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Technologie > Robco: Innovative Roboter-Automatisierung für den Mittelstand

Von Baukastenrobotern und Maschinen-Esperanto

2014 wurde Industrie 4.0 ausgerufen. Zehn Jahre später deutet sich eine noch größere Revolution an, von der endlich auch kleinere Fabriken profitieren könnten.

Robco-Gründer Roman Hölzl bietet eine Art Baukastenroboter an.

Roman Hölzl ist einer, der dem Industriestandort Deutschland Hoffnung macht. Ein Schrauber seit seiner Jugend. Seine Eltern hatten im bayerischen Neuburg an der Donau eine Werkstatt in der Firma, Audi in Ingolstadt lag nah. „Bei mir ging es irgendwie immer um Industrie, um Fertigung und Produktion, und das hat sich dann auch durch mein gesamtes Studium gezogen“, sagt Hölzl im Gespräch mit Markt und Mittelstand. Er hat drei Abschlüsse: je einen Bachelor und Master in Engineering und ein Honors Degree in Technologiemanagement. Eine beeindruckende Menge theoretischen Wissens, erlangt etwa bei Forschungsaufenthalten in Boston und in Sydney, doch auch die Praxis war stets präsent – nicht zuletzt bei Praktika für BMW und Siemens. Ein paar Zufälle und gute Ideen später startete er 2020 mit zwei Mitgründern Robco. Heute ist Hölzl Mitglied in der renommierten Liste der „30 under 30“ des US-Magazins Forbes für Manufacturing and Industry.

Das Unternehmen bietet eine Art Baukasten für Industrieroboter, um auch kleinen und mittelgroßen Betrieben eine maximale Automatisierung zu ermöglichen. Offiziell heißt das „End-to-End-Roboter-Automatisierungslösung“ für mittelständische Produktionsprozesse. Der Clou ist, wie das Unternehmen Software und Hardware verbindet. Weil jeder Roboter einen digitalen Zwilling hat, kann er auch völlig ortsunabhängig, also entfernt von der Fabrik, konfiguriert werden –
ohne große Programmierkenntnisse.

Robco macht im Grunde Lego für Robotik. Es gibt keine Standardroboter, sondern Einzelteile, die sich zu einem zusammenbauen lassen. „Wir sprechen eigentlich nicht von einzelnen Roboterarmen, sondern von Robotermodulen“, sagt Hölzl. Gibt es in einer Produktionshalle keine Lasermaschine oder Palettieranwendung, wird einfach ein Modell davon erstellt und dann festgelegt, welcher Roboter für die entsprechende Anwendung passt. Zusätzlich zur Hardware bietet das Unternehmen auch die optimale Softwareauswahl. „Wir lesen die Daten der Einzelmodule, etwa kinematische oder dynamische Informationen, Massenträgheitsmomente, Gewichte, Maße und viele mehr, einfach aus und fügen all diese Erkenntnisse zu einem Gesamtmodell zusammen.“

Gigantische Marktlücke

Die Automatisierungsplattform des Unternehmens ist eine Kombination aus Baukastenrobotern und einer starken Software. Weil jeder Arm aus einzelnen Modulen besteht, ist die Lösung sehr flexibel. „Wir können verschiedene Größen, Tragkräfte und weitere Spezifika so zusammenstellen, dass es einfach passt. Durch die richtige Verbindung mit dem eingesetzten ERP-System haben wir einen klaren Blick auf den Produktionsprozess und sind dabei erschwinglicher als klassische Lösungen.“ Zudem seien keine sechs bis neun Monate nötig, bis alles installiert sei und die Beschäftigten geschult seien. Robco spricht von wenigen Wochen.

Für solche Konzepte wurde das Wort Marktlücke erfunden: „Diese Lücke ist gigantisch. Gerade im Segment bis 1000 Beschäftigte sind über 90 Prozent der Tätigkeiten in der Regel noch nicht automatisiert“, sagt Hölzl. Bisher war es zu teuer, diese Prozesse zu automatisieren, weil Varianz und Komplexität zu hoch waren, die Roboter zu standardisiert. „Das ist genau der Schritt, den wir machen: Weg von den großen Konzernen mit ihren aus Millionen Teilen bestehenden Automatisierungslinien und hin zu den kleineren mittelständischen Betrieben.“ Künstliche Intelligenz wird die Roboter noch besser machen – etwa Sensoren und Greifer.

Das Potenzial ist riesig. Die Industrie trägt dem Statistischen Bundesamt zufolge rund 20 Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei. Rund 15 Millionen Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt an der Branche. Es gibt rund 100.000 Fabriken unterschiedlicher Größe. Die modernsten Anlagen der Welt stehen in Deutschland – voll digital und automatisiert, aber auch sehr viele veraltete. Dabei sollte der große Schub längst da sein. Vor zehn Jahren erklang auf der Hannover Messe erstmals das Schlagwort Industrie 4.0: Die Branche hoffte darauf, Maschinen zu digitalisieren und so deutlich produktiver zu werden. Doch viele Möglichkeiten wurden nicht erschlossen. Es mag Maschinen- und Produktionsdaten in nie dagewesener Menge geben, aber die Unternehmen machen zu wenig draus – so das harte Urteil der allermeisten Fachleute.

Daten, Daten, Daten

Heute elektrisieren Ideen rund um künstliche Intelligenz und Robotik mindestens genauso wie vor zehn Jahren Industrie 4.0. Die Grundlage aller Träume: Manufacturing-X – viele Unternehmen liefern ihre Daten in eine sichere Umgebung nach europäischem Standard. Und sie werden gemeinsam ausgewertet, die Ergebnisse können alle nutzen. Das Konzept soll gerade den Mittelstand beruhigen. Denn die Daten, die die Maschinen erzeugen, sind von sehr hohem Wert. Auf so etwas passt gerade der Mittelstand ganz genau auf und setzt lieber auf eigene Systeme. Der Verband der Digital- und Elektroindustrie kritisiert nicht zu Unrecht, dass weggeschlossene Daten nutzlos sind. Die Lösung liegt also in sicheren Lösungen, denen alle Teilnehmer vertrauen. Manufacturing-X könnte dieses Dilemma lösen.

Dass die Zeit drängt, haben auf der Hannover Messe auch die Letzten begriffen. Das Wort „Zeitenwende“ hallte durch die Gänge. Konzerne wie Bosch, SAP und Siemens bauen seit 2019 eine Art eigenes Industrie-Internet auf. Sie waren die wesentlichen Treiber von Gaia-X, einem europäischen Gemeinschaftsprojekt als Basis für Standards und Schnittstellen einer eigenen industriellen Dateninfrastruktur. Sie schufen praktisch ein Esperanto für Maschinen, eine einheitliche Sprache, dank der jedes Gerät das andere versteht. Darauf setzt seit 2022 Manufacturing-X auf. Die Automobilhersteller machten als Erste mit und schufen ihre Unterabteilung Catena-X.

All diese Vorarbeit lässt hoffen. Ein weiterer Teil der Zeitenwende bezieht sich auf humanoide Roboter. Telegene Beispiele gibt es seit Jahren, aber in Fabrikhallen spielten diese menschenähnlichen Gebilde bisher praktisch keine Rolle, was sich dank der Fortschritte bei Sensorik und dem Einsatz von KI bald ändern könnte. Verbände sprechen von einem Hype, obwohl es bisher kaum mehr als Tests gibt – wieder vor allem bei Autobauern. Aber messbar ist, dass erhebliche Mengen Geld in den Sektor fließen. Vor allem in Europa und den USA fehlt es an Personal auf allen Ebenen, da überlässt man das Kistenschleppen gern einem Roboter.

Die Unternehmensberatung Horváth hat in einer Studie ermittelt, dass wohl bereits 2025 menschenähnliche Roboter für den industriellen Einsatz in Serie produziert werden, ob in hinreichend großer Stückzahl, ist unklar. Knapp 50.000 Euro dürften die neuen Helfer von 2030 an im Schnitt kosten, sagt die Studie. Bis dahin liegen die Preise eher bei 80.000 Euro pro Stück. Die Autobranche dürfte wegen ihres bereits bestehenden hohen Automatisierungsgrades als Erstes zugreifen. Sie hat die geringsten Berührungsängste.

2030 dürfte es sogar humanoide Roboter geben, die mehr Feinmotorik zeigen als ein Mensch, glauben Experten. Doch im Hier und Jetzt stehen zunächst einmal die kollaborierenden Roboter, kurz Cobots, eine Art Arbeitshelfer, und klassische Industrieroboter im Fokus. Fachleute warnen gerade die mittelständische Industrie davor, jedem Hype aufzusitzen. Nicht alles könne man gebrauchen. Manchmal liegen die Lösungen eines Start-ups aus der Nähe von München näher als die Idee aus dem Silicon Valley. Wie im Fall von Robco.

Riesiges Potenzial

70 Prozent der Robco-Kunden haben zum ersten Mal Teile der Produktion automatisiert. Da lässt sich leicht vorstellen, welche Produktivitätsfortschritte im Hochtechnologieland Deutschland schlummern. Das geht nicht zulasten der Belegschaft, denn viele Unternehmen finden kaum Personal. Für Hölzl und sein Team besteht die Mission deshalb auch darin, dem Fachkräftemangel mit Robotik zu begegnen. Zusätzlich liefert das Unternehmen aus München eine Lösung für ein Problem, das sich während der Corona-Krise mit all ihren unterbrochenen Lieferketten offenbart hat: Viele Betriebe wollen ihre einst verlagerte Produktion wieder nach Deutschland holen, die hohen Personalkosten – falls man überhaupt gute Leute bekommt – machen den Plan schwer bis unmöglich.

Robco zeigt auch, dass herausragende deutsche Forschung sich erfolgreich am Markt etablieren kann. Oft hapert es da. Das Beispiel MP3 ist hierbei immer noch prägend. Die Komprimierungstechnik für Sprache und Ton stammt aus Deutschland, groß gemacht haben sie andere. Im industriellen Bereich gab es immer wieder Rückschläge, etwa die Insolvenz des Robotik-Start-ups Franka Emika. Die drei Gründer von Robco haben an der TU München studiert, setzen auf Ergebnisse jahrelanger Forschung. Investoren vertrauen ihnen, bereits die ersten Finanzierungsrunden liefen gut. Größen wie Sequoia Capital, Kindred Capital und Promus Ventures gaben Geld. Im ersten Quartal hat nun auch noch Lightspeed rund 40 Millionen Euro Risikokapital investiert. Robco wird deshalb längst mit einem dreistelligen Millionenbetrag bewertet.

„Der Anspruch besteht darin, dass unsere Lösung 99,9 Prozent der Zeit funktioniert. Ansonsten können wir keinen Kunden überzeugen“, sagt Hölzl und wählt ein Bild aus einer anderen Branche. „KI-generierte Videos, in denen Katzen auf einmal nur noch drei Beine haben, können wir uns nicht leisten.“ Es gehe darum, die komplexe Software und Hardware zu verbinden – mit Patenten, mit Zertifizierung, mit Echtzeitanforderungen.

Auch wenn das Unternehmen in Deutschland sitzt, möchte sich Robco zum „weltweit führenden Spieler“ für Roboterautomatisierung im mittelständischen Segment entwickeln. Hauptziele sind Europa und die USA. „Es ist jetzt an der Zeit, schrittweise zu expandieren“, sagt Hölzl. Bisher liefert Robco in zehn Länder. Im Ausland helfe es dabei schon, wenn mittelständische Firmen mit Sitz in Deutschland dem jungen Unternehmen das Vertrauen schenkten, sagt der Gründer. Das Wachstum geht von nah nach fern, gerade sind Italien, Österreich, Schweiz, Benelux und die Slowakei spannend, wie Hölzl es ausdrückt. „Dort ziehen die Vorteile unseres Systems im Endeffekt genauso gut wie in Deutschland.“

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