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Einkauf, Marketing und Marken > 100 Jahre Tipp-Kick: Die Erfolgsgeschichte des kultigen Fußballspiels aus dem Schwarzwald

Das Eckige muss ins Eckige

Seit 100 Jahren begeistert Tipp-Kick Fußballfans weltweit mit seinen einzigartigen eckigen Bällen und detailverliebten Spielfiguren aus dem Schwarzwald.

Tipp-Kick
Ein Bild des Tipp-Kick Endspiels vom Turnier 1973. Bildquelle: Tipp-Kick

Zielen, den roten Knopf über dem Kopf drücken, das Bein schnellt vor und das Eckige fliegt ins Eckige. Das Eckige? Der eingefleischte Fan weiß längst: Der „Ball“ beim Tipp-Kick ist eckig geformt, damit immer eine Farbe klar anzeigt, wer als nächstes spielen darf. Schon seit 100 Jahren spielen große und kleine Fußballfans mit den zwei Figuren wichtige Begegnungen nach. Und noch immer ist das kleine Unternehmen aus Schwenningen im Schwarzwald im Besitz der Familie Mieg.

Manch eine Erfolgsgeschichte beginnt damit, dass Pläne nicht aufgehen. Edwin Mieg will 1923 eigentlich weit weg in die Welt hinaus. Er bewirbt sich beim Uhrenhersteller Junghans um die die Verkaufsniederlassung im fernen Indien. Doch am Ende bekommt ein anderer Kandidat den Job und der verhinderte Weltenbummler hat Zeit zum Tüfteln in der Schwarzwälder Heimat. Ein Jahr später entsteht eine Figur mit der gegen einen Ball getreten werden kann. Die ersten Kicker sind noch aus Blech und wenig standhaft. Mieg kauft einem anderen schwäbischen Tüftler, Carl Mayer, ein Patent ab. Mit dessen Lösung können die Figuren aus Blei gegossen werden.  

Mieg fährt 1926 nach Leipzig zur Spielwarenmesse. Geld für einen Stand ist natürlich keines da. Also baut der Schwarzwälder seine Figuren auf den Treppen am Eingang auf. Schnell dränen sich - zum Ärger der Wachleute – viele Neugierige um Mieg und seine Spieler. Und die ersten Bestellungen folgen. In Schwenningen entsteht 1938 die erste eigene kleine Fabrik, wo die Figuren nicht mehr aus Blei sondern aus Zink gegossen werden. 

Der Gründer stirbt 1948 und die beiden Söhne Peter und Hansjörg übernehmen den Betrieb. Der Ältere entwickelt den fallenden Torwart „Toni“, der auf Knopfdruck nach rechts oder nach links hechten kann. Die Spielfelder werden verbessert und es entstehen Tore ebenfalls aus Kunststoff. Angeboten wird sogar eine Spieluhr. Das „Wunder von Bern“ beschert den Miegs den ersten richtigen Aufschwung. Tausende wollen wie Toni Turek halten, wie Helmut Rahn aus dem Hintergrund schießen, und dann wie Reporter Herbert Zimmermann „Tor, Tor, Tor!“ rufen. Deutschland ist Weltmeistern und 180.000 Tipp-Kick-Packungen gehen 1954 über die Ladentheken. 

Die Gründung der Bundesliga 1963 beschert dem Familienbetrieb zusätzlichen Schub. Jetzt kommen Figuren in en Vereinsfarben auf den Markt. Die Miegs gewinnen für 1000 D-Mark einen jungen Spieler, sein Gesicht für die neuen Spielepackungen herzugeben: Gerd Müller. Der „Bomber der Nation“ schießt 1974 das entscheidende Tor im WM-Finale und in Schwenningen werden Figuren in den Farben der verschiedenen Nationalteams produziert. 

Pünktlich zur WM in Argentinien kommen vier Jahre Später Tore mit textilen Netzen auf den _Markt. Allerdings verdirbt die „Schmach von Cordoba“ den Leuten die Lust, spiele der Nationalmannschaft nachzuempfinden. Das ist dann 1982 dann wieder anders. Der Torwart kann inzwischen auch entschlossen nach vorn hechten. Wie ein gewisser Toni Schumacher. In den 1990er-Jahren entdecken Agenturen die Tipp-Kick-Figuren als interessanten Werbeträger. So gibt es Torwand-Schießen mit Seitenbanner des Versicherers Allianz. Gut ein Drittel der Spiele gehen an Geschäftskunden. In diesem Jahr sollen es bis zu 30.000 Packungen werden. 

Dieses Geschäft treiben die Cousins Mathias und Jochen Mieg – die dritte Generation der Tipp-Kick-Familie – voran. Sie lagern viele Fertigungsprozesse an Zulieferer aus, um die Nachfrageschwankungen besser beherrschen zu können. Notfalls ist der „kleinste Spielwarenfirma Deutschlands“, wie man sich selbst bezeichnet, aber weiter in der Lage, alle Prozesse weiter in Schwarzwald umzusetzen. So werden viele Figuren weiterhin am Stammsitz in Heimarbeit handbemalt. Rund um Großereignissen wie jetzt die EM sind die Malkräfte voll ausgelastet seien. Größere Stückzahlen und komplette Sets lässt Tipp-Kick seit Jahren in China produzieren.

Die Miegs leben traditionell von den Großereignissen in der Fußballwelt. So kommt 2010 ein Spiel in den Farben Afrikas auf den Markt. Zebras, Giraffen und Elefanten zieren die Packung. Vier Jahre später kommt mit dem damaligen brasilianischen Bayern-Spieler Dante die erste individualisierte Figur auf den Markt. die Halbzeituhr spiel die Nationalhymnen ab. Seit der WM 2011 sind auch Tipp-Kickerinnen in Sortiment. Inzwischen sind auch eine Flutlichtanlage und auf Knopfdruck jubelnde Zuschauer im Sortiment.

Die kleine Schwarzwälder Kultmarke hat schon manchen übernahmewilligen Konzern angelockt. Doch die Miegs widerstehen beharrlich den Verlockungen des Geldes und wollen den Betrieb in Familienhand behalten. Mit dem 29-Jährigen Leonhard Mieg steht die vierte Generation bereit. Der Betriebswirt wird in diesem Sommer in die Firma einsteigen. „Dass mein Sohn weitermachen will, finde ich klasse. Wir wollen, dass die Firma in der Familie bleibt“, freut sich Mathias Mieg. 

Den Nachfolgern ist klar, dass man von Tipp-Kick leben aber nicht reich werden kann. Der Umsatz schwankt zwischen einer und zwei Millionen Euro. Für dieses Jahr werden rund 1,5 Millionen Euro erwartet. Viel hängt auch in Schwenningen davon ab, wie sich die Nationalkicker so schlagen. Schon die jüngst erfolgreichen Spiele hätten sich positiv auf die Nachfrage niedergeschlagen. Auch der überraschende Erfolg der Stuttgarter Bundesligakicker freut VfB-Fan Mathias Mieg doppelt. Die Nachfrage nach Figuren mit rotem Brustring ist dadurch merklich angestiegen.

Wie Eisenbahnen oder Rennautos sind auch die Tipp-Kicker längst mehr als ein Kinderspielzeug. Rund 50 Clubs richten Liga und Pokalspiele aus. Die Bundesliga wird seit 1973 ausgespielt. Dort ist der BW Concordia Lücke seit Jahren das Maß aller Dinge. Gespielt wird ausschließlich auf der offiziellen Turnierplatte, die ein Verrutschen des Spielfeldes verhindert. So wie auch in Schwenninger Neckarhalle am 8. und 9. Juni bei der offenen Deutschen Meisterschaft. Der erwartete Andrang ist so groß, dass die Bahn dazu eine eigene Webseite eingerichtet hat. Zum 100-jährigen Bestehen ist auch eine Jubiläumsausgabe von Tipp-Kick im Handel. Sie erscheint erstmals als Lizenzprodukt des Deutschen Fußballbundes (DFB) und trägt dessen Logo auf dem Spielfeld, dazu Spieler im Heim- und Auswärtstrikot.

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