Wo Deutschland durchstarten kann
Daniel Metzler und Isar Aerospace haben gezeigt, was Ingenieure hierzulande leisten können. Die kommerzielle Raumfahrt ist eine Schlüsselindustrie der Zukunft.

Von Björn Hartmann
Für ein historisches Ereignis ist das Wetter an diesem Tag im April perfekt: das Nordmeer glatt, ein paar Wölkchen am Himmel, Schnee auf den Felsen. Kalt ist es, was hier oben nördlich des Polarkreises um diese Jahreszeit niemanden verwundert. Um 12.47 Uhr zündet der automatische Countdown die neun Triebwerke und in einer weißen Wolke hebt die Spectrum-Rakete von Isar Aerospace von der norwegischen Insel Andøya ab. Es ist der erste Start einer kommerziellen Rakete von Kontinentaleuropa aus ins All. Eine historische und spektakuläre Teamleistung. Der Mann der Stunde ist Daniel Metzler, Chef des Unternehmens aus Ottobrunn bei München. Er beweist: Deutschland kann innovative Technologie – und das privat finanziert.
Die Rakete hat abgehoben – ein enormer Erfolg, sagt Metzler später. Er sei stolz. „Wir können eine Rakete nicht nur designen und bauen, sondern auch fliegen.“ Metzler hat das Unternehmen gemeinsam mit Josef Fleischmann gegründet, beide Raumfahrtingenieure der TU München. Mit dem Start waren auch noch andere große Erwartungen verbunden, etwa unabhängigen Zugang von Europa aus zum All zu bekommen. Bisher heben europäische Raketen wie die Ariane 6 und die Vega von Kourou aus ab, französisches Staatsgebiet und Teil der EU, aber in Südamerika gelegen. Zudem müssen die Europäer Raketenstarts beim US-Raumfahrtunternehmen SpaceX buchen, das Elon Musk gehört und in den USA startet. Spectrum 1 hat jetzt gezeigt, dass Starts aus Europa möglich sind.
Etwas frustriert dürfte das Team von Rocket Factory Augsburg (RFA) um die Gründer Stefan Brieschenk und Jörn Spurmann gewesen sein. Das Unternehmen entwickelt ebenfalls eine Rakete und schien weiter zu sein, musste im vergangenen Herbst aber einen Rückschlag hinnehmen, als ihre Hauptstufe bei einem Brennertest explodierte. Immerhin haben die Augsburger bereits seit Mitte Januar eine Startgenehmigung. Sie wollen von Schottland aus ins All, genauer vom privaten Weltraumbahnhof Saxavord auf der Insel Unst, die zu Shetland gehört. Starttermin ist vermutlich in der zweiten Jahreshälfte.
Und noch ein drittes deutsches Unternehmen beschäftigt sich mit einer Rakete: HyImpulse aus Neuenstadt bei Heilbronn ist mit der SL1 allerdings noch nicht so weit. Das Team um die Gründer Ulrich Fischer, Mario Kobald, Christian Schmierer und Konstantin Tomilin testete ihr Antriebskonzept, bei dem Kerzenwachs wichtig ist, dafür bereits 2024 mit einer kleineren Rakete in Australien. Isar Aerospace, RFA und HyImpulse wurden alle erst 2018 gegründet. In sieben Jahren von der Idee bis zur Rakete zu kommen, ist in der Raumfahrt eine sehr kurze Zeit.
Milliarden für neue Geschäfte
Raumfahrt gilt als Schlüsseltechnologie für die Zukunft. Und deutsche Firmen sind dabei, diese Zukunft in großem Umfang mitzugestalten. Finanzierten und steuerten früher vor allem staatliche Stellen wie die US-Raumfahrtbehörde Nasa oder die europäische Raumfahrtagentur Esa Projekte, fließt inzwischen immer mehr privates Kapital. Seit 2009 waren es nach Angaben der Beratungsfirma Space Capital insgesamt rund 348 Milliarden Dollar (zurzeit 307 Milliarden Euro). Investoren erwarten ein großes Geschäft. Allein 2024 setzte die globale Weltraumindustrie nach Angaben von Matthias Wachter, Geschäftsführer der Initiative NewSpace beim Industrieverband BDI, etwa 500 Milliarden Euro Dollar um. Rund 150 Milliarden Dollar entfielen auf Raketen und Satelliten, der Rest auf datengetriebene Anwendungen und Service. Und es soll mehr werden. Eine Studie von BDI und Roland Berger schätzt, dass der Markt für weltraumgestützte Anwendungen weltweit bis 2040 auf 1,25 Billionen Euro wachsen könnte. „Im digitalen Zeitalter sind Satellitenkonstellationen und Weltraumsysteme die Basis für Zukunftstechnologien auf der Erde“, sagt Wachter. Gerade für das Hightech- und Industrieland Deutschland sei NewSpace, wie die neue Richtung genannt wird, deshalb von besonderer Bedeutung. Anders gesagt: Wenn das Geschäft weiter so fliegt, entsteht hier gerade auch der Mittelstand von morgen.
Nötig für all die Anwendungen sind ganze Satellitenschwärme. Mit ihnen lassen sich Waldbrände früh erkennen, Infrastruktur überwachen, Fahrzeugflotten managen. Für autonomes Fahren sind Verbindungen zu Satelliten unerlässlich. Internet gelangt auch in entlegene Gegenden. Versicherungen nutzen Klimadaten aus dem All, um Prämien zu kalkulieren. Die moderne Landwirtschaft kann dank präziser Daten und Steuerung Felder gezielt bepflanzen und je nach Bodenbeschaffenheit düngen. Und weil sich die Machtblöcke in der Welt politisch und militärisch gerade verschieben, werden auch eigene deutsche und europäische Militärsatelliten immer wichtiger.
Die Wettervorhersage wird ebenfalls genauer. Im Sommer startet zum Beispiel der MTG-S, ein Satellit von der Größe eines Mercedes-Transporters, der aus 36.000 Kilometern Höhe die Erdatmosphäre alle 30 Minuten dreidimensional scannt. Damit ließe sich das Wetter genauer vorhersagen, sagt Cristian Bank, Direktor bei Eumetsat, einer Weltraumbehörde in Darmstadt, die den Satelliten betreiben wird. Und: „Wir können Extremwetterereignisse früher entdecken.“ Wichtig, wenn Gebiete wegen heftigen Regens und Überschwemmungen evakuiert werden müssen. Der Bremer Satellitenspezialisten OHB hat MTG-S federführend entwickelt und gebaut. Der Satellit soll Anfang Juli mit SpaceX starten.
Wöchentlich abheben
Wetter- und Spionagesatelliten, die sehr weit von der Erde entfernt positioniert sind, werden mit großen Raketen, wie die Ariane 6 oder die Falcon 9, ins All befördert. Die Schwärme bestehen aus deutlich kleineren Satelliten in handlichen Kastenformen, zum Teil in Serie gebaut und deshalb günstig. Sie werden eher in knapp 500 Kilometern Höhe platziert, dem sogenannten Low Earth Orbit (Leo). Die Satelliten müssen schnell und präzise platziert werden können. Und hier kommen Firmen wie Isar Aerospace ins Geschäft. Spectrum ist wie RFA 1 und SL1 von HyImpulse ein sogenannter Microlauncher, eine Rakete, die mit knapp 30 Metern deutlich kleiner ist und weniger Last transportieren kann als etwa eine Ariane 6 (63 Meter). Für die kleineren Satelliten reicht eine Tragfähigkeit von 600 bis 1600 Kilogramm.
Um wöchentliche Starts möglich zu machen, müssen die Raketen in großen Mengen günstig gebaut werden. Isar Aerospace setzt darauf, alles selbst zu produzieren und sieht sich deshalb überdurchschnittlich effizient aufgestellt. Weil in der alten Fabrik in Ottobrunn nur bis zu zehn Raketen im Jahr gefertigt werden können, entsteht gerade ein neues Werk für etwa 40 Raketen im Jahr. In Raumfahrtdimensionen sind solche Mengen Massenproduktion. Das alles kostet viel Geld. Hinter Isar Aerospace stehen einige finanzkräftige Investoren wie Airbus Ventures, die Risikokapitalgeber Earlybird (Berlin) und Lakestar (Zürich), die Porsche Holding und ein Fonds der Nato, die insgesamt mehr als 400 Millionen Euro bereitgestellt haben. Zahlreiche Kunden gibt es bereits – die europäische Raumfahrtagentur Esa, Airbus, die norwegische Raumfahrtagentur. Den Startplatz der norwegischen Raumfahrtagentur auf Andøya hat sich Isar Aerospace für bis zu 20 Jahre gesichert.
RFA setzt bei seiner Rakete auf Teile, die bereits in anderen Industrien erfolgreich im Einsatz sind und passt sie an. So sollen die Kosten sinken. Für den Körper der Rakete zum Beispiel werden Teile eines Brauereizulieferers verwendet. Auch die Augsburger planen eine Massenfertigung. Wie Isar Aerospace auch, hat das Unternehmen ein eigenes Triebwerk entwickelt. Beide Firmen nutzen 3D-Druck, um diese Antriebe herzustellen. Hinter RFA stehen OHB und der US-Finanzinvestor KKR, der vor zwei Jahren 30 Millionen Euro in das Unternehmen steckte. Auch RFA hat bereits Kunden.
Der dritte Raketenbauer, HyImpulse, ist eine Ausgründung aus dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Baden-Württemberger wollen die Rakete nicht mit flüssigem Sauerstoff und flüssigem Propan oder anderen klassischen Treibstoffen starten, sondern setzen auf Wachs. Dass das funktioniert, bewies das Unternehmen im vergangenen Jahr in Australien. Der Sprit ist nicht nur nachhaltig, sondern soll auch deutlich günstiger als herkömmlicher sein. Und er ist sicherer. Zuletzt sicherte die Esa 11,8 Millionen Euro zu. Der Start des eigenen Microlaunchers ist für 2026 vorgesehen, sehr wahrscheinlich auch von Shetland, wo das Team bereits Triebwerke getestet hat. Finanziert wird das Unternehmen vor allem von Rudolf Schwarz, Chef und Inhaber der IABG, ein Analyse- und Testunternehmen für Auto-, Luft- und Raumfahrtindustrie aus Ottobrunn.
Möglicherweise wird in diesem Jahr auch noch eine erste kommerzielle Rakete von deutschem Hoheitsgebiet aus starten. Ein privates Konsortium um OHB und die Bremer Reederei Harren will ein Spezialschiff in den äußersten Zipfel der ausschließlichen Wirtschaftszone in der Nordsee schicken – eine Art schwimmender Weltraumbahnhof. Vom Schiff aus soll es dann ins All gehen. Deutschland bekäme so einen eigenen Zugang zum Weltraum.
Auch in Zeiten des NewSpace hilft Geld von staatlichen Behörden. Und so hat das DLR gerade einen Vertrag mit The Exploration Company (TEC) aus Planegg bei München geschlossen. Das Unternehmen entwickelt eine Raumkapsel namens Nyx, die größere Experimente ins All mitnimmt und zurückbringt. Die Kapsel wird vier Meter Durchmesser haben und etwa vier Tonnen Ladung transportieren können. Chefin Helene Huby plant den Erststart für den Juni.
Von 2028 an soll die Kapsel im Auftrag der Esa auch die Internationale Raumstation ISS versorgen. Europa bekommt so einen eigenen Transporter. Bisher muss die Esa Platz auf Fremdkapseln buchen. Auch mit der Nasa hat TEC einen Vertrag. Private Investoren steckten bereits mehr als 190 Millionen Euro in das Unternehmen. Hinter ihm stehen mehrere ehemalige Managerinnen und Manager von Airbus und dem französischen Raumfahrtunternehmen ArianeSpace, das auch die Ariane 6 verantwortet. TEC startete 2021. Das Entwicklungstempo ist hoch, staatliche Raumfahrtprogramme benötigen in der Regel deutlich mehr Zeit.
Überhaupt kann es nicht schaden, wenn der Staat eine Branche unterstützt, vor allem eine derart wichtige wie die Raumfahrt. Frankreich macht es vor. Allerdings braucht das Land die Raketentechnologie von ArianeSpace auch für die eigenen Atomraketen, die ebenfalls bis ins All starten müssen, bevor sie dann ihr Ziel ansteuern. Die französische Regierung ist entsprechend engagiert. Die Ampel unter Ex-Kanzler Olaf Scholz (SPD) blieb bei Raumfahrt zurückhaltend nach dem Motto: irgendwie wichtig, doch viel Geld sollte es nicht kosten. Das wollte 2022 beim Esa-Ministerratstreffen, wo es um den Etat der kommenden Jahre ging, niemand so richtig zugeben. Es entspann sich eine absurde Debatte darüber, ob die zugesagten Summen jetzt in Preisen von 2022 oder in Preisen der kommenden Jahre angegeben sind.
Hier will die neue Bundesregierung einiges besser machen. Der designierte Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat bereits vor der Bundestagswahl im Februar Betriebe aus der Branche besucht. Und ein Ministerium wird künftig sogar Raumfahrt im Namen führen. Zudem trifft sich der Esa-Ministerrat seit 17 Jahren wieder in Deutschland: Im November wird in Bremen über künftige Programme und deren Finanzierung geredet. Deutschland als derzeit zweitgrößter Geldgeber nach Frankreich dürfte diesmal klarer auftreten. Wie viel Geld die Bundesregierung für die Esa bereitstellt, ist wichtig, denn die Raumfahrtagentur vergibt Aufträge nach dem Länderproporz – wer 20 Prozent finanziert, bekommt auch 20 Prozent der Aufträge.
Das Geld fließt zum Beispiel in Satelliten für Erdbeobachtung, Kommunikation und Navigation, an denen auch viele deutsche Unternehmen arbeiten. Oder in die Ariane 6, die in weiten Teilen hierzulande gebaut wird. So stammen Oberstufe, Tanks, Brennkammern und Verkleidungen aus den deutschen Standorten von ArianeGroup in Bremen, Lampoldshausen und Ottobrunn sowie von MT Aerospace in Augsburg und Bremen.
Mond als Ziel
Offen ist, ob möglicherweise ein Deutscher auf dem Mond landet, was mit der US-Regierung unter Donald Trump zu tun hat und der Nasa. Sollte dort radikal gespart werden wie bei anderen Behörden, träfe das auch Europa und Deutschland. Bei vielen Projekten arbeiten sie zusammen, etwa bei Artemis. Das Programm soll wieder Menschen auf den Mond bringen. Das Antriebs- und Servicemodul der Raumkapsel wird bei Airbus in Bremen gefertigt. Ein erster unbemannter Flug rund um den Mond war 2022 erfolgreich. Die bemannte Mondumrundung verschob die Nasa mehrfach, zuletzt von Herbst 2025 auf April 2026. Die Mondlandung ist für 2027 vorgesehen. Angeschoben hatte Trump das Programm 2019 während seiner ersten Amtszeit.
Der Flug von Spectrum 1 Anfang April dauerte nicht lang. Nach einer halben Minute geriet die Rakete etwas aus der Bahn, das Team entschied, den Start abzubrechen. Die Spritzufuhr wurde abgestellt, die Rakete stürzte ab und zerschellte im Meer neben der Startrampe. Es war Enttäuschung für Tausende, die den Livestream im Internet verfolgt haben. War es doch nichts mit dem Durchbruch? Das Unternehmen wertet den Start als vollen Erfolg: „Unser erster Testflug hat all unsere Erwartungen erfüllt“, sagt Firmenchef Metzler. „Wir hatten einen sauberen Start, 30 Sekunden Flug und konnten auch noch unser System zum Flugabbruch testen.“ Möglicherweise war der ein oder andere Beobachter auch euphorischer als in der Branche üblich, in der man nie ganz sicher sein kann, ob eine Rakete mit teuren Satelliten an Bord nicht kurz nach dem Start explodiert und dreistellige Millionenbeträge nebst jahrelanger Arbeit in Sekunden vernichtet sind.
Metzler jedenfalls bleibt ruhig. „Wir haben nicht erwartet, dass wir bis ins All kommen“, sagt er. Man träume zwar, aber die Realität sei anders. Es sei vor allem um Daten gegangen, von denen viele nur beim echten Flug gesammelt werden könnten. Davon haben sie jetzt reichlich. Mit ihnen will Isar Aerospace die Nachfolgeraketen verbessern. Spectrum 2 und 3 werden bereits in der Fabrik in Ottobrunn gefertigt. Der nächste Start ist „so schnell wie möglich“ vorgesehen. Wieder von Andøya aus und dann auch mit Satelliten an Bord.

Senkrechtstarter Daniel Metzler
Daniel Metzler und Isar Aerospace haben gezeigt, was Ingenieure hierzulande leisten können. Die kommerzielle Raumfahrt ist eine Schlüsselindustrie der Zukunft.