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Energie & Rohstoffe > Wasserstoffstrategie > Regionale Kooperationen

Wasserstoff-Hochlauf: Wie Mittelstand und Stadtwerke gemeinsam die Energiewende schaffen

Wasserstoff gilt als Schlüssel zur Dekarbonisierung – Stadtwerke, Industrie und Forschung setzen auf regionale Allianzen und praktikable Lösungen.

Gruppenbild der Gesprächsrunde
Dem Wasserstoff verbunden: Béatrice Angleys, Leiterin der Thüga-H2-Plattform (v. r.), Jörg Falkenberg, Standortleiter bei Evonik in Rheinfelden, Katharina Eisl, Geschäftsführerin des Stahlwerks Annahütte, Marcus Böske, Sprecher der Geschäftsführung von Energie Südbayern, Julie Bürkle-Weiss, Geschäftsführerin Technik von Badenova-Netze, Wirtschaftsweise Veronika Grimm und Thorsten Giersch, Chefredakteur Markt und Mittelstand. (Foto: Weimer Media Group)

von Thorsten Giersch

Die Energiewende ist in vollem Gange. Doch die Bewährungsprobe steht noch bevor: die Dekarbonisierung von Millionen Unternehmen aus Industrie und Mittelstand. Und deshalb sind Gesprächsrunden wie die auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee so wertvoll. Dort diskutierten Unternehmen, regionale Energieversorger und Wissenschaftler über die Frage, wie die Dekarbonisierung von Industrie und Mittelstand im Schulterschluss mit Stadtwerken gelingen kann.

Thüga hatte eingeladen und es geschafft, Wissenschaft, Energieversorger und Unternehmen aus Industrie und Mittelstand an einen Tisch zu holen. Das Dilemma, in dem sich viele Unternehmen befinden: Nicht alle Produktionsprozesse können elektrifiziert werden. Vor allem bei Hochtemperaturprozessen oder an Standorten, an denen sehr viel Energie benötigt wird, lautet die einzige Alternative zu Erdgas Wasserstoff. Auch für die unmittelbare stoffliche Nutzung muss künftig treibhausgasarm erzeugter oder grüner Wasserstoff verfügbar sein, etwa in der Chemiebranche. Aber grüner Wasserstoff ist teuer. Noch zumindest.

Mit Katharina Eisl, Geschäftsführerin des Stahlwerks Annahütte, und Jörg Falkenberg, Standortleiter bei Evonik in Rheinfelden, waren zwei Unternehmensvertreter anwesend, die künftig auf grünen Wasserstoff als Dekarbonisierungsoption setzen wollen. Der Druck, klimaneutral zu werden, ist groß, ebenso wie die wirtschaftlichen Risiken. Denn ein Stahlwerk muss steigende Kosten an seine Kunden weiterleiten. Doch wer zahlt am Ende für die grünen Produkte? Eisl vom Stahlwerk Annahütte beschrieb ihre Lage wie folgt: „Die Frage bei den Produktionskosten ist: Bleibe ich wettbewerbsfähig für meine Produkte? Und ist die Versorgung mit grünem Strom in unserer Region da, um auch wirklich grünen Wasserstoff erzeugen zu können?“

Falkenberg betonte: „Die aktuelle Herausforderung ist, dass die Förderkulisse noch so unklar ist, dass die Akteure im Moment keine gute Wirtschaftlichkeitsrechnung für ihre Investitionsentscheidung abbilden können.“ Der Evonik-Manager zog den Vergleich mit einem Schwesterprojekt in den Niederlanden, das er auch gerne so an seinem Standort in Rheinfelden realisieren würde. „In den Niederlanden sieht die Situation viel besser aus. Da haben wir einen Partner gefunden, um einen Elektrolyseur zu bauen. Mit der dortigen Förderkulisse liegen die Wasserstoffpreise pro Kilogramm auf einem Niveau, bei dem wir sagen: Das können wir gut darstellen, das kriegen wir auch gut verkauft.“

Und nun kommen die kommunalen Energieversorger und Stadtwerke ins Spiel. Niemand kennt die Gegebenheiten, Energiebedarfe, Potenziale und auch Kundenbedürfnisse vor Ort so gut, wie sie. Im Idealfall könnten Stadtwerke selbst in die Produktion von grünem Wasserstoff einsteigen und so eine regionale Wertschöpfungskette aufbauen. Damit dies gelingt, braucht es den Schulterschluss mit den Unternehmen in der Region. Denn: „Kein Ökosystem ohne Abnehmer – idealerweise mit konstantem Bedarf und langfristigem Planungshorizont“, sagte Béatrice Angleys, Leiterin der Thüga-H2-Plattform. „Es braucht nun dringend ein abgestimmtes Vorgehen von Energieversorgern und den Unternehmen vor Ort. Mit konkreten Umsetzungsprojekten.“

Wie dies gelingen kann, erläuterten Julie Bürkle-Weiss, Geschäftsführerin Technik von Badenova-Netze, und Marcus Böske, Sprecher der Geschäftsführung von Energie Südbayern.

Beide Unternehmen treiben den Wasserstoffhochlauf in ihrer Region mit Nachdruck voran. Bürkle-Weiss sagte : „Wir brauchen Planungssicherheit, also einen klaren Rahmen, und zwar nicht nur bei den Fernleitungsnetzbetreibern, sondern auch bei den Verteilnetzbetreibern.“ Sie macht den Unterschied deutlich, da es Nachholbedarf seitens der Politik gebe. Badenova-Netze will einen Großteil der Industriekunden perspektivisch mit Wasserstoff versorgen. Sie fügte jedoch hinzu: „Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass wir in Deutschland vor allem in der Hochlaufphase mehr das Gesamtsystem im Blick haben, von der Erzeugung bis zu den jeweiligen Abnehmern.“ Die gesamte Wertschöpfungsstufe gehöre gefördert, einschließlich eines wirtschaftlichen Rahmens: „Nur durch lokale Elektrolyse in Deutschland können wir auch in der Hochlaufphase das Kernnetz wirksam machen und damit letztlich den Wirtschaftsstandort und unsere Industrie sichern“, sagte Bürkle-Weiss.

Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass wir in Deutschland vor allem in der Hochlaufphase mehr das Gesamtsystem im Blick haben.

Julie Bürkle-Weiss, Badenova-Netze

Gleiches gilt in der bayerischen Region. Die großen Erdgas-Kunden von Energie Südbayern sind im Durchschnitt mehr als 16 Kilometer vom H2-Kernnetz entfernt. Es sei daher wichtig, das Kernnetz in die Verteilnetze hinein fortzusetzen. Gleichzeitig brauche es den Aufbau einer dezentralen Erzeugung vor Ort, sagte Böske. Er formulierte drei Wünsche für den Wasserstoffhochlauf:

  • „Zum einen das Wissen darum, dass man ein Erdgasnetz in ein Wasserstoffnetz transformieren kann, also dass man es nicht neu bauen muss.“ Dies müsse sich auch in den Gesetzen und Verordnungen widerspiegeln.
  • Zum anderen nannte er im Rahmen der Grüngasquote eine verpflichtende Beimischung von dekarbonisierten Gasen zu den Erdgasprodukten, die wir heute haben. „In der Anfangsphase ist das eine gute Möglichkeit, die Absatzseite zu stimulieren.“
  • Und drittens die bilanzielle Belieferung von Kunden am Ende eines Netzes. „Also solche Kunden, die heute schon Wasserstoff brauchen, obwohl das netztechnisch aber erst in ein paar Jahren möglich ist. Diese Kunden müssen auch heute schon in der Lage sein, Wasserstoff bilanziell zugeordnet zu bekommen“, erklärte Böske.

Wissenschaftlich ordnete Veronika Grimm. Die Professorin für Energiesysteme und Marktdesign ist Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung – auch „Wirtschaftsweise“ genannt – und sagte: „Ich glaube, es ist wichtig, dass wir jetzt eine klare Agenda haben, um Wachstum und Klimaschutz zu vereinen und dies bei all den aktuellen sicherheitspolitischen Fragen nicht vernachlässigen.“ Um ein Industrieland zu bleiben und auch zukünftig für Sicherheit zu sorgen, brauche es Wasserstoff.

Es sei wichtig, dass jetzt alle Player zusammenkommen zu Beginn der neuen Legislaturperiode und Ideen einsammeln. Und: Viele Dinge gelängen in der regionalen Umsetzung einfach ­besser, weil sich die Leute mit den Projekten identifizieren, sich gut kennen und wissen, was vor Ort umsetzbar ist, sagte Grimm.

Wir sollten diesen Wasserstoffhochlauf, der gerade am Anfang ist, nicht direkt ersticken mit zu vielen Erwartungen und zu viel Regulatorik.

Béatrice Angleys, Thüga-H2-Plattform

Angleys, Leiterin der Thüga-H2-Plattform, erklärte, dass sich Deutschland in einer frühen Phase des Wasserstoffhochlaufs befinde. Dies müsse sich in den Erwartungen an die Rendite und auch an die Langfristigkeit der Projekte niederschlagen. „Wir sollten diesen Wasserstoffhochlauf, der gerade am Anfang ist, nicht direkt ersticken mit zu vielen Erwartungen und zu viel Regulatorik“, sagte Angleys. „Dafür bieten wir als H2-Plattform der Thüga-Gruppe auch Unterstützung für die Unternehmen vor Ort, damit jetzt eben auch die richtigen und die mutigen Projekte umgesetzt ­werden können.“

Der Weg zur Klimaneutralität für Industrie und Mittelstand, so zeigte sich auf dem Gipfel, führt nicht über eine zentrale Lösung, sondern über viele regionale Ökosysteme, die sich langfristig in ein Gesamtsystem einfügen. Denn diese kleinen funktionierenden Einheiten zeigen die Machbarkeit. Die Losung der Stunde lautet daher: „Selbst aktiv werden und mitmachen.“ 

Das ist zu tun

  • Zusammenarbeit zwischen Stadtwerken/Energieversorgern und Mittelstand/Industrie forcieren
  • Dekarbonisierungsoptionen für den Mittelstand schärfen
  • Regionale Pilotprojekte/Cluster fördern
  • Gasverteilnetze nutzen, Anschlussregelungen flexibilisieren
  • Anreizende Hochlaufregulatorik und Förderbedingungen etablieren
  • Überregulierung für die Produktion von grünem Wasserstoff auf EU-Ebene zurückfahren (Grünstromkriterien) und Entlastungsmöglichkeiten wie Netzentgeltbefreiung für Elektrolyseure entfristen

Tegersee Summit: Berichterstattung

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TAgesticker - Zusammenfassung aller Beiträge

7.5.2025 - Ludwig-Erhard-Gipfel 2025 - Tag 1

8.5.2025 - Ludwig-Erhard-Gipfel 2025 - Tag 2

9.5.2025 - Ludwig-Erhard-Gipfel 2025 - Tag 3

Interviews

Im Interview: VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt

Im Gespräch: Christian Pellis, CEO von Amundi Deutschland

Im Gespräch: Prof. Dr., Achim Schröder: Wie kommt Deutschland an günstigen Strom?

Im Gespräch: Prof. Dagmar Schuller über die Roboter von morgen

Im Gespräch: Bitpanda-CEO Lukas Enzersdorfer über die neuen Optionen der Geldanlage

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Die Reportage vom Ludwig-Erhard-Gipfel 2025 - Markt und Mittelstand: Der Podcast

zu den Podiumsgästen des Ludwig-Erhard-Gipfels (YouTube)

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