Das Bekenntnis zur Vielfalt als Erfolgsfaktor
Barbara Schick ist im Vorstand des Konzerns Versicherungskammer seit 2016 für Diversity verantwortlich. Im Interview erklärt sie, weshalb und wie der siebtgrößte Erstversicherer Deutschlands Vielfalt lebt.
Markt und Mittelstand: Frau Schick, Diversity ist ein weiter Begriff. Was verstehen Sie konkret darunter und was bedeutet er in der Folge für Unternehmen?
Barbara Schick: Diversity ist für mich eine Grundhaltung, die sich auf unser Verhalten und unser Miteinander auf allen Ebenen auswirkt. Unsere Gesellschaft ist bunt und sie spiegelt sich in unserem Konzern wider - sowohl in der Belegschaft als auch bei unseren Kunden. Wir verstehen Diversity als Baustein einer nachhaltigen Veränderung und als strategisches Management-Instrument. Unterschiedliche Lebensmodelle, das Zusammentreffen verschiedener Generationen oder kulturelle Einflüsse mit neuen Perspektiven und Werten: Diese und andere Diversitätsaspekte beeinflussen die Erfahrungen, Talente und Fähigkeiten unserer Belegschaft ebenso wie die Bedürfnisse unserer Kunden.
Welche Rolle spielt Diversity bei Ihnen im Konzern Versicherungskammer?
Wir sind davon überzeugt, dass Vielfalt ein kultureller Erfolgsfaktor ist, der zu konkretem wirtschaftlichen Nutzen führt. Vielfalt bringt unsere persönliche Zusammenarbeit im Unternehmen voran, hilft uns, unsere Kund*innen noch besser zu verstehen und trägt insgesamt zu einem zugewandten Umgang miteinander bei. Die unterschiedlichen Biografien unserer Mitarbeitenden bereichern unsere Kreativität, fördern die positive Entwicklung des Konzerns und stärken unsere Kundenorientierung. Diversity ist bei uns strategisch verankert und fester Bestandteil unseres Unternehmensleitbildes. Und selbstverständlich sind wir Unterzeichner der Charta der Vielfalt.
Wie setzen Sie Diversity bei der Versicherungskammer um?
Wir betreiben ein ganzheitliches Diversity-Programm, das thematisch breit aufgestellt ist. „Diversity-Owner“ aus dem Top-Management setzen Leitplanken, ein Steuerungsteam organisiert die Umsetzung. Mit einer jährlichen Ausschreibung von Themen motivieren wir Freiwillige, eigenverantwortlich und selbstorganisiert konkrete Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Zahlreiche Initiativen engagieren sich auf diese Weise, bunt gemischt aus verschiedenen Bereichen und Funktionen heraus für Diversity. Das Ergebnis ist ein zwischenzeitlich sehenswerter Instrumentenkoffer zu zahlreichen Diversity-Dimensionen.
Können Sie uns konkrete Beispiele aus Ihrem Haus nennen?
Sehr gerne. Eine unserer ersten Initiativen sind die verschiedenen Tandem-Modelle, bei denen wir vielfältige Fähigkeiten sehr erfolgreich vereinen: Beim Jobsharing teilen sich beispielsweise Führungskräfte zeitlich und/oder fachlich eine Stelle in Form von Führungstandems. Mit Generationen-Tandems aus langjährigen Mitarbeitenden und jüngeren Kolleg*innen fördern wir Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer, was Generationenwechsel und Nachfolgeregelung erleichtert, aber auch im Miteinander von erfahrenden und jungen Menschen viele Wege ebnet. Unsere Arbeitsmodelle sind vielfältig, bieten viele Vorteile gegenüber klassischen, teils tradierten Strukturen und ermöglichen damit eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Eine weitere Initiative organisiert als Teil unserer Frauenförderung regelmäßig Symposien oder Roundtable, um aufzuzeigen, dass verschiedene Lebensmodelle durchaus mit Karrierewegen in Einklang zu bringen sind. Unsere diesjährigen Diversity-Arbeitsgruppen befassen sich verstärkt mit dem interkulturellen Dialog, der Talentvielfalt in Teams und wie unbewussten Vorurteilen entgegengewirkt werden kann. Eine neu aufgelegte Podcastreihe, auch von freiwillig Aktiven umgesetzt, schafft intern Aufmerksamkeit und Dialog. Und noch ein letztes Beispiel: in diesem Jahr hatten wir einen Wettbewerb für Nachwuchsjournalist*innen zum Thema Diversity ausgeschrieben.
Ist das heiß diskutierte Gendern für Sie ein Teil von Vielfalt?
Unbedingt, und auch das fassen wir weiter. Bei Diversity in der Sprache geht um Teilhabe und wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe. Ein Team aus jungen Mitarbeitenden hat dazu ein Lexikon entwickelt als Wettbewerbsbeitrag zur Diversity Challenge der Charta der Vielfalt. Dort finden sich, neben gangbaren Vorschlägen zum Gendern und einem LGBTQ+-Lexikon, ebenso wertvolle Hilfen und Hinweise, um Rassismus in der Sprache bewusst zu vermeiden und solche für den sprachlichen Umgang mit behinderten Menschen. Das Projekt hat im Wettbewerb damit einen großartigen zweiten Platz erobert.
Was halten Sie von einer verbindlichen Frauenquote für Vorstände?
Im Konzern Versicherungskammer machen wir die Erfahrung, dass es auch ohne Quote gut funktioniert. Aktuell haben wir in unserem Vorstand einen Frauenanteil von knapp 30 Prozent. Maßgeblich ist aus meiner Sicht die persönliche Einstellung, die auf die Kultur eines Unternehmens und auf das tägliche Miteinander Einfluss nimmt. Die Gleichstellung der Geschlechter basiert nicht zuletzt auf unseren Werten im Konzern. Auch haben wir die Förderung, aber auch die Ermutigung von Frauen, ihre Kompetenzen einzubringen, schon seit einigen Jahren im Rahmen von Diversity neben anderen Vielfaltsaspekten fest verankert.
War Ihr Weg in die Chefetage anstrengender als für Ihre männlichen Kollegen?
Ich kann das nicht vergleichen, denn ich kenne nur meinen Weg. Aber ich weiß natürlich, was Sie meinen. Über Jahrhunderte gab es nun mal die Domäne der Männer. Deshalb kann man nicht erwarten, dass sich alles von heute auf morgen verändert. So wurde mir mal gesagt, dass sich eine Frau gegen mehrere Männer gar nicht durchsetzen kann. Oder dass eine Frau im Laufe ihrer Karriere zum Mann werde. Wie sie sehen, ist weder das eine noch das andere bei mir eingetreten. Wer Leistung und Einsatz zeigt, Qualität bringt und bereit ist, sich auf neue Aufgaben einzulassen, kann unabhängig vom Geschlecht bei uns beruflich seinen Weg gehen. Verantwortung übernehmen, klare Entscheidungen treffen und kommunizieren sowie Vorbild sein, sind Eigenschaften, die eine Führungspersönlichkeit aus meiner Sicht ausmachen.
Was geben Sie Unternehmen mit, die gerade beginnen, eine Kultur der Vielfalt zu etablieren?
Diversity wird oft als softes On-Top-Thema gesehen, doch es ist inzwischen durch namhafte Beratungshäuser nachgewiesen, dass sich ein offensives Diversity-Management für Unternehmen in hohem Maße auszahlt. Es lohnt sich also, aktiv zu werden. Wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist aus meiner Sicht die Kombination von top-down geförderten und bottom-up entwickelten Maßnahmen. Vom Management braucht es ein klares Bekenntnis und sichtbares Vorbild zu Diversity. Für die konkrete Umsetzung sollten konkrete Aufgabenfelder benannt und Freiwillige eingeladen werden, sich für diese Themen zu engagieren. Die Freiwilligkeit führt dazu, dass Mitarbeitende sich auch über ihre eigentlichen Aufgaben hinweg einsetzen und selbstständig Ideen und Maßnahmen treiben. Durch einen großzügigen, doch wichtigen Handlungsrahmen entfaltet sich so Kreativität für sinnvolle und nutzstiftende Dinge. Und mit der Zeit entwickelt sich eine Community aus Engagierten, die Diversity im Arbeitsalltag vorleben, propagieren und konkret bei den Initiativen mitarbeiten. Patenschaften aus dem Management signalisieren Wertschätzung und untermauern das Bekenntnis zu Diversity.