahr?
Ernst Steuger: Man merkt die Veränderungen, ja. Die politische Unzufriedenheit hat aus meiner Sicht mehrere Gründe. Es ist nach wie vor so, dass die ganze Asylpolitik kein schlüssiges Konzept besitzt. Dadurch kommt es dann auch zu Unfrieden und diesem Rechtsruck, der sich dann wiederum – und das ist sehr bedenklich – auch gegen Politiker auf Ebenen richtet, die nicht wirklich etwas dafür können beziehungsweise jetzt auch nicht in der Machtposition sind es zu verändern oder es herbeigeführt zu haben. Allerdings haben wir es im Moment auch mit einem Linksextremismus seit dem Ukrainekrieg zu tun. Somit spürt man, dass auf einer breiteren Basis ein mögliches Kriminalitätsproblem, ein Extremismusproblem hochkochen könnte. Und nicht nur das: Wir haben einen Anstieg von Diebstahlsdelikten und einfacher Körperverletzungsdelikte. Die Hemmschwelle für Körperverletzung ist schon sehr gesunken, es geht schneller zur Sache als noch vor einigen Jahren.
Wie reagieren Sie auf die veränderte Sicherheitslage?
Ernst Steuger: Unser Schwerpunkt liegt auf dem Objektschutz für Industrie, Handel und öffentliche Hand. Die letzten drei Jahre stieg zudem die verbaute Technik wie Smart-Home-Lösungen signifikant an. Zum einen ist es ein deutlich höheres Schutzziel, das mittlerweile angestrebt wird, weil auch hier Delikte oder Sabotage nicht außer Acht gelassen werden dürfen, zum anderen begegnet man so dem Arbeitskräftemangel.
Der Bedarf nach Sicherheit wird zwar größer, gleichzeitig fehlt aber oft das Personal. Gemäß einer MPG-Studie von 2024 haben 82 Prozent der deutschen Unternehmen mit offenen Stellenbesetzungen zu kämpfen. Wie sehr trifft Ihr Unternehmen der Fachkräftemangel?
Wir haben derzeit circa 2.400 Mitarbeiter und 80 vakante Stellen. Im Vergleich zur Gesamtmitarbeiterzahl ist dies noch nicht wahnsinnig schlimm, aber wir rechnen in den nächsten zehn Jahren mit einer deutlichen Verschlechterung. Die Arbeitsmarktsituation verschlechtert sich in den nächsten Jahren jährlich um 400.000 bis 500.000 Mitarbeiter. Wir müssen massiv durch multiple Maßnahmen gegenlenken, eine Maßnahme alleine reicht nicht aus. Eine Maßnahme wäre zum Beispiel ein massiver Steueranreiz für Rentner, die weiterarbeiten möchten. Zusätzlich müssen wir die Arbeitsprozesse digitalisieren, um auch weniger Personal bei Stellenbesetzungen durch KI-Lösungen, Technik und Robotik zu kompensieren.
Wie setzen Sie das um?
Ernst Steuger: Die ersten Gehversuche im Überwachungsbereich waren Installationen von Kameras für einen virtuellen Rundgang. Das heißt, es ist gar kein Mitarbeiter mehr anwesend, sondern es wird zu einer gewissen Uhrzeit über eine Alarmempfangsstelle, wie wir sie haben, ein Rundgang durch die Kamera gemacht. Das hat aber seine Grenzen wie verstellte Kameras. Also brauchte man Ersatzlösungen, so kam man auf die Robotik. Mittlerweile ist es möglich, einen Mitarbeiter, der in der Nacht seine acht Stunden arbeitet und jede Stunde oder alle zwei Stunden seinen Kontrollgang macht, durch einen Roboter abzudecken. Dieser fährt nach einem vorgegebenen Plan oder auch unregelmäßig seine Runde, kontrolliert und meldet.
Ist das erfolgreich?
Ernst Steuger: Sie treffen uns gerade in der Markteinführung an. Wir haben dreieinhalb Jahre in Forschung und Entwicklung investiert und hatten auch unsere spannenden Zeiten, wo nicht immer alles funktioniert hat. Wir haben aktuell sechs Geräte und es werden weitere Erkenntnisse folgen, die man erst im Echtbetrieb sieht. Wir sind sehr froh, dass der Roboter zu 100 Prozent seinen Dienst erfüllt. Wir planen in diesem Jahr auf 15 bis 20 Geräte aufzustocken und nächstes Jahr auf 50. Kein qualifizierter Mitarbeiter wird dafür entlassen. Wir haben uns vielmehr die Frage gestellt, wie wir weiter wachsen können, wenn es immer weniger Personal gibt und wir ein reiner Personaldienstleister sind.
Robotik ist aber nur eine Lösung, um auf den Fachkräftemangel zu reagieren.
Ernst Steuger: Wir haben parallel dazu noch einen digitalen Pförtner programmieren lassen. „Mobile only“ ist die Zielsetzung. In vielen Unternehmen gibt es eine sogenannte Fremdfirmensachbearbeitung, die nichts anderes macht als Besuchermanagement, sprich Ausweis kontrollieren und einen Besucherausweis ausstellen. Diese ganzen Arbeitsschritte können wir in Zukunft auch automatisieren und somit in größeren Industriebereichen durchaus einen bis vier Mitarbeiter – je nach Größenordnung – woanders sinnvoll einsetzen. Wenn man das hochrechnet, ist es für die Firmen günstiger und zweitens kann man das Personal dort, wo es fehlt, bereitstellen. Es wird aber auch innerhalb der Verwaltung weitergehen müssen in puncto Digitalisierung und Automatisierung.
Heißt konkret?
Ernst Steuger: Größere Firmen arbeiten mit dem EAP-System (Anmerkung der Redaktion: Employee Assistance Program). Das heißt, alles, was mehr an Personal im Backoffice benötigt wird und würde, löst man mit Digitalisierung. Es gibt inzwischen Systeme, mit denen die Dokumente eingescannt und verschlagwortet sowie dem System in einem Modus automatisiert zugeführt werden. Das sind viele Arbeitsschritte, die hier abgenommen werden, was Kollegen mit hoher Arbeitsbelastung hilft.
Die digitalen Lösungen stützen sich zunehmend auf das Thema KI. Chance oder Gefahr?
Ernst Steuger: Ich sehe mehr Chance als Gefahr. Die große Chance ist die Entlastung für die Mitarbeiter durch die Übernahme von gewissen Automatisierungen. Die Gefahr in der KI besteht aus meiner Sicht nur darin, dass sie uns irgendwann bezüglich der Beherrschbarkeit entgleiten könnte. Die Frage lautet eigentlich: Ist die KI nicht ohnehin schon viel zu verbreitet und die Entscheidung dafür bereits gefallen? Wir sind in den Prozessen mittlerweile so weit, dass man nur versuchen kann, die KI als positive Hilfestellung für mögliche Weiterentwicklungen zu sehen.
Wie viel Prozent Ihrer Leistungen werden bereits durch KI unterstützt?
Ernst Steuger: Wenn man es rein auf die Arbeitsprozesse herunterbricht, sind wir im Bereich von insgesamt 20 Prozent. Der Anteil der KI wird künftig verstärkt werden.
Was sind neben KI weitere Herausforderungen der nahen Zukunft?
Ernst Steuger: Herausforderungen werden auch immer politische Entscheidungen sein. Beispielsweise stehen wir kurz vor der Einführung eines Sicherheitsgewerbegesetzes. Hinzu kommt das Thema Mindestlohn. Natürlich freut mich die bessere Bezahlung für die Mitarbeiter. Wenn aber die Kundenseite nicht bereit ist, mehr zu bezahlen, ist es kritisch. Hier herrscht oft eine Doppelmoral vor – ganz speziell bei der öffentlichen Hand. Beispielsweise sind 2023 in der untersten Lohngruppe die Löhne um 25 Prozent gestiegen und der überwiegende Teil – besonders die öffentliche Hand – hat in den Ausschreibungen formuliert, dass man doch bitte einen Festpreis für die nächsten drei Jahre angeben möge. Das passt nicht zusammen und ist unseriös. Hier muss man sicherlich noch einmal hart in die Gespräche gehen.