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Alexander Schallenberg: Ein Diplomat lehrt Pragmatismus

In München probt der österreichische Außenminister schon mal ein Treffen mit seiner möglichen nächsten deutschen Kollegin: Annalena Baerbock. Der konservative Politiker, der in einem schwarz-grünen Kabinett sitzt, pflegt ein pragmatisches Weltbild.

Regierungen kommen, Regierungen gehen, manch ein Minister bleibt bestehen. Alexander Schallenberg ist so einer. In Deutschland hieße der Sohn einer Diplomatenfamilie "von" Schallenberg. Aber die Österreicher sind in manchem sehr gründlich, sie haben mit dem Adel das "von" gleich mit abgeschafft. Alexander Schallenberg also, 52 jähriger Außenminister aus Österreich, einziger Minister, der es aus der Zwischenregierung vor Sebastian Kurz in die aktuelle schwarz-grüne Regierung von Kanzler Kurz geschafft hat, steht auf der Bühne in München auf Einladung des honorigen und inzwischen fast einhundertjährigen deutsch-österreichischen Freundeskreises. Er gilt als enger Vertrauter seines Kanzlers. Wie sieht so einer, den Wahlkampf in Deutschland und das, was sich am Horizont als mögliche Koalitionen abzeichnet?

Zunächst hat der Minister den Nachbarn eine Menge zu berichten, von Afghanistan ("Hat das Potenzial zu einem sicherheitspolitischen, schwarzen Loch") über das Verhältnis zur USA ("Das transatlantische Verhältnis steht noch immer im Mittelpunkt unserer Außenpolitik") bis hin zum Brexit ("Nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Großbritannien hat die EU verlassen, aber nicht Europa.")

Richtig warm wird es im Saal bei der Frage, warum eigentlich Außenpolitik im deutschen Wahlkampf mit Ausnahme von Afghanistan so überhaupt kein Thema ist? Schallenberg hat Verständnis: "Es geht um Miete und Bildung, das brennt den Leuten unter den Nägeln. Und das ist auch richtig so." Allerdings weiß er auch, wann das Thema wieder oben auf der Tagesordnung landen würde:  Dann nämlich, wenn nochmal die Grenzen nach Österreich geschlossen würden. Sei es wegen Migrantenströmen, oder sei es, weil sich die Pandemie nicht eindämmen lässt. Geht es nach Österreich, soll das allerdings nicht mehr passieren. "Das machen wir nicht nochmal", sagt Schallenberg freundlich, aber bestimmt.  Um darauf schärfer zu werden: "Wir sind bei einer Impfquote von 60 bis 70 Prozent. Wir müssen die letzten 15 bis 20 Prozent auch noch schaffen. Der Rest wird es nicht machen. Es gibt auch keine Impfpflicht, jeder muss das frei entscheiden. Aber dass wir sozusagen eine Pandemie der Ungeimpften haben und deswegen in einen Lockdown gehen und wieder Grenzen schließen, das wäre demokratiepolitisch sehr erstaunlich." Er hätte auch "undemokratisch" sagen können, aber das wäre nicht die hohe Schule der Diplomatie, die ein Außenminister auf Freundschaftsbesuch beherrschen muss.

Von der Pandemie der Ungeimpften geht es im Galopp zu den Erfahrungen, die Schallenberg mit der schwarz-grünen Koalition in Wien gesammelt hat. Er sagt dies nur auf Nachfrage. Es würde ihm nie einfallen, Nachbarn ungefragt einen Tipp zu geben. Aber wenn ihn einer darauf anspricht – bitte sehr: Schwarz und Grün, das seien zwei sehr unterschiedliche Welten, die da aufeinandertreffen. "Und da gibt es massive Auffassungsunterschiede." Der Wiener Weg sei: "Wir lassen dem Anderen Luft zum Atmen, ich glaube, das ist das Wesentliche in einer Koalition. Man muss sich aber darauf einstellen, dass es täglich Diskussionsbedarf gibt. Das liegt in der Natur der Grünen, die gerne diskutieren, und da machen wir dann eben mit."

Nun könnte es ja sein, dass Schallenberg, in Österreich Mitglied bei der konservativen ÖVP, demnächst auf eine deutsche Außenministerin trifft, die, zum Beispiel Annalena Baerbock heißt. Was er da sagen würde? "Willkommen, Frau Baerbock, ich freue mich auf die Zusammenarbeit." Und was er denken würde? Schallenberg zögert. Dann sagt er: "Es gibt eine Kraft des Faktischen. Als Außenminister kann ich mir die Welt nicht aussuchen. Ich kann mir die Partner nicht aussuchen. Das ist vielleicht gerade intellektuell für die Grünen eine Herausforderung." Er erinnert daran, dass die grüne Partei in seinem Land einmal den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien gefordert hat. "Das ist vielleicht ein legitimer Ansatz", sagt Schallenberg. Nur zu Ende gedacht bedeute das: "Am Schluss bleiben nur noch die Schweiz und Liechtenstein." Es gebe in seinem Job ein gerütteltes Maß an Pragmatismus. "Aber das weiß Frau Baerbock sicher alles. Ich würde mich jedenfalls auf die Zusammenarbeit freuen." Klar wird: Schallenberg ist Diplomat. Vom Scheitel bis zur Sohle. Und das bereits in zweiter Generation.  

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