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Der ungehobene Schatz auf dem Hallendach

Industrieunternehmen in Deutschland zahlen je nach Branche unterschiedliche Strompreise, allesamt aber zu hoch im Vergleich mit dem Ausland.

Daher erstaunt, wie wenige Unternehmen Ihre eigenen Gebäudedächer bisher zur Stromgewinnung mittels Photovoltaik nutzen. Ein neuer Atlas vom DLR bietet einen Überblick über die Potentiale.

Der russische Angriff auf die Ukraine hat die energieintensiven Industrien in Deutschland stark belastet, was zu einem Produktionsrückgang von fast 20 Prozent seit Anfang 2022 führte. Im Fahrzeugbau zahlen deutsche Unternehmen rund 190 Euro pro Megawattstunde Strom, doppelt so viel wie ihre Konkurrenten in China und fast dreimal so viel wie in den USA. Auch im Vergleich zu Spanien haben deutsche Industrien Nachteile, etwa mit zusätzlichen Kosten von fast 60 Euro pro Megawattstunde für Autohersteller.

Photovoltaikanlagen auf den Dächern von Logistik- und Industriegebäuden bieten enormes Potenzial für die Energiewende. In Deutschland könnten diese Flächen Solarstrom erzeugen, der 36 Kernkraftwerke (je 1 GW) oder 121 Gas- bzw. Kohlekraftwerke (je 300 MW) ersetzen könnte. Trotz dieser Chancen sind derzeit weniger als zehn Prozent der Gewerbedächer mit PV-Anlagen ausgestattet. Solche Anlagen sind ab 5.000 Quadratmetern wirtschaftlich rentabel. Die geringe Nutzung liegt nicht am Desinteresse, sondern an verschiedenen Hindernissen, die schnell beseitigt werden müssen, wie das Online-Panel „PV-Potenzial von Dachflächen“ des Gewerbeimmobilienentwicklers GARBE feststellte.

Die Photovoltaik-Strategie des Bundes zielt darauf ab, bis 2030 eine Leistung von 215 Gigawatt (GW) aus Sonnenenergie zu erreichen. Derzeit kommen jährlich etwa sieben GW aus neuen PV-Anlagen hinzu, was bei weitem nicht ausreicht, um das Ziel zu erreichen. Um dies zu schaffen, müsste der jährliche Zuwachs auf rund 22 GW gesteigert werden, was etwa der Leistung von 22 Kernkraftwerken entspricht.

Eine Analyse von Garbe Industrial Real Estate zeigt, dass Deutschland über ein kommerziell nutzbares Potenzial von 362,8 Millionen Quadratmetern Dachfläche von Industrie- und Gewerbeimmobilien ab 5.000 Quadratmetern verfügt. Diese Flächen könnten über 36 Gigawatt Strom durch PV-Anlagen erzeugen. Tobias Kassner von GARBE Industrial Real Estate ist überzeugt: „Unsere Berechnungen haben ergeben, dass PV-Anlagen auf Logistik- und Industrieimmobilien weitgehend fossile Energieträger ersetzen könnten. Konkret wären das beispielsweise die Leistung von 36 hypothetischen Kernkraftwerken (1 GW) bzw. 121 Gas- bzw. Kohlekraftwerken (300 MW).“

Aktuell sind weniger als 10 Prozent der Dächer mit PV-Modulen ausgestattet, obwohl jedes Jahr 5 bis 6 Millionen Quadratmeter neue Dachflächen hinzukommen. Rund 32.500 potenzielle Logistik- und Industrieimmobilien wurden identifiziert, jedoch sind viele davon aufgrund ihres baulichen Zustands ungeeignet. Kassner hält es für erstrebenswert, 80 Prozent der Dächer nutzbar zu machen, was einer Kapazität von 29 Gigawatt bei Investitionskosten von 24,6 Milliarden Euro entsprechen würde. Rund 40 bis 50 Prozent der Dachflächen werden derzeit nicht genutzt, hauptsächlich wegen veralteter Stromverteilnetze und mangelnder Planbarkeit.

Für Bestandsimmobilien sind Alter und Zustand oft entscheidend für die Tragfähigkeit einer PV-Anlage. Aufbauten wie Lüftungsanlagen können die Installation erschweren und den Ertrag durch Schattenwurf verringern. Bei Bestandsimmobilien müssen oft erst Dachsanierungen vorgenommen werden.

In Zusammenhang mit Mietern müssen ebenfalls Vereinbarungen getroffen werden, dass die Dachfläche genutzt und der erzeugte Strom an den Mieter verkauft werden darf. In vielen Fällen wird der erzeugte Strom weitergeleitet, was die Frage nach der Einspeisung aufwirft. Ein beschleunigter Netzausbau ist dringend erforderlich, um die geplanten Kapazitäten zu erreichen und negative Marktpreise zu vermeiden.

„Um die in 2023 gebauten etwa 9.000 Megawattpeak auf die künftig geplanten 22.000 Megawattpeak pro Jahr auszuweiten, ist ein beschleunigter Netzausbau dringend erforderlich“, sagt Inka Klinger, Head of Project Finance bei der Hamburg Commercial Bank. „Wenn die Netze an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, drückt das auf die Strompreise und kann vermehrt zu negativen Marktpreisen führen.“

Um den erzeugten Strom zu attraktiven Preisen zu verkaufen, sind „Power Purchase Agreements“ (PPAs) das Mittel der Wahl. In Deutschland waren PPAs bis 2021 nicht notwendig, da die Finanzierung Erneuerbarer Energien durch das Marktprämienmodell und die Einspeisevergütung gesichert war. Seit 2021 fallen jedoch erste Bestandsanlagen aus der EEG-Förderung heraus. Für diese Anlagen bieten PPAs eine Möglichkeit, die Anschlussfinanzierung und den Weiterbetrieb über die EEG-Förderdauer hinaus sicherzustellen. Mit abnehmender EEG-Unterstützung und zunehmender Wettbewerbsfähigkeit Erneuerbarer Energien wird es sinnvoll, dass auch neue Anlagen in Deutschland mithilfe von PPAs finanziert werden.

Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen können PPAs entweder direkt mit einem verbrauchenden Unternehmen abschließen („Corporate PPA“) oder mit einem Stromhändler („Merchant PPA“), der den Strom weiterverkauft oder an der Börse vermarktet. Viele internationale Konzerne nutzen PPAs für stabile, kalkulierbare Strompreise und ein nachhaltiges Image. Besonders für Anlagen mit hohen Investitions- und niedrigen Betriebskosten wie PV- und Windenergieanlagen sind PPAs attraktiv, da sie das Strompreisrisiko mindern und die Finanzierungssicherheit erhöhen.

Um herauszufinden, ob die eigene Gewerbeimmobilie als Standort für eine PV-Anlage geeignet ist, bietet sich der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt neu entwickelte Solaratlas an.

Mithilfe von Luftbildern und Geodaten haben Forschende das Potenzial für Solarenergie auf rund 20 Millionen Gebäuden in Deutschland ermittelt. Diese Daten sind auf eosolar.dlr.de zugänglich.

Der Solaratlas, vorgestellt bei der ILA 2024 in Berlin, basiert auf der Auswertung mehrerer Terabyte an Daten, darunter hochauflösende Luftbilder und Oberflächenmodelle. „Die satellitengestützten Informationen unterstützen die Energiewende und sind ein Treiber für innovative Produkte und Geschäftsmodelle“, so Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla, Vorstandsvorsitzende des DLR.

Im Projekt EO Solar nutzt das DLR Methoden des maschinellen Lernens, um weltweit Dächer mit Solarpaneelen zu identifizieren und das Solarenergie-Potenzial zu berechnen. „Wir berechnen die mögliche elektrische Leistung anhand der Sonnenstunden, der Strahlungsintensität, der Dachausrichtung und der Verschattung durch benachbarte Gebäude oder Vegetation“, erklärt Dr. Annekatrin Metz-Marconcini, Leiterin des Projekts EO Solar.

Die Modelle berücksichtigen Verschattungen durch Bäume und Gelände und können auch in Ländern ohne Gebäudemodelle verwendet werden. Der DLR-Solaratlas bietet eine detaillierte und aktuelle Darstellung des Solarenergie-Potenzials in Deutschland und dient politischen Entscheidungsträgern und Planern als Grundlage, um den Ausbau von Solaranlagen gezielt zu fördern.

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