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Corona-Krise: wieso es kaum Bündnisse im Mittelstand gibt

Onlinehändler bringen die Läden ins Internet, Biotech-Unternehmen gründen Test-Initiativen. Und was macht der breite Mittelstand? Über Netzwerkprobleme während der Corona-Krise – und wie man sie löst.

Normal ist jetzt anders: Christian Walter ist viel daheim und telefoniert. Vor einigen Wochen noch, bevor sich das neuartige Coronavirus zu einer Pandemie entwickelt hat, war der Geschäftsführer des Automobilzulieferers Siebenwurst oft unterwegs. Walter besuchte Kunden rund um den Globus. Er verantwortet in der Geschäftsführung der Siebenwurst-Gruppe den internationalen Vertrieb des Unternehmens. Das Familienunternehmen aus dem bayrischen Ditfurth beliefert große deutsche Autohersteller mit Werkzeugen.

Mit seiner neuen Rolle als Krisenmanager freundet er sich gerade an. „Ich bin dieses Denken von Tag zu Tag nicht gewöhnt“, sagt er. Zu Beginn hat er zwar rasch in den Krisenmodus geschaltet: Mitarbeiter vor Ort schützen, Kurzarbeit anmelden, proaktiv Gespräche mit der Bank suchen. Doch nach und nach brechen ihm nun die Erträge weg. Für den Siebenwurst-Geschäftsführer wird der Liquiditätsengpass zur zähen Belastungsprobe. Linderung von der Politik erwartet er kaum, im Gegenteil. Die Verhandlungen mit den Geldgebern laufen schleppend. „Bislang haben wir weder Förderungen noch KfW-Mittel erhalten.“ Er kenne drei Unternehmen aus der Automobilbranche, die von der KfW kein Geld bekommen hätten – mit der Folge, dass sie nun Insolvenz beantragen mussten.

Walter hofft, dass es künftig mehr Zuschüsse gibt für Mittelständler wie ihn. Doch zunächst muss er mit den Krediten vorliebnehmen – und da wird es für Zulieferer bisweilen eng. „Gerade bei der Frage der Sanierungsfinanzierung ist das Geschäftsmodell eben ein wirklich wichtiger Punkt“, sagt Christian Brünkmans. Er ist Anwalt und berät Unternehmen mit Sanierungsbedarf. Wer Komponenten für Verbrennungsmotoren herstelle, müsse seinem Finanzierer gut erklären können, wie die Zukunft des Geschäfts im Zuge der Elektromobilität aussieht. Hier sei die Finanzierungsbereitschaft zuletzt gering gewesen, das habe sich auch 2020 nicht geändert, so Brünkmans. 

Die düsteren Zukunftsprognosen der Banken für die Branche sollten etwas in den Unternehmen verändern, findet der Anwalt. „Wer seine Produktion in der Corona-Krise umstellt – also von der Komponente für den Verbrenner hin zum Beatmungsgerät –, kann sicherlich auch die Haltung der Bank beeinflussen.“ Er merke aktuell in einigen Gesprächen mit Finanzierern: Da bewege sich was, wenn ein Unternehmen plötzlich in kritischen Segmenten gefragt sei und nicht mehr nur in der Autoindustrie.

Zulieferer: Einzelkämpfer in der Krise

Doch dazu müssten Mittelständler wie Siebenwurst eine Art Corona-Bund schmieden. Denn es dürfte schwer möglich sein, im Alleingang Zulieferer für die Medizintechnik zu werden. Im ersten Anlauf wären das Gespräche mit Unternehmen, die Hilfe benötigen. Doch den Schulterschluss mit anderen Unternehmen – ob Zulieferer oder Medizintechnikhersteller – hat Christian Walter noch nicht gesucht. „Im Mittelstand sind wir bislang nicht im Zeitalter der Netzwerke angekommen. Und das wird bei der Bewältigung der Corona-Krise zu einem kritischen Faktor“, findet auch er. 

Andere Mittelständler wurden indes gerade in der Corona-Krise kreativ – auch weil sie sich in ihrer Not zusammentun mussten. „Händler haben sich lange überhaupt nicht vernetzt“, sagt Marcus Diekmann. Er ist in der Geschäftsführung des Fahrradhändler Rose Bikes und verantwortet dort die Digitalstrategie und den Vertrieb. „Einige standen hinter der Kasse und haben Euros gezählt, während die Waren im Regal lagen. Deshalb konnte Amazon ja so durchrennen“, sagt er. Durch den Lockdown im Zuge der Pandemiebekämpfung seien Entscheidungen plötzlich sehr schnell getroffen worden.

In den ersten Tagen der Corona-Krise hat Diekmann eine Initiative ins Leben gerufen, um den stationären Handel ins Internet bringen: „Händler helfen Händlern“. Dafür hat er eine Linkedin-Gruppe gegründet. Diekman möchte, dass sich Handelsunternehmen vernetzen, austauschen und so gemeinsam Lösungswege aus der Krise finden. Innerhalb kürzester Zeit kamen 2.300 Mitglieder zusammen. „Wir schaffen gerade das größte Händlernetzwerk im internationalen Austausch“, schwärmt er. Unter anderen der Werbegigant Facebook und der Industriekonzern Bosch tummeln sich unter den Teilnehmern, um Probleme auf kurzem Dienstweg zu lösen. „Das hat es vorher nicht gegeben, weil der Einzelhandel immer Einzelkämpfer war“, berichtet Diekmann. 

Der industrielle Mittelstand müsse ebenfalls nachziehen und sich in der Krise vernetzen. Produzierende Unternehmen sollten miteinander reden und gemeinsam überlegen, wie sie Produktionsstraßen oder Lieferketten aufbauen, gemeinsam Sortimente kuratieren oder innovative Vertriebswege finden, so Diekmann. 

Produktionsumstellung ist nicht trivial

Auf die Schnelle der große Wandel, raus aus der Autoindustrie und rein in die Medizintechnik? Dazu fehlt Christian Walter von der Siebenwurst-Gruppe das passende Netzwerk. „Ich wüsste aktuell nicht einmal, an welche Stelle ich mich auf kommunaler Ebene oder im Bund wenden müsste, um anderen Unternehmen beispielsweise unsere Fertigungskapazitäten anzubieten“, sagt er. Und womöglich käme der Siebenwurst-Geschäftsführer auch gar nicht weit, wenn er die Produktion für Werkzeugteile auf die Zulieferung für Beatmungsgeräte ausrichten würde. Das sagt zumindest Thomas Jurisch. Er ist Geschäftsführer des Medizintechnikhersteller Tracoe Medical, eines Familienunternehmens aus dem rheinhessischen Nieder-Olm. „Bei Medizinprodukten mit Klasse-2- oder Klasse-3-Standard, da häufen sich bei mir die Fragezeichen. Wie soll ein Autohersteller plötzlich Beatmungsgeräte bauen?“, fragt er. 

Das Unternehmen Tracoe fertigt Produkte der Klassen 2 a und 2 b. Derzeit sind vor allem Verbindungsteile des Mittelständlers gefragt, die für die langzeitige Beatmung von Covid-19-Patienten eingesetzt werden. Der Medizintechniker braucht dafür ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem und muss zusätzlich dazu noch eine Vielzahl an Auflagen erfüllen. Medizinprodukte herzustellen sei ja kein Steckspiel, sagt Jurisch. Und selbst wenn das ginge, also wenn er Tracoe-Produkte in einer anderen Betriebsstätte nachbauen lassen würde, müsste er aufwendig nachweisen, dass er dort alles genauso gut herstellen könne wie im Stammwerk. „Das ist im aktuellen regulatorischen Umfeld weder einfach noch schnell möglich“, so Jurisch.

Was Mittelständlern wie ihm helfen würde? Mehr Mitarbeiter, und am besten schnell. „Wir brauchen keine Produktionsstätten, sondern Leute und würden Mitarbeiter eines Automobilzulieferers, die über die erforderlichen feinmotorischen Fähigkeiten verfügen, gern aufnehmen“, sagt der Geschäftsführer. Denn Tracoe Medical musste die Produktion zuletzt deutlich hochfahren und arbeitet am Anschlag. Neben fehlendem Personal für die Produktion muss Jurisch noch ein anderes Problem lösen: unbedingt lieferfähig bleiben, das sei eine Mammutaufgabe in der aktuellen Krisensituation. Derzeit kann es bei Zulieferteilen für seine Produkte zu Verzögerungen kommen, weil die Grenzen geschlossen oder die Lieferanten selbst nicht lieferfähig sind. „Ich spreche hier von über 50 Lieferanten, da reicht es, wenn ein kleines Teil fehlt – und unser Produkt kann nicht fertiggestellt werden“, sagt er.

Zusammenarbeit innerhalb der Lieferkette

Offenbar gibt es einige Einzelkämpfer im deutschen Mittelstand. Mitarbeiter könnten Unternehmen im Corona-Bund tauschen. Auch Probleme in der Lieferkette lassen sich in einer Bündnisstruktur besser lösen. Davon geht Stefanie Greifeneder aus, sie ist Anwältin für gewerblichen Rechtsschutz und auf Vertragsrecht und regulatorische Fragestellungen spezialisiert. „Wenn sich ein Lieferant ein Szenario überlegen würde, wie er die Probleme der gesamten Kette einbindet, dann ließen sich so gegenseitig bessere Zugeständnisse machen“, sagt sie. 

Selbst bei komplexen Lieferketten könne ein Geschäftsführer ein solches Vorgehen anstoßen. Er müsse die Führung übernehmen und mit einem konkreten Vorschlag auf die anderen Akteure zugehen, so die Anwältin. Das könne auch bloß ein Thesenpapier sein, wo das akute Problem erklärt wird und wie der Lösungsvorschlag unter Beteiligung der gesamten Lieferkette aussehen kann. „Wenn es ein gemeinsames Verständnis gibt, reicht eigentlich eine einfache Telefonkonferenz, um das restliche Vorgehen zu besprechen“, sagt Greifeneder. 

Zu wenig Leidensdruck

Einen solchen Ansatz habe sie bislang aber selten erlebt. Momentan fokussierten die meisten Firmen ihre Überlegungen darauf, wie sie sich als einzelnes Unternehmen in einer speziellen Lieferbeziehung am besten aufstellen könnten. Doch tragfähige Bündnisse über die gesamte Kette hinweg? „Vielleicht ist es dafür noch zu früh. Damit der Mittelstand wirklich zusammenarbeitet, muss der Leidensdruck wohl noch weiter steigen“, überlegt Greifeneder.  

Das Unternehmen Centogene, auch ein Mittelständler der Medizintechnik, hat sein Lieferkettenproblem über einen Corona-Bund gelöst. Centogene ist auf die Diagnostik von seltenen Erkrankungen spezialisiert und hatte einen Engpass bei sogenannten Abstrichspateln. „Die werden verrückterweise in Singapur, teilweise in Taiwan hergestellt mit all den Unklarheiten des Lieferweges“, berichtete Geschäftsführer Arndt Rolfs dem Wirtschaftsmagazin „Capital“. Bei ihm hat sich nun ein mittelständischer Kunststoffverarbeiter aus Brandenburg gemeldet, der ihn jetzt beliefern will. 

Der Kontakt kam über die Initiative zustande, die Rolfs kürzlich ins Leben gerufen hat. Mit Hilfe von Mittelständlern und Start-ups will der Unternehmer deutliche höhere Testkapazitäten aufbauen und so viel mehr Menschen in Deutschland auf Corona testen. Dafür suchte er Partner und schaltete eine einfache Anzeige. Schwarze Buchstaben auf weißem Hintergrund, sonst nichts. Finanziert hat er die Anzeige mit anderen Unternehmern wie Patrick Adenauer vom Bauunternehmen Bauwens und Lutz Goebel vom Maschinenhersteller Henkelhausen. Sie erschien in den großen deutschen Tageszeitungen. Nach wenigen Tagen hatten sich über 500 Unternehmen zurückgemeldet – auch sein neuer Partner aus Brandenburg. Manchmal ist es wohl besser, wenn Anders das neue Normal ist.

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