„Wer sich nicht anpasst, wird verschwinden“
Durch die Digitalisierung verändern sich die Marktgesetze. Daher muss ein Mittelständler sein Geschäftsmodell ständig hinterfragen, sagt Robert Mayr, Vorstandsvorsitzender des IT-Dienstleisters Datev, im Interview. Das liegt auch an den mächtigen Plattformanbietern, die auf den Markt drängen.
Die Digitalisierung ist derzeit in aller Munde. Welche Chancen und Risiken ergeben sich daraus für den deutschen Mittelstand?
Die Digitalisierung hat aus meiner Sicht drei Stellschrauben: Da ist zunächst der Bereich Technologie. Viele Themen sind von ihrer Fragestellung her nicht neu, lassen sich aber durch die fortgeschrittene Technik ganz anders lösen. Die zweite Stellschraube ist die Wahrnehmung bei den Mitarbeitern. Gerade auch in mittelständischen Unternehmen müssen die Belegschaften systematisch an die Herausforderungen und Potentiale der Digitalisierung herangeführt werden – etwa durch Schulungen. Das dritte Thema ist das der Prozesse: Es wäre zu kurz gesprungen, wenn man nur alle analogen Abläufe digitalisieren würde. Ich glaube, man muss die Prozesse neu denken und anders strukturieren. Die Wertschöpfungsketten setzen sich durch die Digitalisierung neu zusammen.
Nämlich wie?
Die Marktgesetze werden sich verändern. Denken Sie nur an die Plattformökonomie. Die Plattformökonomie verändert die Art und Weise, wie Unternehmen zusammenarbeiten, radikal – um nicht zu sagen: disruptiv. Bislang war die Beziehung zwischen Lieferanten und Kunden eine unmittelbare. Der Hersteller hatte seine Kunden und belieferte sie mit Produkten. Dieser Prozess lief über Jahrzehnte hinweg sehr stabil und war von einer hohen Kundenbindung geprägt. Das ändert sich durch die Digitalisierung grundlegend: Der typische Plattformdienstleister, nehmen Sie etwa Amazon oder Airbnb, schiebt sich jetzt zwischen Angebot und Nachfrage und bricht die Unmittelbarkeit der Kunden-Lieferanten-Beziehung auf. Damit geht ein ganz wesentliches Element verloren – nämlich der direkte Kontakt. Der Lieferant wird dadurch ein Stück weit austauschbar. Viele deutsche Unternehmen haben das Thema auch noch nicht auf dem Schirm und wissen noch gar nicht, wo Gefährdungspotential für ihr eigenes Geschäft besteht. Sie können sich nicht vorstellen, wie sich ein fremder Dritter in ihre Beziehung hineindrängen kann.
Woran liegt das – an Ignoranz oder fehlender Phantasie?
Den Unternehmen fehlt häufig schlicht und einfach die Vorstellung davon, welche Marktmacht ein Plattformanbieter entwickeln kann. Wenn er die entsprechende Kapitalausstattung hat, kann er sich am Markt ganz anders platzieren als ein einzelnes Unternehmen. Durch die Dominanz saugt er dann die gesamte Nachfrage ab. Wenn es ganz schlecht läuft, wird der Lieferant dadurch zum reinen Produktionsfaktor degradiert.
Wie verändert die Digitalisierung die Rolle des Steuerberaters? Wird er durch das Automatisieren vieler Prozesse ein Stück weit obsolet?
Ich werde nicht müde, das goldene Zeitalter der Steuerberater zu propagieren. Ich glaube, dass der Steuerberater in Zukunft der Outsourcingpartner des Mittelstands wird. In der Vergangenheit war es so: Der Mittelständler bildete gewisse kaufmännisch-administrative Prozesse selbst inhouse ab. Gehörten sie zu seiner Kernkompetenz? Nein. Gehörten sie zu seiner unmittelbaren Wertschöpfung? Nein. Aber er musste sie schlicht und ergreifend abbilden, weil er keine andere Möglichkeit hatte.
Daran ändert doch auch die Digitalisierung nichts.
Oh, doch! Wenn es gelingt, die bislang dezentralen Prozesse medienbruchfrei über eine kollaborative Schnittstelle abzubilden – der Steuerberater also die Möglichkeit bekommt, quasi live an und mit demselbem Datensatz zu arbeiten wie das Unternehmen –, dann wird der Steuerberater in Zukunft viel mehr von diesen Aufgaben übernehmen können. Der ganze kaufmännische Prozess des Mittelständlers wird in einer Cloud abgebildet sein, und der Steuerberater wird seine Auswertungen der betriebswirtschaftlichen Kennzahlen in Echtzeit anbieten können. Das kann die Unternehmen enorm entlasten – und bietet ihnen zugleich eine viel fundiertere Datenbasis für unternehmerische Entscheidungen.
Apropos Cloud: Etliche Mittelständler haben Angst vor so viel Transparenz?
Natürlich gibt es – noch und auch immer wieder – Vorbehalte gegenüber Cloud-Computing. Denken Sie nur an Betriebsgeheimnisse wie spezielle Fertigungstechniken oder eben die wirtschaftliche Situation. Dabei wird aber verkannt: Der Steuerberater ist oft seit Jahrzehnten der engste Vertrauenspartner des Mittelständlers. Er ist kein externer Fremder, sondern ohnehin in alle Prozesse und Entscheidungen eingebunden. Hinzu kommt: Wir bei der Datev wissen, wie extrem wichtig Geheimhaltung und Verschwiegenheit für Unternehmen sind. Datenschutz und Datensicherheit sind ein wesentliches Asset der Datev.
Themenwechsel: Die Datev hat eine kommode Stellung am Markt. Doch im Gegensatz zu so manchem Mittelständler, der sich in seiner Nische eingerichtet hat, ruhen Sie sich nicht auf Ihren Lorbeeren aus. Wie schaffen Sie es, Ihr Unternehmen neugierig und „hungrig“ zu halten?
Ich glaube, das hat etwas mit unserem grundsätzlichen Selbstverständnis zu tun – und mit unserer Rechtsform. Die Datev war vom ersten Tag ihrer Gründung an nicht darauf ausgerichtet, Gewinnmaximierung zu betreiben. Das Ziel des Unternehmens war es vielmehr, den Mitgliedernutzen zu maximieren. Das ist auch in unserer Satzung festgeschrieben. Dieser „Member Value“ ist unser höchstes Gebot. Wir sind in sehr engem Austausch mit unseren Mitgliedern und werden von ihnen permanent gefordert – und wir fordern uns auch selbst. Wir haben auch eine eigene Hauptabteilung, die sich mit den Themen beschäftigt, die unseren Markt im Moment bewegen – und in Zukunft bewegen werden. Der Prozess des permanenten Sich-neu-Erfindens kommt bei uns nicht zum Stillstand.
Wenn Sie einem Mittelständler einen Rat geben sollten: Was muss er auf dem Radar haben, wenn er sich fit für die Zukunft machen will?
Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung – das sind und bleiben auf absehbare Zeit die drei zentralen Themen. Konkret heißt das: Alles, was digitalisierbar ist, wird digitalisiert. Alles Automatisierbare wird automatisiert. Und alles, was sich vernetzen lässt, wird auch vernetzt. Bei Datev bezeichnen wir das als das digitale Grundgesetz. Jeder Unternehmer sollte sein eigenes Geschäftsmodell vor dem Hintergrund dieser drei Parameter hinterfragen: Wo würde ich mich als Außenstehender angreifen, wenn ich mein Wettbewerber wäre? Wo ist mein Geschäftsmodell schwach? Wo gibt es Angriffspunkte? Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell nicht konsequent selbst in Frage stellen und, wo nötig, anpassen, werden massive Probleme bekommen – bis dahin, dass sie vom Markt verschwinden.
Der Artikel gehört zu einem Thema aus der „Markt und Mittelstand“-Ausgabe September 2018, die am 7. September erscheint. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.