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Technologie > Milliardenmarkt Metaverse

So nutzen Mittelständler heute schon das Metaverse

Immer mehr Mittelständler testen die 3D-Technologien. Wer genau hinschaut, sieht: Das ist weder ein Hype, noch perfekt, aber Anfangen lohnt sich.

Halbe Portionen: Noch wirken die dreidimensionalen Konferenzen im Metaverse etwas simpel, das wird sich ändern. Die Personen am Konferenztisch sitzen in echt zum Beispiel weltweit verstreut. Quelle: naratrip/Shutterstock.com

Eine Maschine aus Tausenden Einzelteilen so oft auseinanderzunehmen und wieder zusammenzubauen, wie man möchte: Das ist der Traum eines jeden Technikers im Maschinenbau. Hier bei Windmöller & Hölscher ist es virtuelle Realität (VR). Mit der entsprechenden Brille auf dem Kopf kann der junge Kollege Teile anfassen, sie mit dem Kran so in der Halle ausrichten, wie er es auch in echt machen würde. Und vor allem: Der Techniker kann so viel herumprobieren, wie er will. Im realen Leben wäre das kaum möglich. Ein kleiner Nachteil: „Er merkt das Gewicht der einzelnen Teile nicht“, sagt Kai Lügger, Leiter Business Development bei Windmöller & Hölscher. Es gibt also einige Abers und Geht-noch-nichts, aber das schreckt hier niemanden.
Was für viele Mittelständler noch wie Science-Fiction klingt, ist im nordrhein-westfälischen Lengerich schon heute Alltag: Das Training ist ein kleiner Teil dessen, was die Welt inzwischen Metaverse nennt.

 

Ein Vorteil ist, dass sich das Unternehmen die Produktion von Trainingsmaschinen spart. Aber die Planungen gehen viel weiter: Bald sollen auch Kolleginnen und Kollegen in Asien so gut trainiert werden, dass man besten Gewissens auf Reisezeiten, Kosten und CO2-Emissionen verzichten kann. Schon heute können die Technikerteams eine neue Maschine in der virtuellen Halle des Kunden zusammenbauen und jeden Handgriff in der dortigen Umgebung üben, während die Maschine in der Realität noch unterwegs zum Kunden ist. So wird Zeit und Geld auf der echten Baustelle gespart.

 

Nicht alles hilft

 

Für Windmöller & Hölscher begann die Reise ins Metaverse vor rund einem Jahr mit einem Workshop. Dort wurde eine erste VR-Prototyp-Maschine ausprobiert. „Wir haben uns herangetastet und ziemlich schnell gemerkt, was für uns im Moment sinnvoll ist und was nicht“, erinnert sich Lügger. So bildeten sich zwei Schwerpunkte heraus. Einerseits Marketing, also die komplexen und großen Maschinen für potenzielle Kunden, erlebbar zu machen. „Eine echte Maschinenvorführung in unserem Technikum ersetzt dies noch nicht“, sagt der Manager. „Aber für einen ersten Eindruck hilft das schon.“ Zum anderen internes Training von Servicetechnikern. „Eine Option war auch, dass wir unsere Kunden in VR-Umgebung schulen – aber davon haben wir vorerst noch Abstand genommen und wollen erst mal intern lernen“, sagt Lügger. Auch die Auswahl der Dienstleister war herausfordernd. Wer kann die Maschinen digital bereitstellen? Windmöller & Hölscher fand ein Unternehmen, dass sie „in halbwegs schön und für 3000 Euro hingestellt“ hat.

 

Die Marketingabteilungen großer Konzerne bauen längst an Metaverse-Welten, Beratungen kaufen VR-Headsets im Hunderterpaket, und die Gaming-Industrie ist sowieso ganz wuschig. Auch auf der wichtigen Elektronikmesse CES in Las Vegas wurden im Januar zahlreiche Neuerungen vorgestellt inklusive Kleidung, die digitale Impulse in real Fühlbares verwandelt.

Doch wer fragt, was dieses Metaverse, von dem alle reden, eigentlich ist, erhält abenteuerlich unterschiedliche Antworten. Für die einen hat es eher mit Blockchain und Kryptowährungen zu tun, die anderen benutzen es synonym mit virtueller Realität. Beides greift zu kurz. „Das“ Metaverse gibt es genauso wenig wie „das“ Internet. Derzeit existiert eine große Anzahl von Apps, die sich unter anderem durch den Zugang unterscheiden: Einige sind nur mit VR-Brille nutzbar, andere per PC oder Smartphone.

 

Eine Gruppe von Fachleuten am eXperimental Reality Lab des Marketing Centers der Universität Münster brechen das Thema für den typischen deutschen Mittelstand herunter. „Das Metaverse bietet Unternehmen in nahezu allen Branchen Möglichkeiten, Mehrwert für das eigene Geschäft zu schaffen“, sagt Thorsten Hennig-Thurau, Professor für Marketing und Medien am Marketing Center. „Und zwar nicht abstrakt und irgendwann einmal in ferner Zukunft, sondern heute schon und ganz konkret.“ Der wesentliche Punkt sei der „soziale Charakter des Metaverse“. Anders als im Internet, wo wir in der Regel allein unterwegs sind, ist das Metaverse Hennig-Thurau zufolge „eine soziale Umgebung, in der Nutzen durch das räumliche Zusammensein mit anderen Personen entsteht“.

 

Das Metaverse bringt dieses Gruppengefühl eher zustande als das Internet, was auch den Alltag im Unternehmen verändern dürfte. „Das Metaverse schafft da neue Geschäfte, wo Produkte und Entscheidungen mit gemeinsamem Handeln verbunden sind“, sagt Björn Ognibeni, Berater mit Fokus auf digitale Trends und Strategic Director des eXperimental Reality Lab. Egal ob intern, extern oder an der Schnittstelle zu Kunden: „Der große Nachteil der digitalen Kommunikation, den wir seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 wahrnehmen, lässt sich durch Metaverse-Technologien begrenzen.“

 

Das betrifft vor allem die interne Kommunikation: Metaverse-Technologien schließen die enorme Lücke zwischen physischen Treffen und Videokonferenzen.

 

Derzeit gehen all die Kostenvorteile und Flexibilität von Remote-Treffen noch zulasten des Zusammengehörigkeitsgefühls. Dies ist beim Arbeiten in virtuellen Räumen anders, so der Berater. „Hier entsteht schnell ein Gefühl von Gemeinsamkeit, das Teams und Zoom nicht kennen. So lassen sich die Vorteile des Digitalen nutzen, aber die Nachteile ausgleichen.“

 

Hennig-Thurau von der Uni Münster erinnert sich, wie seine Begeisterung für Videokonferenzen rasch verschwand. Die Lust und die Konzen­tration der Studierenden sei rapide gesunken: „Das Medium Videokonferenz hat sich erschöpft und entzaubert, wir kennen jetzt seine Grenzen.“ Das Metaverse ist dreidimensional. Mitarbeiter sind dort mit einem digitalen Abbild unterwegs, einem sogenannten Avatar. Sie können sich im virtuellen Raum direkt an einem Produkt oder der Produktionsstätte treffen. Solche Besprechungen fühlen sich anders an als die zweidimensionalen über Skype, Teams oder Zoom. Doch Treffen im virtuellen Raum bieten nicht nur Vorteile im Vergleich zu Videokonferenzen, sondern auch im Vergleich zu physischen Treffen. „Es fällt leichter, Leute in Avatargestalt anzusprechen, oder die Meinung zu sagen, gerade wenn verschiedene Hierarchieebenen beteiligt sind“, sagt Professor Hennig-Thurau.

 

Hilfe für Personaler

 

Auch im Personalbereich kann das Metaverse helfen, bei Schulungen oder dem Anwerben neuer Mitarbeitender. „Metaverse-Technologien haben auch im Recruiting enorme Vorteile“, sagt Ognibeni vom eXperimental Reality Lab. Das beginnt beim Kennenlernen: Viele Bewerberinnen und Bewerber wollen ja nicht mehr weit fahren für ein Erstgespräch. „Aber vor allem Mittelständler, die im ländlichen Raum sitzen, können Bewerber, die nicht umziehen wollen, mit solchen Technologien deutlich leichter anlocken“, sagt Ognibeni.
Wer sich das Geld für Messen sparen möchte, aber nicht gerade nahe einer großen Metropole sitzt, kann dank Metaverse-Anwendungen Kunden nah an seine Produkte bekommen, mit ihnen reden und die Produkte vorführen. An dieser Stelle hat man bei Windmöller & Hölscher schnell gelernt, wo derzeit noch die Grenzen der Technologie liegen: „Problematisch ist die Rechenleistung der Brillen“, sagt Business-Development-Leiter Kai Lügger. Maschinen sollten digitalgetreu dargestellt werden, der potenzielle Kunde sollte nur eine Stand-Alone-VR-Brille benötigen und kein Hightech-Equipment aus Hochleistungsrechner und kabelgebundener Brille, um in die Anwendung zu gelangen.

 

Grenzen im Alltag

 

Gerade wenn mehrere Gäste gleichzeitig dabei sind, wird es schwierig: „Zehn Leuten eine Brille zu schicken und gemeinsam jede Schraube anzugucken – das wäre eines Tages das Optimum. Aber noch reicht die Rechenleistung noch nicht aus“, sagt Lügger. Heißt: Je mehr Leute mit eigenen Brillen dabei sind, desto weniger detailreich ist das Objekt. Oder man geht ins Detail, dann ist das Unternehmen aber an eine umfangreiche Infrastruktur gebunden, die man erst mal an allen Standorten aufbauen muss. Das kann man für interne Anwendungen noch machen, aber für den Kunden muss die Zugangshürde maximal niedrig sein: „Um es einfach zu halten, sparen wir derzeit an Details, die der Kunde aber im Laufe der Gespräche schon gezeigt haben möchte“ erklärt Lügger. „Noch ist es daher eher ein Marketing-Case, kein Sales-Case.“
Dennoch ist der Manager froh für jede Erfahrung: „Wir haben es ja bisher auch mit relativ überschaubarem Investment gemacht. Da helfen ein paar Tausend Euro schon weiter.“ Man könne nun viel gezielter in Gespräche mit Dienstleistern gehen. „Die erzählen einem ja viel, jetzt können wir viel gezielter nachfragen.“ So hat der Maschinenbauer auch gelernt, was intern nötig ist, um die Technik zu nutzen. Dazu gehöre auch, dass die Konstruktion die spätere Darstellung in der VR schon frühzeitig mitdenkt. Berater Björn Ognibeni sieht in Windmöller & Hölscher keinen Einzelfall: „Zu warten, bis das Metaverse und Hardware wie die VR-Brillen fertig sind, ist die falsche Einstellung. Die Eintrittsbarrieren werden mit der Zeit nur größer.“

 

Aus seiner Sicht sollten Mittelständler mit dem Begriff Metaverse weder fremdeln noch ihn hypen: „Das Wort ist nicht wichtig. Die entscheidende Frage ist doch: Was macht man jetzt konkret mit den Anwendungen, die da sind?“ Der Mittelstand lasse sich sogar schneller auf Metaverse-Technologien ein als die meisten Konzerne. „Es gilt nur wenige Chefs von den Vorteilen zu überzeugen. Sie sind agiler.“ Ognibeni fehlt allerdings ein sinnvolles Ausprobieren: Zu oft teste man die VR-Brille allein und fahre Achterbahn, bis einem schlecht wird. „Stattdessen sollte man mit anderen Anwendungen ausprobieren, die vom Gemeinschaftsgefühl in der virtuellen Realität profitieren.“ Zudem haben zu wenige heute schon Brillen, so stellt sich der Netzwerkeffekt noch nicht ein. Aber das könnte sich 2023 sehr schnell ändern, etwa wenn Apple sein Headset erfolgreich in den Markt bringt.

 

Professor Hennig-Thurau von der Uni Münster fragt halb im Spaß: „Was wäre gewesen, wenn alle auf das iPhone 14 gewartet hätten, bis sie Smartphones in ihren Geschäftsalltag integrieren?“ Die heutigen VR-Brillen seien noch nicht perfekt, aber sie funktionierten „vermutlich besser, als es einst beim ersten iPhone der Fall war“. Bei dem habe es noch nicht einmal 3G gegeben. „Wenn wir eines über Digitalisierung gelernt haben, dann doch, dass digitale Produkte nie fertig sind. Die Frage für die Anschaffung muss doch vielmehr sein, ob sie zusätzlichen Nutzen bieten“, sagt Hennig-Thurau.

 

So sieht es auch Alexander Saul, Geschäftsführer Firmenkunden bei Vodafone Deutschland: „Es ist gleichermaßen eine Stärke als auch eine Schwäche des deutschen Mittelstandes, konservativer zu sein. Eine Stärke ist es, weil man nicht jedem Trend hinterherläuft. Eine Schwäche kann es sein, weil es manchmal hemmt beim Erkennen von neuen Technologien und Möglichkeiten, sich selbst zu optimieren.“
Dazu gehört auch Kai Lügger von Windmöller & Hölscher. Er hat die nächsten Vorhaben schon im Blick. Besonders für den Servicebereich sieht er nicht zuletzt Augmented Reality als große Chance, virtuelle Hinweise an echten Maschinen. „Wir können unsere Remote-Unterstützung signifikant verbessern, wenn wir auf die Anlage beim Kunden zum Beispiel die Wartungshinweise passend projizieren.“ Die Interaktion mit der realen Umgebung bringe schon im Verkaufsprozess Vorteile, wenn man die Maschine virtuell in die echte Halle des Kunden stelle. „Dann kann er genau schauen, wie er später seine Logistikprozesse und Materialzugänge am effizientesten organisiert. Das hat einen enormen Mehrwert.“

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