Strom speichern mit Schweinehälften
Deutschlands Netzbetreiber gehen auch unkonventionelle Wege, um einen Blackout zu vermeiden. Unternehmen müssen sich vorbereiten. Dabei gilt es, einiges zu beachten.
Strom kommt aus der Steckdose. Doch deren Versorgung wird immer aufwendiger und komplexer. Gleichzeitig überstünden wohl immer weniger Betriebe problemlos einen Blackout.
„Stromausfall kann in Unternehmen schon ab der ersten Sekunde großen Schaden verursachen“, sagt Klaus Eder. Dem Chef der Stadtwerke Ulm ist bewusst, dass sein Unternehmen eine große Verantwortung trägt. „In immer mehr Betrieben spielen Digitalisierung und Leistungselektronik eine wesentliche Rolle. Die Systeme sind auf eine konstant zuverlässige Stromversorgung angewiesen“, erläutert er. Das gilt gerade für Ulm, wo sich immer mehr Hightechunternehmen aus Raumfahrt, Quantencomputing, Biotechnologie und künstlicher Intelligenz ansiedeln. Ulm steht beispielhaft für viele Kommunen in Deutschland. Die Versorger stellen sich um – und auch die Abnehmer können etwas tun.
Stromausfälle kommen in Deutschland im Schnitt nur alle zwei bis drei Jahre vor. Doch dann fällt die Versorgung statistisch gesehen gleich 54 Minuten aus. Die Ursachen sind vielfältig: Sei es wegen eines Kabelbrands am Verteiler oder einer bewussten Stromabschaltung im Zuge von Flutkatastrophen wie im Ahrtal 2021. Und solche Unwetter können sich nach Ansicht von Fachleuten häufen, auch wegen überalterter Stromnetze oder einem übermäßigen Einsatz elektronischer Heizgeräte im Winter. Nach Angaben der Bundesnetzagentur könnte vor allem die Zahl zeitlich und lokal begrenzter Stromausfälle zunehmen.
Mit solchen Unterbrechungen kommt die Wirtschaft immer weniger klar. Für die Versorger besteht also Handlungsbedarf. Der Energiekonzern EnBW strebt deshalb ein Geflecht „selbstheilender Netze“ an. Sekundenschnell sollen dank Digitalisierung künftig Störungen automatisch überbrückt werden. Einen Pilotversuch hat der Versorger aus Karlsruhe jetzt im Allgäu rund um das Umspannwerk Leutkirch gestartet. Er soll zunächst zwei Jahre laufen. Die Erkenntnisse sollen dann auf andere Regionen übertragen werden. „Wir erfinden uns hier ein Stück weit neu“, erläutert Dirk Güsewell, im EnBW-Vorstand verantwortlich für die systemkritische Infrastruktur. „Dafür gibt es keine Blaupause.“
Deutschlands Stromnetz ist im Prinzip dreigeteilt: Hochspannungsleitungen transportieren Strom quer durch die Republik. Das Mittelspannungsnetz verteilt ihn in die Regionen. Bis zum Endverbraucher bringt ihn dann das Niederspannungsnetz. Es ist kein Zufall, dass ein großer Versorger wie EnBW mit dem Umbau des Netzes vorangeht. Rund 80 Prozent der Ausfälle gehen auf Störungen im Mittelspannungsnetz zurück, im Südwesten das Hauptgeschäft der EnBW-Tochter Netze BW. Stadtwerke wie in Ulm betreuen meist das Niederspannungsnetz. Chef Eder sieht sich hier im Vergleich zu den großen Versorgern im Vorteil. „Wir sind näher dran und haben unser Netz sehr engmaschig im Blick. So erkennen unsere Fachleute schon sehr früh mögliche Probleme und können eingreifen.“
Ausfälle im Mittelspannungsnetz
Ob Konzern oder Stadtwerke: Die Versorger vereint der Trend, dass die Netze immer stärker beansprucht werden. Aus einem Verbund von rund 500 Großkraftwerken wird ein System, in das 7,5 Millionen Anlagen im niedrigen Spannungsbereich einspeisen. Statt aus Atom, Gas und Kohle stammt die Energie jetzt aus Sonne, Wind und ab und an aus Wasser. Ohne digitale Lösungen bis an die Enden der Verteilnetze ist das nicht zu bewältigen.
Mit den Informationen in Echtzeit können die Stadtwerke Ulm schnell Einspeisespitzen erkennen und versuchen, die Energie, die produziert, aber nicht verbraucht werden kann, intelligent zu nutzen – auch zugunsten der Kunden. „Strom speichern mit Schweinehälften nennen wir das“, stellt Eder lachend fest. „Wir versorgen beispielsweise einen Schlachthof mit erneuerbarem und günstigem Strom aus solchem Überschuss. Der kühlt das Fleisch dann auf 40 Grad Minus herunter.“ Steigen mit der Stromnachfrage auch die Preise, schaltet der Schlachthof die Kühlaggregate einfach ab, bis wieder die Mindesttemperatur von minus 18 Grad herrscht. Und verbraucht so lange keinen Strom.
„Eine Win-win-Lösung“, freut sich Eder. „Es gibt bestimmt noch viele andere Lösungen. Doch die kennen die Energieversorger vor Ort besser als wir. Gemeinsam können wir hier bedeutende Einsparpotenziale heben.“ Der Manager, der auch Vorsitzender des Verbands der kommunalen Unternehmen (VKU) in Baden-Württemberg ist, sieht bei den Kommunen besonders gute Chancen, weil hier oft ein Unternehmen Strom, Wasser und Wärme liefert. „Wir pumpen beispielsweise unsere Trinkwasserhochbehälter dann voll, wenn viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht“, sagt er.
Nicht nur der Ulmer Schlachthof ist schon aus Gründen der Qualitätssicherung angehalten, den Betrieb gegen Störungen abzusichern. Denkbar ist es, für kleinere Geräte oder auch eine Telefonanlage eine Insel-Solaranlage nebst Speicher aufzubauen – sofern zumindest ein Balkon oder eine für Solarpaneele nutzbare Außenwand verfügbar ist. Auch ein herkömmliches Notstromaggregat etwa mit Dieselantrieb – eine sogenannte Netzersatzanlage – kann hilfreich sein. Um beispielsweise den Betrieb in Arztpraxen, die Kühlkette in Lebensmittelproduktion und -handel oder die Lagerung von Medikamenten abzusichern, kann sogar eine unterbrechungsfreie Stromversorgung erforderlich sein. Diese schützt die Geräte vor plötzlichem Stromverlust oder auch Überspannung und hält bei einem Stromausfall den Betrieb für eine bestimmte Zeit aufrecht – je nach Modell Minuten bis mehrere Stunden.
Stadtwerke-Chef Eder rät Unternehmen zum Austausch mit den Experten der lokalen Versorger, um für den Notfall gerüstet zu sein. Das Bundesinnenministerium hat einige Leitfäden mit Anforderungen zum Schutz kritischer Infrastrukturen und dem damit verbundenen Risiko- und Krisenmanagement aufgelegt. Hier erfahren die Unternehmen, wie man den Bedarf analysiert und entsprechende Schutzziele definiert. Auch der Austausch mit einem auf Notstromversorgung spezialisierten Dienstleister hilft Firmen, die bisher ungesichert sind. Die Dienstleister wissen, welche Akkus mit welcher Leistung für eine Überbrückung nötig sind. Denn eine Standardlösung für alle gibt es nicht.
Zum Risikomanagement rund um die Energieversorgung gehört neben den technischen Maßnahmen auch eine Betriebsunterbrechungsversicherung. Die deckt neben den Folgen eines Stromausfalls auch Feuer- und Wasserschaden sowie Cyberangriffe ab. Wichtig ist zudem etwa Kundendaten datenschutzgerecht zu speichern und über zusätzliche externe Festplatten zu sichern. Fachleute empfehlen, mindestens einmal täglich ein Back-up zu erstellen. Werden die wichtigen Daten über Dienstleister extern hinterlegt, müssen die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung eingehalten werden. Im Zweifel sollten Unternehmer einen Anwalt nach einer rechtskonformen Lösung fragen. Und natürlich müssen auch externe Dienstleister sich gegen Stromausfälle schützen.
Tücken liegen wie so oft im Detail. Betriebe mit einer elektronischen Registrierkasse sollten wissen, dass sie bei einem Stromausfall die steuerrechtlich nötigen Aufzeichnungspflichten vorübergehend auf Papier erfüllen dürfen. Wichtig – nicht nur bei Stromausfall – ist eine auf Papier hinterlegte Liste mit Notfallnummern, Verhaltensmaßnahmen, Lage des Sicherungskastens und Taschenlampen sowie Ansprechpartnern. Außerdem schreiben die Unfallverhütungsbestimmungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung vor, Ausgänge und Fluchtwege so zu kennzeichnen, dass sie bei einem Ausfall der Beleuchtung gut zu erkennen sind.
Tatsächlich sollte sich jedes Unternehmen auch bereits damit beschäftigen, was nach dem Stromausfall geschieht, wenn der Betrieb wieder hochgefahren wird. Auch das sollte geplant sein. So ist beispielsweise die Kühlkette zu überprüfen sowie generell alle Geräte und Datenträger, die nacheinander wieder hochfahren sollen. Zudem muss die Versicherung über eventuelle Schäden und Ausfälle informiert werden. Gegebenenfalls sind bereits Handwerksbetriebe und IT-Dienstleister für Checks und Reparaturen ausgewählt. Sie können dann zügig kontaktiert werden.
1,2 Billionen Euro nötig
Intelligente Lösungen und Absicherung sind wichtige Schritte, damit Energieversorger wie auch deren Kunden mit der zunehmenden Komplexität der Netze mithalten können. Das kostet Geld. Um gewaltige Investitionen von geschätzt 1,2 Billionen Euro kommen die Energieunternehmen in Deutschland nicht herum. „Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Umspannwerke und 60 Prozent der Leitungen im Verteilnetz ausgebaut und erweitert werden müssen“, sagt EnBW-Vorstand Güsewell. Der Konzern hat den Bedarf am Beispiel einer Großstadt mit 250.000 Einwohnern wie Freiburg durchgerechnet: Um Klimaneutralität zu erreichen, sind 700 Millionen Euro für den Netzausbau nötig. Bei einer Stadt mit 50.000 Einwohnern wie Konstanz müssten demnach etwa 200 Millionen Euro investiert werden. Um den gewaltigen Geldbedarf decken zu können, hat EnBW die Hälfte der eigenen Stromnetze an den baden-württembergischen Sparkassenverband verkauft und trotz Rekordgewinnen die Tarife erhöht.
Unternehmen können sich vorbereiten. Versorger auch, gesetzt den Fall, sie können genug Geld für die nötigen Investitionen beschaffen. Und dann sind da noch die (Bundes-)Politiker. Sie haben für Deutschland Klimaneutralität bis 2045 als Ziel ausgerufen. Das bedeutet mehr Strom aus erneuerbaren Quellen. Windverhältnisse und Sonneneinstrahlung werden wichtiger, die Produktion schwankt.
Und entsprechend schwankend wird Strom in die Netze eingespeist. Das wiederum betrifft die Energieversorger und Netzbetreiber, die derart große Schwankungen nicht allein ausgleichen können. Um etwa bei wenig Sonne und wenig Wind, der sogenannten Dunkelflaute, genug Strom zu garantieren, sollen nach den Plänen der Bundesregierung neue Gaskraftwerke gebaut werden. Sie können bei Bedarf sehr schnell hochgefahren werden und dann Strom aus Gas erzeugen – aus Erdgas, Biogas oder auch Wasserstoff. 2030 soll es so weit sein. Wie der Plan konkret umgesetzt werden soll, ist weiterhin offen. Allein im Südwesten müsste beispielsweise ein Dutzend dieser Anlagen entstehen. Schließlich sitzen hier auch sehr viele, sehr große Industriebetriebe als Stromkunden. Doch in den vergangenen 20 Jahren wurde kein einziges neues, großes Gaskraftwerk errichtet.