Was die Elektromobilität für die Zulieferer bedeutet
Das Ende einer Epoche ist nah: Der Verkehr soll elektrisch werden. Die Folgen treffen alle, die an gewohnten Arbeitsweisen hängenbleiben. Auch die mittelständischen Zulieferunternehmen wird die Elektromobilität verändern.
Alpha und Omega – die Apokalypse nimmt ihren Lauf. Doch bei dieser Offenbarung stürzt kein Feuer vom Himmel, öffnen sich nicht die Abgründe der Hölle, sondern sie kommt quasi unhörbar auf Gummipfoten. Ihre ersten Vorboten sind schon unter uns. Die knapp 200.000 beim Kraftfahrtbundesamt gemeldeten elektrisch und hybrid angetriebenen E-Autos bewegen sich leise durch die Straßen, und ihre Motoren surren das Lied vom Tod der Verbrennungsmotoren und allem, was an diesen hängt.Und das ist nicht wenig. Neben den Motoren sind auch auf deren Technik abgestimmte Komponenten betroffen – von Powertrain und Fahrwerk über Elektrik und Elektronik bis hin zu Interieur und Exterieur.
Außerdem erwischt es einen großen Wirtschaftszweig: Bis zu vier Fünftel der verbauten Teile eines Automobils mit Verbrennungsantrieb stammen aus der Fertigung mittelständischer Unternehmen. Sie machen mit 83 Prozent den Löwenanteil unter allen Zulieferunternehmen der deutschen Automobilindustrie aus. Diese Zahlen nennt die Studie „Welche KMU-Automobilzulieferer schaffen den Strukturwandel, welche nicht?“, die von der Unternehmensberatung Struktur Management Partner (SMP) und dem Institut für Automobilwirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen erstellt wurde.
Gerade Unternehmen, die sich zu sehr auf vergangene Erfolge verlassen, können schneller, als ihnen recht ist, in arge Bedrängnis geraten: Sollte der Anteil von Dieselzulassungen in Deutschland weiter zurückgehen, dürften nach Analyse des Kreditversicherers Atradius schon bald etliche Komponenten- und Einzelteileanbieter für Verbrennungsmotoren wirtschaftliche Probleme bekommen. Betroffen seien vor allem kleine und mittlere Zulieferer für Dieselfahrzeuge, deren Kernprodukte zum Beispiel bei Einspritzanlagen, Filtersystemen, Antriebswellen, Abgasanlagen oder Getrieben zum Einsatz kommen. „Zahlungsprobleme können im schlimmsten Fall bereits innerhalb von zwei Quartalen eintreten“, sagt Michael Karrenberg, der als Regionaldirektor bei Atradius neben Deutschland auch Nord- und Osteuropa sowie die GUS-Länder im Blick hat.
Es geht um alles
Für die Zulieferindustrie der deutschen Automobilhersteller herrscht Alarmstufe Rot. Nicht so sehr wegen der hausgemachten Skandale ihrer Auftraggeber bei den Emissionsmessungen, sondern weit schlimmer wegen der radikalen Transformation, die alles bisher Gängige mit einem Streich hinwegfegt. „Vor allem reduziert sich die Komplexität drastisch – um etwa den Faktor zehn“, sagt Bernhard Hagemann, VDMA Fachverband Antriebstechnik. „Überspitzt ausgedrückt, werden für den Bau des Antriebs eines Elektroautos nur noch 200 statt der bisher üblichen 2.000 Teile benötigt.“ Der Experte für elektrische Antriebe beobachtet, dass die mittelständischen Zulieferunternehmen ein wichtiges Potential außer acht lassen. E-Mobilität ist hierzulande kaum wahrnehmbar.
Aber: „Seit zwei Jahren setzt eine rasende Entwicklung ein. Mittlerweile besteht kein Zweifel mehr, dass die Elektromobilität kommt“, sagt Hagemann. Die spannende Frage für Zulieferer ist doch, wann, wo und wie sich die Stückzahlen entwickeln. Klimaschutzziele sind nicht alleine mit dem Auto erreichbar. Richtig sei es, auf die Verbesserung des Antriebsstrangs durch die Elektrifizierung zu setzen. Zugleich, so moniert Hagemann, blieben aber wichtige strategische Felder unbesetzt: „In Deutschland will keiner so recht in die Batteriezellproduktion investieren.“
Vollmundige Prognosen
Vielleicht hat das auch mit den vagen politischen Vorgaben zu tun. In seiner Studie „Batteriezellproduktion in Deutschland ‒ Chancen für den Maschinen- und Anlagenbau“ schreibt der VDMA: „Allein die von der Bundesregierung anvisierte Zahl von einer Million Elektroautos bis 2020 in Deutschland würde die heutige Weltproduktion für Batteriezellen für über ein Jahr voll auslasten.“ In der Tat: Der Batteriemarkt bietet für mittelständische produzierende Unternehmen gewinnversprechende Möglichkeiten. Internationale Konzerne wie Daimler oder Tesla machen es bereits vor. Sie setzen mit großen Fertigungskapazitäten auf künftige Erträge aus dem Batteriegeschäft. Denn nicht nur E-Autos sind im Visier, sondern auch stationäre Speicher in Privathaushalten oder bei Energieversorgern, mit denen Netzschwankungen ausgeglichen oder Stromspitzen abgepuffert werden könnten.
Die mittelständisch geprägten deutschen Maschinen- und Anlagenbauer hätten durchaus das Zeug dazu, durch Kooperationen innovative Prozessketten wie in der Photovoltaik- und Solarindustrie aufzubauen. „Das kann auch in der Batteriezellproduktion gelingen“, geben sich die Autoren der VDMA-Studie optimistisch. Doch zugleich kritisieren sie: „Besonders Maschinen- und Anlagenbauer mit einem Umsatz von unter 10 Millionen Euro pro Jahr haben dieses erhebliche Wachstumspotential noch nicht genutzt. Ein Grund dafür ist, dass kleine Maschinen- und Anlagenbauer weniger international aufgestellt sind als große Unternehmen.“ Umgekehrt ist die Globalisierung ein Faktor, der die Automobilzulieferer in ihrer Entscheidungsfreiheit und an den wichtigsten Kunden bindet. Denn wer den engen Kontakt zu seinem wichtigsten Kunden halten will, muss ihm überall auf der Welt hin folgen. Neben solchen Zwangsverpflichtungen bestimmte bislang die Macht der Gewohnheit die Geschäfte zwischen dem Autokonzern als dem Original Equipment Manufacturer (OEM) und seinen Zulieferern.
Einträchtige Partnerschaft
Diese taten oft nichts anderes, als sich bis zur perfektionistischen Selbstaufgabe nach den Anforderungen ihrer Auftraggeber zu richten. In diese einträchtige Partnerschaft, die allenfalls von zermürbenden Kleinkriegen um den besten Preis getrübt wurde, griff plötzlich ein arglistiger Widersacher – nämlich die EU – von außen ein. Im Namen der Umwelt stand von heute auf morgen alles, was gestern noch als gut galt, als Gesundheitsschädling unter Generalverdacht. Besonders verpönt: die Abgase der Fahrzeugantriebe mit Verbrennungsmotoren. Doch die Forderung der EU nach einer Senkung der Kohlendioxidemissionen von 130 g/km auf 95 g/km im Jahr 2021 ist mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren allein nicht zu schaffen. Dazu werden alternative Antriebstechnologien mit geringen oder ohne Emissionen wie Plug-in-Hybride oder reine Elektromotoren benötigt.
Damit beginnt für die Zulieferbetriebe die Jagd nach völlig neuen Geschäftskonzepten. Denn fest steht, dass beispielsweise die Hersteller für Abgasreinigungslagen, Auspuffrohre oder Kunststofftanks auf Dauer mit heftigen Einbrüchen in ihrem angestammten Geschäft rechnen müssen. Dass ein spezialisierter Anbieter von heute auf morgen von hundert auf null Umsatz eingebremst wird, steht zwar nicht zu befürchten. Aber Unternehmen, die im Bereich Motor und Aggregate unterwegs sind, dürften schon bald das Totenglöckchen klingeln hören. Bis zum Jahr 2030, so die Prognose der KMU-Studie von SMP, soll der Anteil der Verbrennungsmotoren bei Antriebssystemen weltweit noch 60 Prozent betragen, Hybrid werde ein Drittel ausmachen, und die elektrischen Antriebe kämen auf 10 Prozent.
Offene Baustellen
Mit Blick auf die weltweite Entwicklung mahnt Thomas Böhm, Öffentlichkeitsmanager des Verbandes der Internationalen Kraftfahrzeughersteller (VDIK), zu Bedacht: „Der Verbrennungsmotor wird auf absehbare Zeit eine wichtige Rolle spielen, das gilt auch für den Diesel.“ Er werde jedoch in Verbindung mit Erdgas, Flüssiggas, klimaneutralen Kraftstoffen und einer zunehmenden Elektrifizierung des Antriebsstrangs noch deutlich in seiner Effizienz verbessert werden.
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Doch nicht nur die Antriebe allein bereiten den Zulieferunternehmen strategisches Kopfzerbrechen. Auch klassische Themen wie der Leichtbau gewinnen durch die Diskussion um Elektromobilität neuen Anschub. Denn die schweren Batterien eines E-Autos erhöhen das Gesamtgewicht des Fahrzeugs. Daher muss an anderer Stelle gespart werden. Das eröffnet Geschäftschancen, da zeigen sich die vom Automobilbau abhängigen Unternehmen recht zuversichtlich. So sind beispielsweise nach der Umfrage „Die Automotive-Industrie in Südwestfalen“, für die die IHK Südwestfalen die Zulieferer zwischen Ennepe-Ruhr-Kreis und dem Hochsauerlandkreis befragt hat, 42 Prozent der Unternehmen der Überzeugung, dass Leichtbau keine negativen Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit habe und durch eigene Entwicklungsaktivitäten zu stemmen sei.
Gut aufgestellt
Mehr als ein Drittel erwartet neue Absatzchancen, und jedes fünfte Unternehmen gesteht besonnen ein, sich auf die Verdrängung bisheriger Produkte einstellen und damit leben zu müssen. Gelassen geben sich die Unternehmen der Auto-Region auch mit Blick auf die Risiken von Elektromobilität und Hybridtechnologie. 42 Prozent sehen vor allem bei der Hybrid-Technologie Chancen fürs Geschäft; bei der Elektromobilität glauben 36 Prozent, dass ihnen die Entwicklung in die Hände spielt. Als wirklich bedrohlich wird der Trend zu Stromautos von den wenigsten betrachtet. Kein Wunder, sind doch in dem Landstrich zahlreiche Firmen unterwegs, die sich auf Fahrzeugbeleuchtung und Elektronik spezialisiert haben. Beides sind Technologien, die unabhängig von der Antriebsart in jedem Fahrzeug benötigt werden.
Ebenfalls wenig Sorgen um die Zukunft ihres Geschäftsmodells machen sich die Experten bei dem Anbieter von Lager- und Bewegungstechnik Rollax. Nach einer Analyse des Produktportfolios kamen die Manager bei Rollax zu dem Ergebnis, dass sich ihre 20-prozentige Abhängigkeit von der Technologie der Verbrennungsmotoren durch neue Konzepte verringern lasse. „Welche neuen Aggregate brauchen wir bei der E-Mobilität – was fällt weg und welche Komponenten passen auch in den E-Motor?“, stellt Lars Beyer, Leiter Vertrieb und Marketing bei Rollax, die strategischen Unternehmensfragen.
Positionierung des Zulieferers wird wichtiger
Rollax stellt unter anderem Federbeinlager her, die im Automobilbau zum Bereich Powertrain zählen. Weil diese Komponenten als Teil des Dämpfungssystems der Vorderachse das exakte Lenken ermöglichen, werden sie auch bei Hybrid oder E-Mobilen benötigt.
Dabei muss das möglichst leichtgewichtige Bauteil während der Fahrt das mehrfache Gewicht des Fahrzeugs aushalten, dauerhaft leichtgängig sein und darf keine Geräusche verursachen. Zudem kann selbst ein so klassisches Produkt in seinen mechanischen Eigenschaften weiterentwickelt werden. Er ist sich sicher: „Trotz E-Mobilität wird es Federbeinlager auch weiterhin geben.“ Für sein Unternehmen sieht er in der Zulieferkette in der zweiten Reihe (als sogenannter Tier-2) einen sicheren Platz.
Die Positionierung des Zulieferers gegenüber dem OEM wird zunehmend wichtiger. Für den Marktexperten SMP bieten die Veränderungen im Bereich Powertrain eine Chance „für KMU-Zulieferer, im Fahrwerksbereich Systempartner des OEM zu werden“. Das sei allerdings mit „hohen Anforderungen an das Management verbunden“, was die strategische Neupositionierung und die Anpassung der Strukturen und Prozesse betreffe.
Bedarf nach Restaurierung
Vor den Umwälzungen im Bereich Powertrain sind auch große Unternehmen nicht geschützt. So muss sich das Zulieferunternehmen Robert Bosch in Stuttgart organisatorisch umbauen, um mit dem neuen Bereich für Elektromobilität fit für die Zukunft zu sein. „Diese Einheit wird Teil des neuen Geschäftsbereichs Powertrain Solutions. Darin sollen 2018 neben dem Bereich Elektromobilität die heutigen Geschäftsbereiche Gasoline Systems und Diesel Systems zusammengefasst werden“, meldet Konzernsprecher Florian Flaig. In dieser Konstellation sollen neben Einzelkomponenten auch komplette Systemlösungen angeboten werden.
Womöglich geht es im Markt für E-Mobilität künftig nur noch um große Stückzahlen. Das birgt für Zulieferer zweierlei Gefahren: So ist nach Ansicht der Experten von SMP zu erwarten, dass es bei Getrieben und Achsen keine nennenswerten Steigerungsraten mehr gebe. Darüber hinaus werde der Preisdruck womöglich sogar deutlich zunehmen, weil vermehrt Low-Cost-Anbieter auf den Markt drängen würden.
Gefahr aus der virtuellen Welt
Eine dritte Gefahr droht den traditionellen Automobilzuliefern schließlich aus der virtuellen Welt: bei der Entwicklung zum autonomen Fahren. Denn bei den Assistenzsystemen sind nicht nur innovative Technologien aus der Informationsverarbeitung und Sensorik gefragt. Auch völlig neue, bis dato unbekannte und branchenfremde Wettbewerber dürften in diesem Bereich auftreten und ihre Expertise gewinnbringend ausspielen. Dann müssen sich Firmen, die ihren Ursprung womöglich in einer Gesenkschmiede hatten, gegen die Digitalstrategen der weltweit agierenden Cyberkonzerne wie Google oder Apple behaupten.
Doch auf das Selbstverständnis der mittelständischen Unternehmen ist nach Überzeugung von Kurt Sigl Verlass. Der Präsident des Bundesverbandes E-Mobilität betont: „Die Zulieferunternehmen haben erkannt, wo es lang- geht, und positionieren sich neu. Die Innovationen kommen aus dem Mittelstand.“
Alternative Antriebe im Fuhrpark
Geschäftskunden machen sich keine Sorgen
- Was nun: Wohin die Reise wirklich geht, weiß – zumindest im Moment – keiner so genau. Doch fest steht, business as usual wird nicht mehr lange funktionieren. Das aber berührt die Firmenkunden der Autokonzerne bisher noch wenig.
- Stillhalten: Die Fuhrparkverantwortlichen beobachten derzeit, was sie wie entwickelt, und warten ab. „Der Dieselantrieb ist nach wie vor die kostengünstigste Alternative. Flottenmanager entscheiden immer noch nach wirtschaftlichen Kriterien. Entscheidungen zu Gunsten anderer, alternativer Antriebsarten dürften vor diesem Hintergrund eher die Seltenheit sein.“ sagt Katharina Schmidt, Head of Consulting & Corporate Vehicle Observatory (CVO) bei Arval Deutschland.
- Änderung in Zukunft: Allerdings ist die Expertin der Überzeugung, dass sich „in fünf bis zehn Jahren viel tun wird.“ Vorstellbar sei ein Mix in den kommenden Jahren. Alternative Antriebe könnten dabei dann eine stärkere Rolle spielen. Dieser Trend lässt sich auch aus dem aktuellen CVO Fuhrpark-Barometer 2017 ableiten. Die Entscheidung, welche alternativen Technologien in Frage kommen, hängt von den Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Unternehmen ab. Aber: „Für längere Strecken dürfte der Diesel der Antrieb der Wahl bleiben“, ist Schmidt überzeugt.