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Zukunftsmärkte > Deutsche EU-Ratspräsidentschaft

„Berlin reicht nicht. Präsenz in Brüssel ist wichtig!“

Deutschland hat Anfang Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Im Gespräch erklärt der Ökonom Guntram Wolff, wie Mittelständler hierzulande von diesen sechs Monaten profitieren.

Welche Bedeutung hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft für den deutschen Mittelstand?

Das ist ein wichtiger Moment. Ich rechne damit, dass während der deutschen Ratspräsidentschaft Gesetzesvorhaben vorangebracht werden, die in den Monaten der Pandemie mehr oder weniger auf Eis lagen. Wenn Deutschland dem EU-Ministerrat vorsitzt, bestimmt Deutschland auch die Agenda der Themen, die dort besprochen werden. Stellen Sie sich die Sitzungen ganz konkret vor: Der Vorsitzende erteilt das Wort, fasst die Diskussion zusammen und formuliert Kompromissvorschläge. Das Land, das die EU-Ratspräsidentschaft innehat, kann so erheblichen Einfluss darauf nehmen, was bei einem Ratstreffen herauskommt. Wenn ein deutscher Minister eine Diskussion oder ein Ergebnis für Europa zusammenfasst, dann gewinnt das durch die Ratspräsidentschaft noch mal an Gewicht.

Welche Themen stehen auf der Agenda?

Absolut zentral ist der EU-Haushalt, zusammen mit dem Wiederaufbaufonds. Dass sich die Mitgliedsstaaten darüber noch im Juli einigten, wäre zwar wünschenswert. Aber ich vermute, dass sich die Verhandlungen bis in den Herbst hinziehen werden. Hinzu kommt die europäische China-Politik. Für am allerwichtigsten halte ich aber die Wiederbelebung und die Stärkung des EU-Binnenmarktes, der durch die Anti-Corona-Maßnahmen unvermeidlich gestört wurde.

Stärkt der EU-Ratsvorsitz die Wettbewerbsposition deutscher Mittelständler?

Indirekt unbedingt. Ein gut funktionierender EU-Binnenmarkt ist immens wichtig für den deutschen Mittelstand. Europäische Wettbewerbspolitik ist immer auch Mittelstandspolitik. Nehmen Sie etwa die Klimapolitik: Wenn der CO2-Preis steigt, benachteiligt das die europäischen Stahlproduzenten gegenüber der Konkurrenz aus China. Ich plädiere daher für eine Art Klimazoll. Falls die deutsche Regierung das nicht durchsetzen kann, kämen auch Forschungssubventionen für „grünen“ Stahl in Frage, um diese Technologie zu fördern.

 

Wäre eine solche Wettbewerbskontrolle nicht Aufgabe der WTO?

Der WTO fehlen die Mittel und Wege, um den staatlichen Subventionen in China wirksam zu begegnen. Die EU-Kommission hat in einem White Paper gezeigt, mit welchen wettbewerbspolitischen Instrumenten gegen unlautere Subventionen ausländischer Konkurrenten vorgegangen werden könnte. Das deutsche Wirtschaftsministerium treibt dieses Thema sehr stark, so dass es sicher auch in der deutschen Ratspräsidentschaft eine wichtige Rolle spielen wird.

 

Profitieren davon auch die kleineren Mittelständler?

Wettbewerbsverzerrungen durch staatssubventionierte chinesische Unternehmen betreffen natürlich auch den deutschen Mittelstand. Durch die geplante Verschärfung der europäischen Wettbewerbsinstrumente werden die Belange kleinerer Mittelständler gewissermaßen „mitgenommen“. Ich erwarte, dass die deutsche Ratspräsidentschaft hier klare Akzente setzt. Gerade beim Thema China ist eine starke Präsenz in Brüssel wichtig. Berlin reicht da nicht.

 

Stichwort Brexit: Was kann die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bei den Verhandlungen erreichen?  

Michel Barnier, dem EU-Unterhändler bei den Brexit-Verhandlungen, ist ein Durchbruch bislang leider nicht gelungen. Das liegt auch daran, dass er sein Mandat von den Mitgliedsländern über den europäischen Rat erhalten hat. Die Briten selbst haben wiederum ihr eigenes Mandat. Bei zwei gegensätzlichen Mandaten gibt es keine großen Überlappungen. Das macht einen Deal schwer. Der deutsche Mittelstand hat daran aber Interesse – wenn auch nicht um jeden Preis.

 

Eine deutsche EU-Ratspräsidentschaft könnte das ändern?

Durchaus, immerhin lässt sich so die Diskussion beleben. Als EU-Ratspräsident können Sie Gespräche führen und Kompromisse, auch innerhalb der EU, ausloten. Ich bin sicher: Mit etwas gutem Willen lässt sich noch ein Brexit-Kompromiss erreichen.

 

Auf allen Vorhaben lastet aber das Corona-Virus.

Ja, und darauf braucht Europa rasch Antworten: Gibt es europaweite Mehrwertsteuerabsenkungen? Wie genau geht es mit dem EU-Budget und dem Wiederaufbaufonds weiter? Was ist die langfristige Wachstumsstrategie? Der deutsche Mittelstand ist ja auch daran interessiert, dass Länder wie Italien wieder auf einen ordentlichen Wachstumskurs kommen. Auf der Binnenmarktseite geht es um ganz handfeste Fragen: Alle möglichen Länder haben Corona-Apps entwickelt. Aber die sind miteinander nicht kompatibel, was Geschäftsreisen innerhalb der EU deutlich erschwert.

 

Ist europäische Mittelstandspolitik deutsche Mittelstandspolitik?

Gerade für Deutschland bedeutet der Ratsvorsitz eine große Verantwortung; Deutschland ist gemessen an der Bevölkerungszahl der größte unter den 27 Mitgliedsstaaten. Und Deutschland ist auch nicht das einzige Land mit einem starken Mittelstand. In Italien ist der Mittelstand riesig, sicherlich vergleichbar mit dem deutschen Mittelstand. Europäisch zu denken, das ist gerade jetzt von großer Bedeutung.

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