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Zukunftsmärkte > Gastronomie

12 Millionen Fässer nicht verkauft: Corona spuckt der Brau-Branche ins Bier

Deutschland hatte nicht nur das Beste, sondern auch das vielfältigste Bier der Welt. Doch weil keiner feiert und keiner ausgeht, leiden vor allem die vielen kleinen und mittleren Kult-Brauereien, die in den vergangenen Jahren eine neue Blüte erlebten.

Meckatz, tief im Allgäu gelegen, ist eines dieser typischen Dörfer in der Gegend, die noch schöner sind als ihr eigenes Postkartenmotiv. Ein paar verstreute Häuschen in der Landschaft, eine Kirche, eine Brauerei. So sieht es in der Region im Grenzland zwischen Bayern und Baden-Württemberg an vielen Orten aus. Und zum Idyll trägt die örtliche Brauerei jeweils einiges bei. So auch in Meckatz, wo sie das Bier Meckatzer Weißgold nennen. Und Michael Weiß die Meckatzer Brauerei in fortgesetzter Familientradition gestaltet. Aber nach Idyll ist ihm in diesen Wochen nicht.

"In der Gastronomie hatten wir letztes Jahr ein Minus von etwa 45 Prozent zu verzeichnen", sagt er. Und das wiegt um so schwerer, als dass die kleine Brauerei in den Jahren davor nicht nur erfolgreich, sondern auch beispielhaft war. Man braut recht nachhaltige, hat sich nie dem Preisdruck der großen Handels- und Getränkekonzerne gebeugt, pflegt eine eigene Fan-Szene und gedieh so prächtig vor sich hin. Und die Biere, die sie hier brauten, die schmeckten auch noch außerordentlich gut. Corona aber hat diese Erfolgsgeschichte unterbrochen. Und Michael Weiß muss festhalten: "Bedingt durch den langen Lockdown seit Anfang November kommt es auch bei uns zu einer Vernichtung von Bier, das wir angesichts zu knapper Mindesthaltbarkeitsdaten nicht mehr in Verkehr bringen wollen: das tut zwar weh, ist aber leider unvermeidbar."

Schmerzhaft, aber leider nicht vermeidbar. So geht es derzeit vielen Brauer-Kollegen von Weiß. Die Deutschen und ihr Bier, das ist seit Jahrhunderten eine besondere Beziehung. Nicht nur, dass es zwischen Flensburg und Passau unzählige Sorten gibt und die Vielfalt der Brauereien im Vergleich zum Rest der Welt, wo der Markt sich immer weiter hin zu wenigen Big-Playern konsolidiert, riesig ist. Hier schützt sogar ein eigenes Reinheitsgebot die Zusammensetzung des Getränks. Nur: das hat den Deutschen im Corona-Jahr die Lust an Pils, Alt, Weiße und Co nicht retten können. Seitdem die Gastronomie zu ist, Veranstaltungen nicht mehr stattfinden, wird immer klarer: Die Deutschen sind offenbar keine Feierabendbier- sondern Festbiertrinker. Jedenfalls ist der Umsatz dramatisch eingebrochen. Und da kein Ende für Gastro-Schließungen und Veranstaltungsverbote in Sicht ist, wählen immer mehr Brauer den Weg von Michael Weiß: Weg damit.

Die Corona-Bilanz in Zahlen

Die Düsseldorfer-Alt-Brauerei Füchschen sprach am Aschermittwoch von 3000 Litern. Bei der Recklinghauser Hausbrauerei Surberg sind es wohl 9000 Liter, bei der Essener Familienbrauerei Stauder spricht man von "hunderten Fässern", bei Dreykorn-Bräu in Franken gut 10.000 Liter – alles Bier, das statt in die Gastro in den Gully wandert. Die Corona-Krise ist auch eine Bierkrise. "Wir schätzen die Rückgänge allein im Gastro-Bereich für 2020 auf 50 bis 60 Prozent", sagt Marc-Oliver Huhnholz vom Deutschen Brauer-Bund. "Dies dürfte insgesamt mehr als 6 Millionen Hektoliter Bier entsprechen, die nicht verkauft wurden." Umgerechnet sind das 600 Millionen Litern - oder zwölf Millionen Fässer. Zwar wurde nicht die gesamte Menge davon vernichtet, da ein Teil Fässer wohl noch nicht abgelaufen ist und manche Brauerei schon vorsorglich weniger braute. Aber: der wirtschaftliche Schaden ist in jedem Fall da.

Dabei hatte es die Branche in den vergangenen Jahren zu neuer Blüte geschafft. Angefeuert von Trends wie regionaler Produktion und Craft-Beer blühten überall die kleinen Handwerksbrauereien, die eine alternative zu den großen, eher einheitlich schmeckenden Markenbieren wie Becks, Krombacher oder Veltins boten.

In den vergangenen Jahren stieg die Anzahl der Bier-Brauereien in Deutschland so auf 1.548 Betriebe. Doch ausgerechnet sie trifft Corona nun besonders hart. Bei den kleinen Hausbrauereien, die ihr Bier häufig noch von Hand brauen, wird Bier wegen des Brauprozesses schneller schal. Sie müssen die Entsorgungskosten für ihr Bier selber tragen, dürfen ihre Brauhäuser nicht öffnen und weder Speisen noch Bier verkaufen.

Bei Michael Weiß aus dem Allgäuer Meckatz ist es noch halbwegs glimpflich ausgegangen. "Dank unserer konsequenten Markenpflege und der dadurch bedingten starken Position im Handel kamen wir mit einem blauen Auge davon", sagt er. Heißt in Zahlen: Den 45 Prozent Minus in der Gastronomie stehen im Einzelhandel rund 10 Prozent Plus gegenüber. Angesichts eines Gastronomieanteils von rund 30 Prozent hat das zu einem Absatzminus von insgesamt 7 Prozent geführt.

Süddeutschland stärker betroffen

Gerade in Süddeutschland, wo die Brauerei-Dichte besonders hoch ist, setzen viele Betriebe zu über 90 Prozent auf Fassbier. Häufig sind es Brauereien, die sich seit Generationen in Familienbesitz befinden, die Weltkriege, Wirtschafts- und Währungskrisen überstanden haben. Anders als die Gastronomen gingen sie bei den Corona-Hilfsmaßnahmen häufig leer aus.

Der Brauer-Bund drängt nun bei Bund und Ländern, dass Brauereien, die stark vom Gastronomiegeschäft abhängig sind, Hilfen erhalten. Der Einzelhandel erhält über die aktuelle Überarbeitung der Überbrückungshilfe III die Möglichkeit, Wertverluste unverkäuflicher Saisonwaren sowie verderbliche Waren bis zu 100 Prozent als erstattungsfähige Fixkosten in Ansatz zu bringen. Diese Möglichkeit soll nicht nur dazu dienen, zum Erhalt der Liquidität des Einzelhandels beizutragen. Sie hat auch zum Ziel, dass der Einzelhandel die erhaltene Liquidität wiedereinsetzt, um sich mit Ware für das Frühlingsgeschäft einzudecken. Dadurch werden auch Hersteller und Zulieferindustrie massiv unterstützt.

Bier-Geld vom Bund?

"An der Notwendigkeit dieser besonderen Unterstützung besteht auch für unsere Branche kein Zweifel. Die Brauwirtschaft war und bleibt gezwungen, in großem Umfang Fassbier, das sie ausschließlich in der Gastronomie und bei Veranstaltungen absetzt, im ersten und zweiten Lockdown von ihren Vertragspartnern zurückzunehmen und zusammen mit dem bereits abgefüllten Lagerbestand zu vernichten", sagt Huhnholz. Mit Blick auf diese nicht abgesetzte Ware sei die Situation der Brauwirtschaft mit der des Einzelhandels vergleichbar, denn durch die Vernichtung der unverkäuflichen Ware sei Brauereien ein massiver unverschuldeter Schaden entstanden, für den sie bislang nicht entschädigt wurden. "Vor diesem Hintergrund appellieren wir eindringlich an die Bundesregierung, die Sondersituation der Brauwirtschaft anzuerkennen und die bestehende Möglichkeit zur Fixkostenerstattung für Brauereien entsprechend auszuweiten", so der Brauer-Bund.

Der Bierabsatz befindet sich seit Jahren in einem Absatztrend. Viele Brauereien haben sich deshalb breiter aufgestellt und mehr Sorten im Angebot. Gegen eine Krise wie derzeit hilft das eher wenig: Der Rückgang ist in einem Jahr größer als in den vorhergehenden acht Jahren zusammen.

Eine alternative Verwertungsidee hatte bereits im ersten Corona-Lockdown die badische Brauerei Adler aus dem Enzkreis: Sie überließ 1500 Liter ihres Biers dem üblichen Bio-Energiehersteller. Der konnte daraus noch Gas herstellen.

Michael Weiß will das lieber positiver sehen: "Trotz der aktuell sehr schwierigen Lage lassen wir uns aber in unserer Zuversicht für die Zeit nach Corona nicht beeinträchtigen", sagt er. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, das Potential für eine weiter positive Unternehmensentwicklung auszuschöpfen."

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