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Einkauf, Marketing und Marken > Supply-Chain-Management

Absatzprognosen steigern Gewinn und Kundenzufriedenheit

Viele mittelständische Zulieferer haben keinen genauen Überblick darüber, wie viele Rohstoffe und Komponenten sie auf Lager vorhalten sollten, um die Produkte rechtzeitig zu fertigen. Das verursacht hohe Kosten – und verärgert Kunden.

Kunden kennen kein Pardon, wenn Zulieferer unzuverlässig sind. Das musste auch die Firma Frank Walz- und Schmiedetechnik aus Hatzfeld (Eder) erfahren. Der mittelständische Hersteller von Verschleißteilen für Bodenbearbeitung und Erntetechnik hatte im Fachhandel jahrelang einen schlechten Stand. „Unsere Lieferbereitschaft lag unter 75 Prozent. Oft hatten wir etwas auf Lager, was wir nicht benötigten. Und das, was wir brauchten, war nicht da“, sagt Viktoria Hettich, die das Auftragszentrum leitet. „Dadurch haben wir so manchen Kunden verärgert.“ Die Lieferbereitschaft gibt an, wie gut ein Unternehmen bei Bedarf sofort ab Lager liefern kann. Ein guter und betriebswirtschaftlich sinnvoller Wert liegt – abhängig von Branche und Produktgruppe – zwischen 93 und 97 Prozent.

Wie viele Teile und Komponenten ein Unternehmen im Lager vorhalten muss, um seine Produkte rechtzeitig fertigen zu können, ist eine grundlegende Frage – doch an der richtigen Antwort scheitern viele mittelständische Unternehmen. Das wirkt sich nicht nur negativ auf die Lieferbereitschaft aus, sondern auch auf die Finanzierung: So binden hohe Bestände viel Liquidität, die das Unternehmen dann an anderer Stelle nicht einsetzen kann. „Manche Unternehmen stehen kurz vor der Insolvenz und können die Löhne kaum bezahlen, aber das Lager ist noch randvoll“, sagt Andreas Kemmner, Honorarprofessor für Supply-Chain-Management an der Hochschule Zwickau und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Abels & Kemmner. Außerdem verursache ein volles Lager Kosten in einem nicht unerheblichen Maße. Die Lagerhaltungskosten können pro Jahr 19 bis 30 Prozent an den laufenden Kosten betragen, sagt Kemmner.

Gute Prognosen sind bei der Planung unumgänglich. Denn zu wissen, welche Produkte nachgefragt werden, bildet die Grundlage, um rechtzeitig produzieren und den Einkauf optimal planen zu können. Das wissen auch die Unternehmen – zumindest in der Theorie. „Die Vorplanung erfolgte bei uns lange nur auf Basis des Endprodukts, aber nicht auf der Teileebene“, erinnert sich Daniela Cremer, Supply-Chain-Project-Managerin bei Seepex. Der Hersteller von Exzenterschneckenpumpen verarbeitet insgesamt 270.000 verschiedene Materialien; zudem weisen die Pumpen, die aus bis zu 100 Komponenten und mehr bestehen, eine hohe Variantenvielfalt auf.

Auch beim Rollenhersteller Tente sorgten die hohe Anzahl der Einzelteile und die vielen Varianten im Endprodukt für eine Komplexität, die nur schwer zu managen war – vor allem mit manuellen Methoden. „Zu Beginn haben wir noch versucht, den zu erwartenden Absatz für Pilotartikel teilweise mit dem Taschenrechner zu berechnen“, sagt die Supply-Chain-Managerin Birthe Adams. „Dabei lagen wir oft um 100 Prozent daneben.“

Falsche Ergebnisse mit ERP-System

Manche Mittelständer nutzen ihr ERP-System, um Absatzprognosen zu erstellen. Doch auch dabei sind Abweichungen um 50 Prozent oder mehr keine Seltenheit. „Das ERP-System wertet nur die bisherige Entwicklung aus – damit fährt man sozusagen nach dem Rückspiegel“, weiß Adams, deren Arbeitgeber gerade ein neues Planungstool einführt. Hauptgrund für die Fehleranfälligkeit ist allerdings ein methodisches Problem: „Das ERP-System legt immer eine sogenannte normalverteile Nachfrage zugrunde. Aber der Absatz verläuft praktisch nie normalverteilt“, erklärt Experte Kemmner. Es gibt zahlreiche Größen und Ursachen, die die Produktion und den Abverkauf von Produkten beeinflussen. Neben Konjunkturschwankungen sind auch Bestellungen aus dem Ausland, internationale Lieferketten, saisonale Schwankungen, Sonderbedarfe sowie Projekt- und Aktionsaufträge unberechenbar und können eine Prognose aus dem Takt bringen.

Ein Mittel, um solche Schwankungen aufzufangen, sind Sicherheitsbestände, allerdings steigen damit die Lagerbestände noch weiter an. Zwei weitere Gegenargumente nennt Birthe Adams: „Unsere Lagerkapazitäten sind ausgelastet, und wir können nicht mehr expandieren. Zudem vertuschen hohe Sicherheitsbestände bloß die wirklichen Probleme, denn wir wollen ja gezielt wissen, welche Teile Probleme machen und warum.“

Sorgenkinder erkennen

Unterstützung für solche Fragestellungen bieten spezielle Programme wie Diskover, Dispo-Cockpit oder MPD. Sie können die Zukunft zwar auch nicht vorhersagen, aber sie messen zumindest die einzelnen Parameter wie Bedarf, Verfügbarkeit, Reichweite oder Wiederbeschaffungszeit. Nach welcher statistischen Methode und welchen Bedingungen das Programm den Bestand disponiert, legt das Regelwerk in klassifizierten Produktgruppen fest. Zeigen sich Schwierigkeiten, ist es möglich, die Kennzahlen zu justieren. Beim Pumpenhersteller Seepex wurden insbesondere Teile mit sehr langer Lieferzeit als kritisch erkannt. „Einige unserer Gussteile kommen aus Indien, und die Wiederbeschaffungszeit über den Seeweg ist mit bis zu 140 Tagen sehr lang“, berichtet Daniela Cremer. Um hier für mehr Produktionssicherheit zu sorgen, hat Seepex die Sicherheitsbestände und die Bedarfsprognose gezielt angepasst.

Darüber hinaus zeigt die Analyse, welche Komponenten nur selten gebraucht werden. Der Abbau solcher Reserven kann den Lagerbestand in der Summe schnell um 20 bis 25 Prozent reduzieren; im Idealfall sogar um ein Drittel. „Ein zweiter Faktor ist eine zu hohe Lieferreichweite“, erklärt Supply-Chain-Experte Andreas Kemmner. „Bestände sollten den Bedarf während der Wiederbeschaffungszeit der Artikel plus einen angemessenen Sicherheitsbestand umfassen. Viele Unternehmen lagern zu viel ein“, erklärt der Honorarprofessor.

Dank der optimierten Absatzplanung konnte die Firma Frank Walz- und Schmiedetechnik den typischen logistischen Eiertanz bewältigen, der immer entsteht, wenn Unternehmensziele einander zuwiderlaufen. Der Bestand aller Vorräte konnte um rund 20 Prozent gesenkt, die Losgrößen für die Fertigung optimiert und die Anzahl der Rüstvorgänge reduziert werden. Trotzdem stieg die Lieferbereitschaft auf deutlich mehr als 90 Prozent. Das Unternehmen konnte nicht nur die verärgerten Kunden aus dem Fachhandel zurückgewinnen, sondern auch neue akquirieren. Vor vier Jahren kam der Fachhandel noch auf einen Umsatzanteil von etwa 20 Prozent – mittlerweile liegt dieser bei stolzen 45 Prozent.


Der Artikel gehört zu einem Thema aus der „Markt und Mittelstand“-Ausgabe Oktober 2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

 

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