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Technologie > Boost statt Regulierung

Wie Deutschland bei KI der Durchbruch gelingen kann

In Deutschland gibt es überdurchschnittlich starke Bedenken wegen künstlicher Intelligenz. In dieser Woche sprechen Fachleute auf einer großen KI-Konferenz, wie die „German Angst“ überwunden werden kann. Ein Ratgeber dazu.

Künstliche Intelligenz
In Deutschland arbeiten bisher wenige Unternehmen mit künstlicher Intelligenz. Um im internationalen Markt nicht zurück zu fallen, ist ein Umdenken gefragt. Bild: Shutterstock

Um gleich mal alle Binsenweisheiten loszuwerden: Künstliche Intelligenz ist eine große Chance und ein Nicht-Beschäftigen mit den neuen Technologien gefährdet die Zukunft. Schon schwieriger ist, warum sich deutsche Unternehmen von einigen Ausnahmen abgesehen so zieren. Trägheit ist ein Teil der Antwort, und zwar der Teil, der sich am schwierigsten verkraften lässt. Es ist wie bei anderen IT-Themen seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten: Wer Erfolg hat mit dem etablierten System, innoviert langsamer. Was gut läuft, muss man nicht ändern. Und wenn, dann wurden Software-Tools und inzwischen auch KI eher zur Effizienzsteigerung eingeführt – von der breiten Masse selbstverständlich, Ausnahmen gehören zu einer Verallgemeinerung dazu. 

Um die Trägheit zu überwinden, braucht es die logische Gegenfrage: Was passiert, wenn Betriebe hierzulande KI nicht so verwenden wie der internationale Wettbewerb? Dann werden Firmen vor allem aus den USA und China proportional gewinnen. Wir werden die wesentliche Chance liegenlassen, dem Personalmangel in den kommenden Jahrzehnten zu überwinden. Und Arbeit wird den meisten Beschäftigten hierzulande weiterhin weit weniger Freude bereiten, als es sein könnte, weil sie unliebsame Routine-Tätigkeiten weiter selbst erledigen müssen. 

In dieser Woche findet in Berlin die KI-Konferenz „Rise of AI“ statt. Der Titel klingt nach Hollywood und arg martialisch, aber die Aussage ist zweifellos präzise. Deutschland liegt in puncto Digitalisierung im Mittelfeld. Zu viele IT-Fachleute wandern ab ins Ausland. Das Worst-Case-Szenario lautet wie folgt: KI wird Berufe obsolet machen. So wie andere Technologien seit hunderten Jahren, nur x-fach stärker und schneller. 

Laut einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts IW Consult könnte die deutsche Wirtschaftsleistung um bis zu 330 Milliarden Euro wachsen, wenn die Unternehmen verstärkt generative künstliche Intelligenz einsetzten. Die Annahme lautet allerdings, dass mehr als die Hälfte der Betreibe bereit sein, diese KI auch einzusetzen. Das Problem: Laut IW-Umfrage sind bisher nur 17 Prozent der Unternehmen bereit, KI einzusetzen. Auch eine Studie des Digitalverbands Bitkom nährt Zweifel an einem KI-Wirtschaftswunder, denn auch sie offenbarte bei den Betrieben erhebliche Widerstände: In der Erhebung stimmten zwar 42 Prozent der Befragten der These zu, dass KI einen Wettbewerbsvorteil bringt. Aber 60 Prozent gaben an, dass der Einsatz von generativer KI für sie derzeit kein Thema ist. 

Dabei täten die 330 Milliarden Euro, das sind rund zehn Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts, dem an Fachkräftemangel leidenden Standort sehr gut – wie die Umrechnung in eine konkrete Zeitersparnis zeigt: Im Durchschnitt könnten laut IW Arbeitnehmer durch den Einsatz von KI jährlich etwa 100 Arbeitsstunden einsparen. Das IW geht davon aus, dass bis zum Jahr 2030 rund 4,2 Milliarden Arbeitsstunden nicht mehr geleistet werden können, weil Mitarbeiter in Rente gehen und nicht mehr ersetzt werden können. KI hat zumindest das Potential, die entstehende Lücke fast vollständig zu schließen, betonte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Bei den diversen Anwendungsbereichen sehen die Unternehmen Optionen vor allem beim Verfassen von Dokumenten, der Datenanalyse und andere wiederkehrende Aufgaben. 

Wenn meine Tochter in 20 Jahren ins Berufsleben eintritt – falls sie studiert – dann muss sie die Arbeit erledigen, die heute zwei Beschäftigte der Boomer-Generation machen. So einfach ist das. Ohne KI wird das nicht klappen. Doch wenn die aus dem Ausland kommt, wird nur ein winziger Teil des Produktivitätsgewinns in Deutschland bleiben. Doch bereitet unser Bildungssystem Kinder wirklich auf Berufsbilder vor, die es noch nicht gibt? Leider nicht. Man kann schon die Kleinsten im Umgang mit Technologie schulen – und fördert dabei ihre Kreativität. Wer an solchen Programmen mal teilgenommen hat, kann sich leicht dafür begeistern. 

Eine entscheidende Frage ist, wie KI und Bürokratie im Verhältnis zueinander stehen werden in Deutschland. Sie sind zwei Seiten einer Medaille, können sich symbiotisch ergänzen, oder sich gegenseitig kaputt machen. Deutschland und Europa laufen gerade Gefahr, den falschen Weg zu gehen – platt gesagt: Reguliert die Technologie, bis niemand mehr Lust hat, hierzulande was damit zu machen. Dann gegen noch mehr gute Leute weg. Der richtige Weg hat zwei wunderbare Seiten, quasi die Allee der positiven Zukunft: Auf der einen Seite hilft KI den Betrieben, mit all der Bürokratie fertig zu werden. Auf der anderen Seite könnten wir eine Regulierung schaffen, die KI weit smarter einhegt als es in den USA oder China der Fall sein wird. AI made in Germany – als Attribut für Vertrauen, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit. 

Ein Traum? Keineswegs! Im Hinblick auf die entstehenden Prüfsysteme gelten europäische Vertreter in der Branche als führend: Die Schweizer SGS, Bureau Veritas aus Frankreich und die deutschen Größen Dekra, TÜV Süd und TÜV Rheinland. Der TÜV Nord hat mit TÜVIT eine Tochtergesellschaft gegründet, die seit 2019 auch die Zertifizierung Künstlicher Intelligenz anbietet. Noch sind Anbieter von KI nicht gezwungen, ein Prüfverfahren mitzumachen. Aber die EU-Kommission hat einen Entwurf rund um die Regulierung von künstlicher Intelligenz im Gesetzgebungsprozess. 

Die Auflagen für KI-Anwendungen könnten streng sein: Unternehmen müssen ein Risikomanagement-System aufbauen, die Trainingsdaten dürfen nicht diskriminierend sein, und die Modelle müssen ein Mindestmaß an Genauigkeit und Robustheit aufweisen. Das alles muss ein unabhängiger Dritter überprüfen. Da reiben sich auch Wirtschaftsprüfer die Hände. Sie stellen eher auf die mit der Regulierung einhergehenden Berichterstattungspflichten ab sowie auf die Prüfung interner Prozesse zur Minimierung von Risiken. Zuletzt veröffentlichte das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland einen Prüfungsstandard zur Vorgehensweise und Berichterstattung bei einer Prüfung von KI-Systemen.

Die Automatisierung unserer Industrie ist die letzte Chance, um Deutschland wieder zurück an die Weltspitze zu bringen. Viele Unternehmen spüren, dass man den Erfolg nur im Digitalen und konkret mit künstlicher Intelligenz fortschreiben kann. Aber entweder haben sie gar keine Ideen zum Einsatz von KI oder zu viele Ideen - und dann ist die Situation oft so, dass sie gar nicht wissen, wo und wie sie anfangen sollen. Dazwischen gibt es leider relativ wenig.

Anstatt möglichst viele einzelne Use-Cases zu schaffen - und das womöglich noch in den verschiedenen Abteilungen und Unternehmensbereichen einzeln - braucht es einen gesamtheitlichen Blick: Was sind die wesentlichen Probleme, die KI für mein Unternehmen lösen kann? Ist die Skalierung einer Einzellösung auf lange Sicht möglich? Passt die Technologie zu meinem Qualitätsanspruch und zu meinen Werten? Es braucht also eine KI-Strategie und eine KI-Governance, bevor Entwickler munter drauflos coden. 

Vieles davon erinnert an die Implementierung von Nachhaltigkeit – und tatsächlich gibt es viele Synergien und Parallelen bei ESG und KI. Eine weitere Parallele zwischen den beiden revolutionären Umwälzungen betrifft das Thema Personal: Es braucht Fachleute für die entsprechende IT, Data Scientists und vor allem Projektmanager, die Business, Daten und KI integrieren können. Was komplex klingt, lässt sich ein stückweit vereinfachen, wenn man KI mit der Etablierung oder Erneuerung der Cloud-Infrastruktur zusammendenkt: In 99 Prozent der Fälle wird KI in der Cloud entwickelt und betrieben, die beiden Technologien gehen immer miteinander einher. Außerdem gibt es bei KI eine klare Entwicklung, Standards zu nutzen und an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. 

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, aber sie reimt sich. Vor 100 Jahren, als das Auto erfunden wurde, hatten viele Menschen Angst davor. Damals wurde unter anderem die Dekra gegründet – die unabhängigen Prüfer sollten Vertrauen stiften und für Sicherheit sorgen. Jetzt gilt dasselbe für künstliche Intelligenz. Leider ist das bei Hardware deutlicher einfacher als mit all diesen Dingen, die man nicht greifen kann. 

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