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Corona beflügelt Biotechnologiebranche

Sie sorgten für einen in der Biotechnologie-Branche nie dagewesenen Boom: die Biontech-Gründer Özlem Türeci und ihr Mann Uğur Şahin. Die Mainzer Impfstoff-Entwickler wurden die Hoffnungsträger in der Corona-Krise und entwickelten in Rekordgeschwindigkeit einen erfolgreichen Impfstoff im Kampf gegen das Coronavirus. Doch inzwischen geht es in dem Milliardengeschäft um mehr als die Entwicklung von Vakzinen. Investoren lieben das.

Flagge des Unternehmens Biontech
Die Entwicklung von komplexen Wirkstoffen und Therapien sind teuer und langwierig. Biotechunternehmen sind vermehrt auf das Geld von Investoren angewiesen – und bekommen es auch.

„Das SARS-CoV-2-Virus und womöglich neue, potenziell infektiösere Varianten drohen uns auch in Zukunft weiter zu begleiten“, vermutet Kurt Zatloukal vom Diagnostik- und Forschungsinstitut für Pathologie der Medizinischen Universität Graz. Deswegen brauche es neben der Impfung auch breit wirksame Wirkstoffe gegen das Virus und seine Folgeerkrankungen. Zatloukal und ein Team von Wissenschaftlern aus Graz arbeiten gemeinsam mit Professor Josef Glößl von der Universität für Bodenkultur Wien im Rahmen der Medicines for Future Initiative an einem Medikamentenprojekt, das Hoffnungen weckt. Das Team von der Universität für Bodenkultur Wien hat hierfür in einer Tabakpflanze ein hochwirksames Protein produziert, das im Laborversuch eine Infektion von Zellen verlässlich verhindern kann.

 

Mit Proteinen gegen Corona

Das Wirkprinzip dieses Ansatzes basiert darauf, dass SARS-CoV-2 zunächst an Zellen über ein Protein andocken muss, um diese infizieren zu können. Wenn nun das Protein, das normalerweise als Andockstelle fungiert als Medikament verabreicht wird, bindet das Virus an das Medikament und nicht an Zellen wodurch eine Infektion verhindert werden kann“, erläutert Zatloukal. Das Besondere dabei ist, dass auch gegen zukünftige Virusvarianten dieser Ansatz effizient wirken sollte. Geplant ist, das in Pflanzen produzierte Protein als Medikament zur Behandlung früher SARS-CoV-2 Infektionen und zur Verhinderung schwerer COVID-19 Krankheitsverläufe zu entwickeln.

 

Es ist ein Beispiel das zeigt: Nach der erfolgreichen Entwicklung von Impfstoffen steht das Jahr 2022 voll im Fokus, Covid-Erkrankungen mit neuen Medikamenten zu bekämpfen. Mehr als 600 werden derzeit weltweit erprobt. Einige sind bereits zugelassen oder stehen kurz davor, wie etwa Paxlovid von Pfizer oder Lagevrio/Molnupiravir von Merck & Co.

 

Covid ist wie ein Accelerator

Die Biotechnologie-Branche wurde geboostert: Sie hat durch die Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahren so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor erhalten. Bei der Suche nach Impfstoffen, Diagnostika und Therapien gegen das Coronavirus ist sie zu einem entscheidenden Innovationsfaktor geworden, den Gesundheitssektor zu revolutionieren. Umsatz, Forschungsausgaben und Beschäftigung zur Entwicklung von komplexen Wirkstoffen und Therapien sind seitdem deutlich gestiegen. Weil das teuer und langwierig ist, sind Biotechunternehmen vermehrt auf das Geld von Investoren angewiesen – und bekommen es auch. Allein die deutsche Biotech-Branche hat im vergangenen Jahr rund 2,3 Milliarden Euro bei Investoren eingesammelt. Damit war 2021 das zweitstärkste Jahr in der Geschichte der Branche, teilte jüngst der Verband BIO Deutschland mit. Nur im Rekordjahr 2020, das durch die Entwicklungen der Pandemie geprägt war, habe man mit etwa 3,0 Milliarden Euro noch höhere Investments verzeichnet. Private Biotech-Firmen konnten dabei im vergangenen Jahr rund 851 Millionen Euro Wagniskapital einnehmen. „Covid ist wie ein Accelerator und hat großes Interesse auf die Branche gelenkt“, bestätigt Robin Lauber, Mitgründer und Vorsitzender der Korify Capital, dem globalen Venture-Arm des eigenen Family Office Infinitas Capital aus Basel.

 

Psychische Erkrankungen im Fokus

Dass es längst nicht mehr um die Entwicklung von Impfstoffen geht, zeigt ein im Dezember von Lauber und seinem Partner Davide Ottolini aufgelegter 100 Millionen US-Dollar schwerer Fonds mit dem Namen Korify Capital Fund ONE. Der dreistellige Millionenbetrag soll Lauber zufolge auf einen Paradigmenwechsel im Biotech-Umfeld hinwirken, um bahnbrechende Investitionen zur Förderung der Lebensqualität im Alter und zur Verbesserung der psychischen Gesundheit voranzutreiben. Gerade hier haben die letzten zwei Jahre in der Corona-Endlosschleife deutliche Spuren hinterlassen: Die Zahl psychischer Erkrankungen hat durch die Corona-Pandemie weltweit enorm zugenommen. „Psychische Erkrankungen drohen vor allem durch Corona zu einer neuen Pandemie zu werden,“ warnt Lauber. Die Zahlen geben ihm recht. Im Covid-Jahr 2020 gab es laut einer Studie geschätzte 53 Millionen Fälle von schweren depressiven Störungen und 76 Millionen Fälle von Angststörungen zusätzlich, die auf das Virus zurückzuführen sind. Das entspreche global einer Steigerung von 28 Prozent, stellten kürzlich Forscher der australischen Universität von Queensland und der Universität von Washington im Fachmagazin „The Lancet“ fest. Hier wollen die Gründer von Korify ansetzen und mit ihren Fonds innovative Lösungen von Start-ups unterstützen, die an maßgeschneiderten und präventiven Therapien zur Steigerung der mentalen Gesundheit arbeiten.

 

Die nächste Disruption

 "Grundsätzlich muss Medizin künftig mehr auf Prävention setzen als auf die Behandlung von Krankheiten ausgerichtet sein“, betont Korify-Mitgründer Ottolini. Beide zeigen sich enttäuscht von den großen Pharmaunternehmen. Sie hätten in den letzten zwanzig Jahren kaum noch Entwicklungen in diesem Bereich vorangetrieben, während psychische Leiden immer häufiger zunehmen.  Diese Aufgabe werde heute immer mehr von Start-ups im Biotechnologie-Bereich übernommen, die etwa mit biomarkerbasierten Behandlungsmethoden das individuelle Wohl betroffener Patienten in den Mittelpunkt stellen. Das hierfür ein wachsender Bedarf besteht, daran haben beide keinen Zweifel. Die Corona-Pandemie hat sich auch hier als game changer erwiesen. Kleine Biotech-Unternehmen nehmen es plötzlich mit Pharma-Riesen auf, wie das Beispiel Biontech gezeigt hat. Und die Innovationen im Biotechnologie-Sektor setzten zum Wohle von Patienten vermehrt auf Prävention, statt auf Reaktion. Für Lauber und Ottilini ist das die nächste Disruption im Gesundheitsbereich. Nach fast zwei Jahren Corona-Dauerzustand gibt das Hoffnung: Mit 7 bis 10 Prozent jährlichem Wachstum entwickelt sich der Biotechnologie-Sektor doppelt so stark wie die Pharmabranche, verspricht steigende milliardenschweren Marktaussichten und entlastet letztlich das Gesundheitswesen.

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