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Technologie > Der Stoff, aus dem die Träume sind

Werkstoff Kunststoff: Warum Plastik nicht gleich Plastik ist

Kunststoff ist weder grundsätzlich umweltschädlich noch grundsätzlich umweltfreundlich. Die Ökobilanz von Plastikflasche, Kabelisolierung und Co. hängt von zahlreichen Details ab. Die Hersteller geraten von vielen Seiten unter Druck. Zu Recht?

So recht wird es wohl erst mal nichts mit dem Öko-Kunststoff. Entweder dürfen kompostierbare Abfalltüten in die seit 2015 zur Pflicht gewordene Biotonne gelangen – oder auch nicht, ganz wie es das zuständige Entsorgungsunternehmen vorgibt. Denn die Betreiber kommunaler Kompostieranlagen stellen immer wieder fest, dass sich diese dem Kompost zugefügten Stoffe ganz und gar nicht so verhalten, wie es ihre Hersteller nach den Vorgaben der europäischen Norm EN 13432 gern hätten.

Demnach soll sich ein Mix aus biologisch abbaubarem Polyester, Maisstärke, Zellulose und Polymilchsäure binnen zwölf Wochen zu 90 Prozent in Teile zerlegen, die kleiner als zwei Millimeter sind. Doch für die Wiederverwertung als Dünger sind die Bioplaste wegen ihrer hartnäckig unzersetzbaren Bestandteile schlicht ungeeignet, mahnt auch das Bundesumweltministerium. Daher muss die Bioabfalltüte aus vielen Kompostieranlagen derzeit draußen bleiben. Das erstaunt umso mehr, als dass eine ganze Reihe von Forschungsprojekten die EU-Biotüten-Vorgabe aus dem Jahr 2000 begleitet hatte.

Reglementiert wie kaum ein anderer Werkstoff

Doch Rüdiger Baunemann, Hauptgeschäftsführer beim Kunststofferzeuger-Verband Plastics Europe Deutschland, ist überzeugt: „Kunststoff ist in puncto Umweltschutz viel mehr Teil der Lösung als Teil des Problems – etwa als Werkstoff für die Gebäudedämmung, als Verpackung zum Schutz empfindlicher oder verderblicher Güter, als Leichtbaukomponente in Mobilitätsanwendungen oder als Werkstoff zur Nutzung regenerativer Energie. Kunststoff schont Ressourcen, spart Energie und senkt den Ausstoß von Treibhausgasen.“

Was außerdem öffentlich kaum bekannt ist: Kunststoff ist vom Gesetzgeber so reglementiert wie kaum ein anderer Werkstoff in der produzierenden Industrie. Vorschriften und Paragrafen begleiten den gesamten Lebenszyklus des Produkts. Schon in der Produktion müssen Abfälle vermieden werden und eine umweltverträgliche Verwertung auch nach dem Ende des Gebrauchs des Produkts sichergestellt sein.

Kunststoffkreislauf: Jetzt geht’s rund

  • Werkstoffrecycling: Sobald Altteile sortenrein benötigt werden, ist die mechanische Aufbereitung durch Zerkleinern, Reinigen und Trennen von gebrauchten Kunststoffen gefragt. Die dann entstandenen Rezyklate können neu produzierte Granulate ersetzen.
  • Rohstoffrecycling: Polymerketten – der Stoff, der Kunststoff zusammenhält – werden chemisch auseinandergenommen. Das gelingt auch bei verschmutzten Materialien. Was dann übrigbleibt, sind Monomere oder Stoffe wie Gase oder Öle, die nun wiederum für die Herstellung neuer Kunststoffe eingesetzt werden können.
  • Energetische Verwertung: Beim Verbrennen von Kunststoffen wird die dabei entstehende Energie zur Herstellung von Strom oder Prozesswärme genutzt.

Angefangen hat der Aufstieg des künstlichen Materials 1855 mit Celluloid. Die Substanz, die mit ihren natürlichen Bestandteilen aus Kollodiumwolle, Campher und Rizinusöl als Biokunststoff der ersten Stunde durchgehen könnte, hatte aber den Nachteil, dass sie hochbrennbar war. Das brachte dem Stoff lediglich eine Karriere in Tischtennisbällen oder im Rollfilm ein. Gegenspieler dieses biegsamen Weichlings war später Bakelit, das nach seiner Aushärtung nicht mehr verformbar war. Das Gemisch aus Phenol und Formaldehyd taugte daher etwa für die Gerätehülle von Telefonen, Haarföhnen oder Radiogeräten. Das waren die frühesten Vertreter der beiden Grundtypen des Kunststoffs – Thermo- und Duroplast.

Mittlerweile lassen sich Kunststoffe der jüngsten Generation so multifunktional und vielfältig einsetzen, dass kaum ein modernes Produkt – vom Smartphone bis hin zum Automobillenkrad – ohne sie auskommt. Die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des Materials sind dabei enorm, sogar in unscheinbaren Alltagsprodukten wie Kabeln und Steckverbindungen. Hersteller wie der auf Kabel und Leitungen spezialisierte Kunststoffverarbeiter U.I. Lapp in Stuttgart müssen eine ganze Reihe an technischen Vorgaben erfüllen. So muss die Kunststoffumhüllung eines Stromkabels als Isolator herhalten, um etwa einen Kurzschluss zu verhindern, der womöglich eine Produktionsanlage auf Stunden lahmlegen könnte. Dazu werden Polyethylen und Polypropylen verwendet, die auch beim Flammschutz gute Abwehrdienste leisten. Zudem dichten die Materialien Datenkabel gegen Signalverluste ab.

Abwehr von Mikroben und Pilzen

Noch mehr ertragen müssen Leitungen in der Bahnindustrie. Sie schultern hohe mechanische Belastungen und halten, ohne zu murren, extreme Temperaturschwankungen von minus 40 Grad Kälte bis 120 Grad Hitze aus. Wiederum ganz anderen Extremen sind kunststoffumkleidete Stromkabel in der Lebensmittelindustrie ausgesetzt. Hier geht es um die Abwehr von Mikroben oder Pilzen, die sich auf dem Leitungsmantel bilden und ihn zersetzen bis zum Kurzschluss. Spezielle Additive im Plastik helfen, etwaige winzige Lücken im Material aufzufüllen und die Kunststoffummantelung des Kabels so hermetisch abzudichten, dass selbst bei der Reinigung mit einem Dampfstrahler das Äußere der Leitung keinen Schaden nimmt.

Weitere anspruchsvolle Plastikprodukte sind leichtgewichtige isolierende Innen- und Außenverkleidungen von Kühlschränken oder dünne, hitzebeständige Schichten auf Arbeitsflächen in der Küche. Dazu kommen Produkte aus der Unterhaltungsindustrie – vom In-Ear-Kopfhörer über die High-End-Anlage bis hin zu Gehäusen von Notebooks und Tablets. Ganz zu schweigen von den Inneneinrichtungen von Zügen oder Autos sowie Dämmstoffen und Rohrleitungen in Gebäuden. Besonders im Automobilbau punkten die Leichtbau-Plastikprodukte, etwa im Antriebsstrang bei der Motorölwanne, in Zylinderkopfhauben oder in Ladeluftrohren.

Hohe Nachfrage

Für solche umfangreichen Einsatzgebiete benötigt die Industrie eine ganze Menge vom Rohstoff Plastik. Die Zahlen sind eindrucksvoll: Die Produktion von Kunststoff in Deutschland stieg 2016 um rund 4,3 Prozent auf 19,2 Millionen Tonnen und brachte einen Umsatz von 24,2 Milliarden Euro. Zu seinen 200 Mitgliedsunternehmen zählt der Verband der Herstellerunternehmen Plastics Europe auch die Großen der Branche wie BASF, Evonik oder Lanxess. Auf der Seite der mittelständischen Verarbeiterbetriebe von Kunststoff finden sich im Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV) 2.949 Unternehmen mit rund 323.000 Mitarbeitern. Sie erwirtschafteten einen Umsatz von 63,7 Milliarden Euro im Jahr 2017.


Kunststoffproduktion und Umsatz mit Kunststoff in Deutschland 2016 (in Mio. Tonnen)

Die Hersteller der als Rohstoff benötigten Kunststoffsubstanzen sind in der Regel Chemiekonzerne, die Verarbeiter hingegen sind mittelständische Unternehmen. Betrachtet man die wirtschaftliche Leistung der Erzeuger, der Verarbeiter und die der 250 Hersteller von Maschinen für die Gummi- und Kunststoffproduktion, dann summiert sich die Marktgröße der Kunststoffindustrie auf 92 Milliarden Euro und 400.000 Mitarbeiter. „Der Einsatz des Werkstoffs ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Oliver Möllenstädt, Geschäftsführer des GKV.

Von Öffentlichkeit und Politik argwöhnisch beäugtes Terrain

Dabei legen die Unternehmen großen Wert auf die Wiederverwendbarkeit ihrer Produkte. „Viele Unternehmen berichten, dass sie von ihren Kunden auf Umweltthemen angesprochen werden“, sagt Möllenstädt. Angesichts des Drucks von Öffentlichkeit und Politik arbeiten daher sowohl die mittelständischen Kunststoffverarbeiter wie auch die Hersteller der Basismaterialien an der Recyclingfähigkeit ihrer Produkte. „Die wichtigsten Themen für unsere Mitgliedsunternehmen sind schon heute Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit“, bestätigt auch Rüdiger Baunemann von Plastics Europe. Von der chemischen Mixtur des Kunststoffs bis hin zu den Fertigungslinien wie Spritzgießmaschinen und Ex-trudern werde auf umweltfreundliche, energiesparende Produktion geachtet.

Bei ihrer Arbeit bewegen sich Hersteller wie Verarbeiter in einem von Öffentlichkeit und Politik argwöhnisch beäugtem Terrain. Symbol des Misstrauens ist die vielgescholtene Plastiktüte, deren Reste Umweltschäden in den Weltmeeren verursachen. Doch Kunststoff ist weit mehr als nur Plastikfolien. Kunststoff ist ein faszinierend vielseitiges und nützliches Material. So lässt sich durch den Einsatz dieses Werkstoffs vor allem Gewicht sparen. Im Automobilbau gilt die Faustregel, dass 100 Kilogramm Kunststoff etwa 300 Kilogramm herkömmliche Materialien wie Blech ersetzen können.

Mehr Rezyklate

Tatsächlich ist Recycling aus Sicht des Verbandsexperten Möllenstädt eines der wichtigsten Themen für die Kunststoffunternehmen. Angetrieben werden die Unternehmen von der Politik. So hat etwa die EU-Kommission der Branche just Anfang dieses Jahres neue, ambitionierte Ziele vorgegeben. „Die EU-Kunststoffstrategie fordert noch mehr Rezyklate, die die Unternehmen erzielen sollen“, sagt der Experte. So sollen nach dem im Januar vorgelegten Plan bis 2030 alle Kunststoffverpackungen innerhalb der EU recyclingfähig sein und die Menge an Kunststoffabfällen verringert werden. Zudem sollen der Verbrauch von sogenannten Einwegkunststoffen (wie etwa dem für die Produktion von Plastikflaschen verwendeten PET) reduziert und die Verwendung von Mikroplastik beschränkt werden.

Darüber hinaus hat Günther Oettinger, EU-Kommissar für Haushalt und Personal, vorgeschlagen, eine Steuer auf Kunststoffprodukte zu erheben. Auch der Grünen-Bundesvorsitzende Robert Habeck entwarf unlängst die Idee einer „EU-weiten Plastiksteuer auf Wegwerfprodukte“. Doch von dieser Steuer-Idee ist nicht einmal die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger, zu begeistern: „Eine Kunststoffsteuer birgt die Gefahr, dass in manchen Anwendungsbereichen auf Materialien ausgewichen wird, die eine schlechtere Ökobilanz als Kunststoffe haben – wie etwa Papiertüten. Das müssen wir auf jeden Fall verhindern.“ Dagegen stimmt die deutsche Behörde den „zentralen Aspekten der Kunststoffstrategie“ der EU-Kommission zu. So sollen mehr Recyclingkunststoffe verwendet und chemische Substanzen, die eine Wiederverwertbarkeit behindern, ausgemustert werden. Mikroplastikpartikel in Kosmetika sollten ebenso wie der Export von Kunststoffabfällen verboten werden.

Neue Vorgaben zur Wiederverwertung

Mit den von der EU-Kommission gesetzten Zielen im EU-Kreislaufwirtschaftspaket kommen neue Vorgaben zur Wiederverwertung auf die Kunststoffbranche zu. „Das Thema Kreislaufwirtschaft hat sowohl technische als auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Relevanz. Wir werden als Branche im Fokus der Öffentlichkeit stehen und damit auch auf dem Prüfstand“, sorgt sich Peter Barlog, Geschäftsführer des Kunststoffverarbeiters Barlog Plastics aus Overath. Neben der Wiederverwertung von Verpackungen und der Verringerung von Einwegprodukten bringt die EU-Plastikstrategie auch für technische Kunststoffe in der Automobil- und Elektronikindustrie und im Maschinenbau neue Herausforderungen mit sich. Dazu zählen für Barlog beispielsweise das Ökodesign zur Förderung der Recyclingfähigkeit, die bereits in der Entwicklung eines Produkts angelegte Wiederverwertbarkeit und der Einsatz recycelter Kunststoffe in allen Anwendungsbereichen. „Wandlungsbereitschaft und Innovationswille entscheiden am Ende über die Wahrnehmung des Werkstoffs Kunststoff und die Attraktivität der Branche für Fachkräfte“, sagt Barlog.

Daher sollten Kunststoffprodukte von den Herstellern freiwillig schon bei der Produktentwicklung so angelegt werden, dass sie recyclingfähig sind, empfiehlt der Industrieverband GKV. Die kunststoffverarbeitende Industrie setzt bereits vermehrt Rezyklate ein, wie die Studie „Produktion, Verarbeitung und Verwertung von Kunststoffen in Deutschland 2015“ der Industrieberatung Consultic zeigt. So fielen im Jahr 2015 rund 5,9 Millionen Tonnen Kunststoffabfall an. Davon wurden 45 Prozent werkstofflich, 1 Prozent rohstofflich und 53 Prozent energetisch verwertet. Der Anteil der werk- und rohstofflichen Verwertung lag damit um 4,4 Prozentpunkte höher als 2013. Zum Einsatz kommen rezyklierte Kunststoffe vor allem in Bauprodukten, in Verpackungen sowie in landwirtschaftlichen Anwendungen.


Kunststoffabfälle zur Verwertung und Beseitigung (Stand: 2015, in Mio. Tonnen)

Quelle: Consultic

Die Kunststoffunternehmen plagen Sorgen

Damit sich in den kommenden Jahren noch mehr Abfälle zu Werkstoffen verarbeiten lassen, müsse sich in zahlreichen Bereichen etwas ändern, sagt Möllenstädt. Denn: Die Kunststoffunternehmen plagen Sorgen. So machen Personal, Rohstoffe und Energie die größten Kostenanteile in den Unternehmen aus. Vor allem die steigenden Preise für Ausgangsmaterialien wie Propylen, PVC oder Styrolkunststoffe treiben die Kosten bei den Verarbeitern nach oben. Dasselbe gilt auch für die Energiepreise. „Die Industriestrompreise in Deutschland liegen weit über denen der meisten anderen Ländern“, kritisiert Möllenstädt. Der Grund ist für ihn klar: „Die Ursache ist die Finanzierung des Ausbaus erneuerbarer Energien über das Umlagesystem des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.“

Und wie in so vielen Branchen steht es schlecht um die Versorgung mit Fachkräften und qualifiziertem Nachwuchs. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass viele Kunststoffunternehmen Schichtarbeit benötigen. Zudem seien die guten Berufsperspektiven in der Kunststoffverarbeitung zu wenig bekannt, sagt Möllenstädt: „Der Mangel an Fachkräften veranlasst Unternehmen, verstärkt über Möglichkeiten der Digitalisierung und Automatisierung nachzudenken. Bei der Digitalisierung muss jedes Unternehmen seine eigene Strategie entwickeln. Allein mit der Erneuerung des Maschinenparks ist das nicht getan.“ Das gilt auch, „wenn schlicht kein Personal zur Verfügung steht“. Die Unternehmen müssten daher frühzeitiger als bisher aktiv werden. „Für Schüler ist das Thema Kunststoff recht weit weg“, sagt Möllenstädt. Eine Chance, die Situation zu verbessern, liege in einem verstärkten Personalmarketing – etwa durch Kooperationen mit Schulen.

Ende des Lebenszyklus

Die Ansprüche an die Formen und Funktionalitäten von Plastikprodukten und damit an ihre Verarbeitbarkeit steigen deutlich. Der Stoff soll zäher sein als ein Stahlkabel oder sich in hauchdünner Folie biegsam verformen lassen sowie Erschütterungen und Belastungen abfedern.

Geht es ums Recycling, befinden sich die Thermoplaste klar im Vorteil. Sie lassen sich schier unbegrenzt häufig wiederverwenden. Das heißt aber nicht, dass sie zu den umweltfreundlichen Produkten gehören. Denn zur Gruppe der biologisch abbaubaren Kunststoffe zählt Plastik nur dann, wenn es sich von Mikroorganismen in Wasser, Kohlendioxid oder Biomasse auflösen lässt.

Mit Produkten aus Duroplast geht das nicht. Nach ihrem Abschied aus dem aktiven Einsatz werden sie eingeschmolzen oder zu Granulat zermahlen. Allerdings büßen diese Rezyklate durch Versprödung mit jeder Wiederverwendung einen Teil ihrer Materialeigenschaften ein, bis sie am Ende nur noch verbrannt werden können. Damit endet für sie der Lebenszyklus.


Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 05/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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