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Technologie > Social Scoring

George Orwell und die Überwachungsgesellschaft: Parallelen zwischen China und dem Westen

Wie Orwells Vision in der digitalen Ära Gestalt annimmt. "Soziale Bewertung": Kontrolle oder Chance? Ein Blick auf China, den Westen und die Zukunft.

George Orwells düstere Visionen werden in der modernen Welt des Social Scorings auf überraschende Weise Realität. (Foto: Shutterstock)

Am 21. Januar 2025 jährt sich George Orwells Todestag zum 75. Mal. Seine düsteren Visionen einer totalitären Überwachungsgesellschaft scheinen aktueller denn je. Doch während der Westen vor dem "chinesischen Social Scoring" warnt, entwickeln sich ähnliche Systeme auch in unseren Breitengraden. Ein genauerer Blick offenbart überraschende Parallelen und wirtschaftliche Implikationen.

Chinas Sozialkreditsystem: Mythos und Realität

Das chinesische Sozialkreditsystem (SKS) wird oft als Paradebeispiel für totalitäre Überwachung dargestellt. Kritiker, darunter der ehemalige US-Vizepräsident Mike Pence, warnen vor einem "Orwell'schen System", das jeden Aspekt des Lebens kontrolliere.

Doch die Realität sieht anders aus. In der Praxis ist ein solches flächendeckendes System (noch?) nicht eingeführt worden. Stattdessen existieren Pilotprojekte, wie die Überwachung von Verkehrssündern in Shanghai. Während der Zero-Covid-Politik mussten Bürger QR-Codes scannen, um ihre Bewegungen zu verfolgen. Allerdings scheint der wirtschaftliche Nutzen des Systems für Peking im Vordergrund zu stehen. Ziel ist es, die Kreditwürdigkeit von Unternehmen transparenter zu machen und der undurchsichtigen Kreditvergabe entgegenzuwirken.

Das bisherige System dient eher als Pendant zu westlichen Bonitätsbewertungssystemen und soll helfen, finanzielle Risiken besser zu managen. Marianne von Blomberg, Fellow am Lehrstuhl für chinesische Rechtskultur der Universität zu Köln, erklärt: "SKS-Projekte, welche Individuen betreffen und mit echten Strafen einhergehen, sind häufig keine Scoring-Systeme, sondern basieren auf schwarzen Listen."

Tatsächlich zielt das SKS primär auf die Regulierung von Unternehmen ab. Etwa 90 Prozent der Initiativen betreffen juristische Personen, nicht Individuen. Dies zeigt, dass das System eher als Instrument zur Durchsetzung bestehender Gesetze und Normen dient, als zur totalen Kontrolle der Bevölkerung.

Social Scoring - Definition

Soziales Scoring ist ein System, das das Verhalten und die Eigenschaften bewertet und anhand bestimmter Kriterien oder Algorithmen Punkte oder Wertungen zuweist. Diese Systeme sammeln und analysieren Daten aus verschiedenen Quellen, um ein Profil einer juristischen Person zu erstellen, das deren „soziales Vertrauen“ oder „gesellschaftliche Nützlichkeit“ widerspiegeln soll. Diese Bewertung kann sich auf verschiedene Lebensbereiche beziehen als auch auswirken, zum Beispiel auf die Kreditwürdigkeit, die Möglichkeit zur Nutzung bestimmter Dienstleistungen oder auf die soziale Anerkennung.

Der Westen: Versteckte Formen des Social Scoring

Während der Westen das chinesische System kritisiert, entwickeln sich hier ähnliche Mechanismen. Plattformen wie Airbnb und Uber nutzen Bewertungssysteme, die das Verhalten von Nutzern und Anbietern bewerten.

Auch die Schufa in Deutschland erstellt Bonitätsbewertungen, die weitreichende Folgen für Einzelpersonen haben können. Wobei die Mechanik weit entfernt ist von einem Belohnungs- und Bestrafungs-System chinesisscher Prägung.

Diese Systeme werden oft mit der Rhetorik der "Vertrauensbildung" beworben - ähnlich wie in China. Der entscheidende Unterschied: Im Westen werden diese Systeme von privaten Unternehmen betrieben, nicht vom Staat.

EU-Regulierung: Kampf gegen den digitalen Big Brother

Die Europäische Union hat mit dem AI Act ein Regelwerk verabschiedet, das die Entwicklung von KI-Systemen regulieren soll. Ein zentraler Punkt: Das Verbot von Social Scoring. "Bereit, die Chancen der Künstlichen Intelligenz zu nutzen?", fragte das Social-Media-Team der Europäischen Kommission optimistisch. Doch was genau wird hier verboten?

Der Erwägungsgrund 31 des AI Acts definiert Social Scoring als KI-Systeme, die Menschen aufgrund ihres sozialen Verhaltens bewerten und klassifizieren. Diese Systeme könnten zu ungerechtfertigter Benachteiligung führen. Allerdings bleibt die Definition vage und lässt Raum für Interpretationen.

Interessanterweise enthält die deutsche Version des AI Acts den Begriff "Social Scoring" gar nicht. Stattdessen ist von "sozialen Bewertungen" die Rede. Diese sprachliche Unschärfe könnte in der Praxis zu Problemen führen.

George Orwell

George Orwell, geboren 1903 in Indien, war ein britischer Schriftsteller und Journalist, der durch seine kritische Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Themen weltberühmt wurde. Am 21. Januar 2025 ist sein 75. Todestag.

Das bekannteste Werk von George Orwell ist zweifellos "1984", gefolgt von der allegorischen Novelle "Farm der Tiere". Beide Bücher sind als kritische Auseinandersetzungen mit totalitären Regimen und politischen Ideologien bekannt.

"Farm der Tiere", veröffentlicht 1945, verschaffte ihm beträchtliche Aufmerksamkeit und Erfolg, insbesondere durch die klare Kritik am Stalinismus. "1984" (1949 erschienen), sein letztes Werk, fand ebenfalls große Beachtung, nicht zuletzt wegen seines eindringlichen und beängstigenden Szenarios einer überwachten Gesellschaft. Bis heute gilt es als ein einflussreiches Werk, das in politischen und kulturellen Diskussionen häufig zitiert wird.

Der Inhalt von "1984" weist Parallelen zum modernen Social Scoring in China auf, da auch dort durch eine umfassende Überwachung das Verhalten der Bürger bewertet und beeinflusst wird. Während Orwells fiktive Welt durch die absolute Macht des "Großen Bruders" gekennzeichnet ist, nutzt das chinesische Social Scoring-System digitale Technologien, um soziale Konformität zu fördern und nonkonformes Verhalten zu sanktionieren.

Wirtschaftliche Implikationen: Chancen und Risiken für Unternehmen

Für Unternehmen bieten Scoring-Systeme Chancen und Risiken. Einerseits können sie helfen, Vertrauen aufzubauen und Risiken zu minimieren. Andererseits bergen sie die Gefahr von Diskriminierung und könnten zu einer Erosion der Privatsphäre führen.

Besonders mittelständische Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Vorteile solcher Systeme zu nutzen, ohne ethische Grenzen zu überschreiten. Ein Beispiel: Ein mittelständischer Online-Händler könnte durch ein Bewertungssystem das Vertrauen seiner Kunden stärken, muss aber gleichzeitig sicherstellen, dass die Daten nicht missbraucht werden.

Die Balance zwischen Effizienz und Ethik wird zur zentralen Aufgabe für Unternehmen in der digitalen Ära. Wie Axel Voss, MdEP (CDU) und Berichterstatter für die KI-Verordnung, betont: "Schufa Scoring oder Scoring sollen weiterhin erlaubt sein." Dies zeigt, dass auch in Europa bestimmte Formen des Scorings als notwendig erachtet werden.

Fazit

George Orwells Visionen haben uns für die Gefahren totalitärer Überwachung sensibilisiert.  Während China oft als Negativbeispiel dient, entwickeln sich auch im Westen subtile Formen des Social Scoring. Die Herausforderung für Unternehmen und Gesellschaft liegt darin, die Vorteile dieser Systeme zu nutzen, ohne die Grundrechte der Einzelnen zu gefährden. Nur durch eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Technologien können wir eine Balance zwischen Innovation und ethischen Prinzipien finden. Orwells Erbe mahnt uns zur Wachsamkeit - nicht nur gegenüber staatlicher Kontrolle, sondern auch gegenüber den schleichenden Veränderungen in unserer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft.

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