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Zukunftsmärkte > Anti-Woke-Trend und deutsche Wirtschaft

Trump, Woke & Wirtschaft: Der große Umbruch

Trump entfesselt eine Anti-Woke-Welle – und deutsche Firmen stehen vor einem Dilemma: ESG oder Profit? Welche Chancen und Risiken der Trend birgt.

Wieder aufgetaucht: Jahrelang sollte alles schön kuschelig sein. Jetzt reckt der Wolf wieder sein Haupt aus der Menge der Schafe. (Foto: KI-generiert/Leonardo.ai)

Der Hype um Wokeness verkehrt sich unter US-Präsident Donald Trump ins Gegenteil. Für deutsche Mittelständler lauern einige Gefahren. Es ergeben sich aber auch viele Chancen.

Von Thorsten Giersch

„Drill, Baby, drill!"

„Drill, Baby, drill!" Manchmal sagen drei Worte mehr als dicke Bücher. Donald Trump wiederholt sie immer wieder. Er will zurück zum Öl, zum Gas, in eine vermeintlich glorreiche Vergangenheit, die die USA weiter nach vorn bringen soll. Seit er im Januar zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt wurde, hat Trump in zahlreichen Dekreten klargemacht, wohin die Reise wirtschaftlich mit ihm geht. Seitdem hat der Kapitalismus ein gewaltiges Imageproblem: Das freundliche Antlitz mit bunten Regenbogenfarben und grünen Klimazielen droht zu verschwinden. Es geht für praktisch jeden Konzern und jeden Betrieb des Westens um die Frage, nach welchen Kriterien man unternehmerisch tätig sein will.

Kaum eine Veranstaltung spiegelt die Stimmung in der Wirtschaft besser wider als das World Economic Forum (WEF) in Davos. Beim jüngsten Treffen fielen in den Schweizer Alpen zum Thema Nachhaltigkeit Sätze wie dieser von BASF-Vorstandschef Markus Kamieth: „Wir haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Wettbewerb um immer größere Ziele und strengere Regeln gesehen und uns dabei zu wenig gefragt, ob das alles technisch und ökonomisch machbar ist. Heute sehen wir, dass vieles davon nicht leistbar und vielleicht etwas vorschnell war."

Trump hält wenig von Windrädern und eine Menge von neuen Öl- und Gasbohrungen: „Drill, Baby, drill" eben. Er rief einen „nationalen Energienotstand" aus und räumt der heimischen Öl- und Gasproduktion Vorrang ein. Dabei hat die US-Rohölproduktion 2024 bereits ein Allzeithoch erreicht. Und die Menschen? Unmittelbar nach seinem Amtsantritt legte Trump fest, dass in den USA nur noch zwei Geschlechter anerkannt werden, männlich und weiblich. Er entließ alle Mitarbeitenden von Bundesprogrammen für Vielfalt, Gleichberechtigung und Integration. Trump nennt den Anti-Woke-Trend „die Wiederherstellung der Vernunft". Firmenchefs wie Meta-CEO Marc Zuckerbergs stellten ihre Diversitätsinitiativen ein.

Der US-Präsident hat eine „Anti-Woke“-Bewegung entfesselt, die derzeit aus den USA nach Deutschland schwappt und gewaltige Fragen aufwirft. „Wokeness“ bedeutet wörtlich übersetzt Wachsamkeit – wachsam sein gegenüber Diskriminierung, zum Beispiel wegen des Geschlechts, des Alters oder der Hautfarbe. Inzwischen steht der Begriff aber generell für Werte, die im weitesten Sinne als progressiv gelten – etwa den Kampf gegen den Klimawandel. Insofern betrifft die Diskussion auch Bereiche, die mit der Berichtspflicht rund um ESG-Kriterien zu tun haben, die für Unternehmen in Europa gelten. ESG steht für Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Die europäische Großbank ING spricht von „Kulturkampf“. Längst verwendeten Konservative in den USA „den Begriff ,woke‘ abfällig: Sie wollen damit verdeutlichen, dass ihnen das Engagement gegen verschiedene Arten von Diskriminierung zu weit geht.“ 

 

Demonstrativ regierungstreu

Wie stark der Kulturwandel in der US-Wirtschaft ist, zeigt sich auch im Bankensektor: In den Wochen nach der Wahl von Trump stiegen praktisch alle wesentlichen US-Geldinstitute aus der „Net Zero Banking Alliance" (NZBA) aus: JP Morgan, Goldman Sachs, Wells Fargo, Morgan Stanley, die Citigroup und die Bank of America. Die Vereinten Nationen (UN) hatten die Allianz 2021 als Klima-Bündnis ins Leben gerufen. Banken sollten sich damit verpflichten, das UN-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu unterstützen und die Finanzierung fossiler Energieprojekte zu beschränken. Nachdem mehrere republikanisch regierte Bundesstaaten große US-Vermögensverwalter wie Blackrock und State Street verklagt haben, weil ihnen deren Anlagekriterien für fossile Investments zu streng sind, präsentieren sich die Großbanken nun demonstrativ regierungstreu, um ihre Geschäfte nicht zu gefährden.

Immer mehr US-Konzerne schaffen ihre Diversitätskriterien ab, stoppen grüne und genderengagierte Werbekampagnen. Nachhaltigkeit ist als Marketing-Thema plötzlich nicht mehr opportun. Werbeagenturen sagen ein Ende der Wokeness in der Wirtschaft voraus. Der Spruch „Go woke, go broke“ macht die Runde, nachdem eine Reihe von Unternehmen feststellte, dass besonders woke Außendarstellung dem Absatz der Produkte unmittelbar schadete.  

In Deutschland wird sich nun zeigen, wie wichtig das Thema Diversität wirklich ist. Einige Jahre lang konnten Arbeitgeber mit Diversitätskampagnen nur gewinnen und feierten sich selbst in Regenbogenfarben – ebenso für ernsthafte wie halbgare Maßnahmen. Logos wurden pink, Regenbogenflaggen geschwenkt und Toleranz teils monströs vor sich hergetragen. So verschwand allerdings auch der Unterschied zwischen Moral und Moralisieren, zwischen einer Firmenfahrt zum Christopher-Street-Day und inklusiven Einstellungsprogrammen, die der aktuellen Gesetzgebung entsprechen.

Die DEI-Bestrebungen stehen nun unter Druck. Die Abkürzung steht für Diversity, Equity und Inclusion (etwa: Vielfalt, Fairness und Zugehörigkeit). Die Firmen haben sie nur bedingt freiwillig etabliert. Gerade bei börsennotierten Unternehmen sind die Maßnahmen und Routinen zum Teil der Firmenkultur geworden. Entsprechend kann man sich nur schwer vorstellen, dass Trumps Anti-Bewegung durchdringenden Erfolg hierzulande hat – sagen die Woke-Fans. Aber in weiten Teilen des Mittelstandes war das seit jeher anders und fragiler. Zudem machen auch viele Mittelständler Geschäft mit den USA. Wer will schon in den Fokus des Präsidenten geraten oder Kunden verprellen?  

Wird der Anti-Woke-Trend auch auf die hiesige Firmenkultur übergreifen? In Deutschland neigt man eher zu einem gesunden Mittelweg zwischen übertriebenem Woke-Moralisieren und Anti-Woke. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens BCG schließen 50 Prozent aller deutschen Kandidatinnen und Kandidaten aus, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, der ihre Anforderungen an Nachhaltigkeit und Diversität nicht erfüllt. Wegen des in den kommenden Jahren hierzulande steigenden Personalmangels können sich viele Betriebe demnach gar nicht leisten, anti-woke zu sein. 

Einen anderen Ton als derzeit viele US-Unternehmen schlägt Magdalena Rogl an, Leiterin Diversität und Inklusion bei Microsoft Deutschland. „Ihr könnt vielleicht Diversity-Programme beenden, aber ihr könnt Diversity nicht beenden." Sie sagt: „Inklusion ist nicht ,woke'. Inklusion ist das Gegenteil von Exklusion. Und das betrifft uns alle." Microsoft beschäftigt in Deutschland rund 3000 Mitarbeitende. Von Amazon Deutschland war zu hören, „großen Wert auf Vielfalt und Inklusion" zu legen. Auch McDonald's Deutschland und Coca-Cola Deutschland äußerten sich vorsichtig, aber erkennbar weniger anti-woke, als es aus den jeweiligen Konzernzentralen in den USA klang.

Das mag auch daran liegen, dass Unternehmen konkrete ESG-Maßnahmen einführen und auch dokumentieren müssen. Die Frage ist, ob die Firmen nun mehr machen als unbedingt nötig. SAP verstärkt zum Beispiel seit langem Initiativen für Vielfalt und Inklusion und will trotz des starken Engagements in den USA daran nichts ändern. Ohne vielfältige Belegschaft sei Wachstum nahezu ausgeschlossen, heißt es. Beim Technologiekonzern Bosch und dem Chemieunternehmen Covestro klingt das ähnlich. Stefan Hoops, Chef der Fondsgesellschaft DWS, die zur Deutschen Bank gehört, postete öffentlichkeitswirksam seine Sorgen, „dass die Anti-Woke-Rhetorik uns direkt in die machohafte ‚Wolf of Wall Street‘-Ära zurückführen wird.“ 

Zurückhaltender klingt das Bekenntnis zu Diversität bei der Konzernmutter Deutsche Bank: Man habe „klare Richtlinien, die sich unter anderem an den Gesetzen und Regulierungen der Märkte orientieren, in denen wir präsent sind. Dazu zählen selbstverständlich die Vorgaben der EU und Deutschlands.“ Das klingt zumindest nicht so, als ob das Geldhaus mehr als nötig tun will – wie auch beim Thema Nachhaltigkeit: Die Deutsche Bank beobachte das politische, regulatorische und rechtliche Umfeld sehr genau. „Sollten sich in den USA oder Europa Gesetze und Anforderungen ändern, werden wir die Auswirkungen auf unsere Bank selbstverständlich entsprechend prüfen.“ 

Ist Fleiß alles?

Was Konzernlenker eher hinter vorgehaltener Hand sagen, drücken Familienunternehmer seit jeher klarer aus: Kaum eines würde von sich behaupten, keinen großen Wert auf Werte zu legen. Blickt man hinter die Fassade, stellt sich aber die Frage, was genau damit gemeint ist: Fleiß oder wirklich alles, was woke ist? Seit jeher betrachten Mittelständler die meisten Forderungen und Ansichten der Woke-Bewegung skeptisch. Die ESG-Berichtspflicht einschließlich Lieferkettengesetz und Equal-Pay-Bürokratie sind so manchem ein Graus, auch wenn er die Idee dahinter gut findet. Viele objektive Beobachter sehen auch hierzulande die Gefahr, dass das Pendel in die andere Richtung ausschlägt. Alle Pläne für die grüne Transformation über den Haufen zu werfen, ist die eine Option. Die Wirtschaft im angemessenen Tempo zu dekarbonisieren, die andere. Der Vorstandschef eines Konzerns aus dem Deutschen Aktienindex Dax sagte in Davos: „Der ganze Rollback ist eine riesige Gefahr." Wenn Deutschland jetzt den grünen Umbau verlangsame, „dann ist unsere Wind- und E-Autoindustrie sofort in China. Dann spielen wir in dem Feld keine Rolle mehr."

Zur Theorie des Mittelwegs gehört auch die Doppelerkenntnis: Die Unternehmen haben so viele andere drängende Probleme zu lösen, da werden viele wenig für ökologische und soziale Themen tun, die über die gesetzlichen Pflichten hinausgehen. Auf der anderen Seite konnte sich der Mittelstand nie für Raubtierkapitalismus begeistern. Die Beziehung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind hierzulande ohnehin ganz andere dank Kündigungsschutz, Betriebsräten und Konzernmitbestimmung. Womöglich könnte ein Europa des gepflegten Mittelweges für Fachkräfte aus aller Welt nun deutlich attraktiver sein als das Anti-Woke-Amerika Trumps. Aber es gibt es auch Skeptiker, die bezweifeln, dass Deutschland in der neuen Welt auf Dauer einen Sonderweg in Sachen Vielfalt, Klimaschutz, Wettbewerbsrecht und Handelsregeln geben kann. Bestenfalls innerhalb Europas. 

Es gibt – so bitter wie das für Umweltschützer klingen mag – berechtigte Sorgen in der Wirtschaft, dass die USA Europa beim Wachstum noch stärker hinter sich lassen, wenn die EU an ihren strikten Berichtspflichten für Unternehmen festhält. „Die zusätzlichen umfassenden Berichtspflichten und bürokratischen Hürden sind ein wesentlicher Aufwandstreiber und Wettbewerbsnachteil für Banken und Unternehmen. Das steht ganz oben auf der Agenda vieler Vorstände“, sagt Walter Sinn, Deutschlandchef des Beratungsunternehmens Bain. Europäische Unternehmen zahlen zwei- bis dreimal so viel für Strom wie ihre US-Konkurrenten. Dabei stammt der oft aus günstigen Wind- und Solaranlagen. 

Der Kontrast zu den USA war vermutlich nie größer als heute. Was zu tun ist, bilanzierte nicht zuletzt Mario Draghi, ehemals Chef der Europäischen Zentralbank, in seinem großen Bericht vergangenes Jahr: Entscheidungsfindung und Finanzierung der EU würden aus der „Welt von gestern“ stammen. Nötig seien weniger Bürokratie, eine Kapital- und Bankenunion, mehr Ausgaben für Infrastruktur und ein stärkeres Militär. Aber wann hat es schon an dieser Erkenntnis gemangelt? Der US-Ökonom Larry Summers sagt: „Ich habe Anfang der 1990er-Jahre zum ersten Mal gehört, dass Europa Bürokratie und Regulierung abbauen will, um wettbewerbsfähiger zu werden.“ Der Hype um Woke mag kommen und gehen – dieses Problem scheint dem deutschen Mittelstand dauerhaft anzuhängen. 

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